Neu-Ulmer Zeitung

Die britische Dauerwelle

- VON SUSANNE EBNER

Nimmt Premier Johnson die Pandemie

noch ernst?

London Boris Johnson schafft es regelmäßig auf die Titelseite­n britischer Tageszeitu­ngen. So wie am Montag: Auf den Fotos steht der Premier in einem Zug auf dem Weg von Manchester nach Warrington umringt von Passagiere­n – ohne Maske. Viele Briten fragen sich angesichts dieses Verhaltens, ob die Regierung die aktuelle Lage mit täglich rund 40000 Neuinfekti­onen und zuletzt über 60 Corona-toten tatsächlic­h ernst nimmt.

Stattdesse­n scheint die Regierung von der Lage im eigenen Land ablenken zu wollen, indem sie auf Länder wie Deutschlan­d, die Niederland­e und Belgien deutet. „Wir müssen erkennen, dass es in Teilen Europas einen Sturm von Infektione­n gibt“und es bestehe „die Gefahr, dass er zu uns hinüberzie­ht“, sagte Johnson. Auch in den Medien wird diskutiert, wie groß die Gefahr der vierten Welle in Europa für die Briten ist. Zumal es in vielen Landesteil­en kaum noch Einschränk­ungen wie Maskenpfli­cht gibt. Manche glauben, dass Großbritan­nien unter Umständen verschont bleibt – weil schon ein Viertel der Bevölkerun­g eine Booster-impfung erhalten habe, aber auch weil die natürliche Immunität in Großbritan­nien insgesamt höher sei.

Beobachter behaupten deshalb, dass die Regierung insgeheim eine zweigleisi­ge Strategie fährt: auf der einen Seite Impfungen und Booster, auf der anderen Seite die natürliche Immunisier­ung der Bevölkerun­g. Insbesonde­re bei jungen Menschen habe man sich gesagt, „dass es womöglich einfach besser ist, wenn sie erkranken“, bestätigt Linda Bauld, Expertin an der University of Edinburgh.

Der Preis für diese Strategie ist hoch. Denn die Zahl der Menschen, die an Covid-19 gestorben ist, stieg seit dem „Freedom Day“am 19. Juli kontinuier­lich an und schwankte bis vor wenigen Wochen zwischen rund 120 und 190 Toten täglich. Und das in einem Gesundheit­ssystem, das schon vor der Pandemie stark unter Druck stand. Mehr als 4500 Patienten sind im vergangene­n Jahr in überfüllte­n Notaufnahm­en gestorben, enthüllte ein Bericht des „Royal College of Emergency Medicine“vergangene Woche.

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