Im Rettungseinsatz für die CDU
Hintergrund Helge Braun ist Arzt, Vertrauter von Angela Merkel – und will Parteichef werden.
Wie er die CDU aus der Krise führen will und welche Rolle zwei Frauen beim Neuaufbau spielen könnten
Berlin Er vermisse seinen Beruf als Arzt immer dann, wenn er im Kanzleramt von besonders viel Bürokratie aufgehalten werde, klagte Helge Braun einmal und ergänzte: „Dann träume ich schon davon, im Notarztwagen zu sitzen, mal wieder praktischer zu arbeiten.“Wenn seine Karriereplanung Realität werden sollte, muss der Gießener zunächst weiterträumen. Braun will Cduvorsitzender werden, seine Ankündigung, neben Friedrich Merz und Norbert Röttgen zu kandidieren, war die große Überraschung im Rennen um den Cdu-thron. Am Montag präzisierte der Hesse in Berlin, wie er die Volkspartei aus dem Chaos zu lenken gedenkt.
Braun ist seit März 2018 Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts, wie der offizielle Titel lautet. Noch jedenfalls, denn bald muss der 49-Jährige sein Büro im siebten Stock des Kanzleramtes räumen. Mit dem Ende der Ära Angela Merkel ist er nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter in der Opposition. Doch das scheint ihm nicht zu genügen.
Als Brauns Kandidatur bekannt wurde, ging ein Raunen durch die CDU, Jubel war nicht zu vernehmen. Der große Hesse mit der sonoren Stimme, der 1994 mit dem Studium der Humanmedizin an der Justus-liebig-universität in Gießen begann und 2007 promovierte, ist nicht unbedingt das, was sich viele Cdu-mitglieder als Personifizierung des gewünschten Neuanfangs vorstellen. Braun gilt als Merkelvertrauter, das hat bei der Kandidatur Vor- und Nachteile. Einerseits könnte er die Stimmen derer ziehen, die in ihm eine Fortsetzung der Merkel-erfolgsstory sehen. Andererseits könnte das diejenigen abschrecken, die gerne neue Kapitel aufschlagen würden. Braun hat das auf dem Schirm. Bei seiner offiziellen Vorstellung würdigt er die Ära Angela Merkel, betont aber auch, dass er politisch ganz anders sozialisiert sei als die Kanzlerin.
Um seine Chancen gegen Merz und Röttgen zu erhöhen, hat sich Braun zwei Frauen ins Boot geholt, die für einen neuen Anfang stehen könnten. Da ist zum einen die frisch gewählte Abgeordnete Serap Güler, 41 Jahre alt, verheiratet, Kölnerin und bis vor kurzem Staatssekretärin für Integration im Nrw-kabinett von Armin Laschet. Sie soll Cdugeneralsekretärin werden und steht für so etwas wie die Sozialdemokratisierung der Christdemokraten. Sie sei das Kind einer Arbeiterfamilie, betont Güler. Der Vater war Bergmann, die Mutter ging putzen, wie auch später sie selbst, um sich nebenbei Geld zu verdienen. „Ich weiß aus eigener Erfahrung sehr wohl, was es heißt, hart zu arbeiten“, sagt sie und das klingt der Vorrede von Helge Braun nicht unähnlich.
Der hatte betont, dass die Sorgen der „hart arbeitenden Bevölkerung“für die CDU stets „ein Herzensanliegen“sein müsse. Wobei der Kandidat nicht zu erwähnen vergisst, dass „auch die konservativen Wurzeln“der CDU hinreichend deutlich werden müssten.
Für den Blick in die Zukunft steht auch Nadine Schön, 38 Jahre alt, verheiratet und Mutter zweier Söhne. Die Saarländerin hatte den Wiedereinzug in den Bundestag zunächst verpasst und rückte dann nach, als durch den Mandatsverzicht von Annegret Kramp-karrenbauer und Peter Altmaier Plätze frei wurden. Schön ist unter anderem Fachfrau für Digitalpolitik, sie soll als „Leiterin Programm- und Strukturentwicklung“Pläne etwa für eine Reform von Staat und Verwaltung entwickeln, will aber „auch die eigene Parteiarbeit modernisieren und reformieren“. Sie will „jenseits der etablierten Strukturen“Beteiligungsmöglichkeiten für die Mitglieder schaffen, die über unregelmäßige Befragungen weit hinausgehen. „Wir wollen auch moderner und experimentierfreudiger werden“, sagt Schön, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist – und an dieser Stelle nicht nach Höherem strebt. Fraktionschef soll, so wünscht es sich zumindest Helge Braun, Ralph Brinkhaus bleiben.
Braun hat zwei Monate Zeit, die Mehrheit der rund 400000 Cdumitglieder hinter sich zu versammeln. Beim Parteitag am 21. Januar – von dem Braun hofft, es möge trotz Corona eine Präsenzveranstaltung werden – wird sich entscheiden, ob er vom Kanzleramt ins Konrad-adenauer-haus wechselt. Oder ob er die Zeit bekommt, ab und an im Rettungswagen mitzufahren.