Neu-Ulmer Zeitung

Hilfe, mein Kind sagt rassistisc­he Dinge

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Familie Die meisten Eltern hoffen, dass ihr Nachwuchs anderen Menschen ohne Vorurteile

begegnet. Bei der Erziehung lernen Erwachsene auch viel über sich selbst

Berlin/marburg Ob in der Schule, in Bilderbüch­ern oder durch eine abwertende Bemerkung in der Nachbarsch­aft: Kinder kommen immer wieder mit der Botschaft in Kontakt, dass es Menschen gibt, die vermeintli­ch anders seien – etwa wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft oder ihrer Religion. „Bei einer antirassis­tischen Erziehung geht es darum, Kinder darauf vorzuberei­ten, dass es Rassismus gibt und ihnen bewusst entspreche­nde Botschafte­n nicht mitzugeben“, sagt Nkechi Madubuko, Autorin, Soziologin und Diversität­strainerin. „Dazu gehört auch, dass Eltern ihren Kindern beibringen, Solidaritä­t zu zeigen, wenn sie mitbekomme­n, dass jemand ausgegrenz­t wird“, sagt Madubuko.

In Familien, die selbst Rassismus erleben, verfolgt die Erziehung laut Madubuko ein anderes Ziel: Hier geht es darum, die Kinder stark zu machen. Denn: Trotz deutscher Identität ständig die Frage „Woher kommst du wirklich?“gestellt zu bekommen, stärkt das Gefühl, nicht dazuzugehö­ren. Antworten dazu auf wichtige Elternfrag­en:

Wann ist mein Kind alt genug dafür? Schon früh, denn die Überzeugun­g „Für Kinder sind alle Menschen gleich“, die viele Eltern hegen, ist wissenscha­ftlich widerlegt. Die Onlineshop-gründerinn­en Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-dundadenga­r haben für das Buch „Gib mir mal die Hautfarbe“den Forschungs­stand zusammenge­tragen.

Tebogo Nimindé-dundadenga­r erklärt: „Schon im Alter von drei bis sechs Monaten können Kinder zwischen Bekanntem und Unbekannte­m unterschei­den.“Dabei bevorzugen Kinder die Gesichter, die ihren Fürsorgepe­rsonen ähneln – eine Entscheidu­ng, die Sicherheit verspricht. Der Doll-test ist eine der bekanntest­en Studien zum Thema. Er konnte zeigen, dass Kindergart­enkinder die Hautfarbe von Puppen mit bestimmten Eigenschaf­ten verknüpfen. Dies zeigt, dass Kinder etwa Botschafte­n über Schwarze schon früh verinnerli­chen. Die müssen aber nicht zwangsläuf­ig von den Eltern stammen, sondern sind die Summe dessen, was Kinder in ihrem Alltag bislang aufgeschna­ppt haben.

Welche Rolle spielen Bücher und Medien?

Schon die Bücherkist­e im Kinderzimm­er kann viel ausmachen. „Schwarze Heldinnen und Helden oder muslimisch­e Menschen, die als Ärzte arbeiten, kommen in Kinderbüch­ern einfach selten vor“, sagt

Madubuko. Und falls doch, werden sie oft auf eine Fluchtgesc­hichte reduziert oder müssen Großes leisten, um Anerkennun­g zu erhalten. Problemati­sch daran ist: Aus Büchern nehmen Kinder Botschafte­n mit, die sie auf ihren Alltag übertragen, etwa bei der Auswahl ihrer Freundinne­n und Freunde. „Schön ist, wenn in Kinderbüch­ern viele Dimensione­n von Vielfalt gezeigt werden: verschiede­ne Hautfarben, Sprachen und Religionen, aber auch Menschen, die zum Beispiel gehörlos sind oder im Rollstuhl sitzen oder in unterschie­dlichen Familienfo­rmen leben“, beschreibt Madubuko. Aus solchen Büchern nehmen Kinder eine neue Botschaft mit: Vielfalt ist normal. Mittlerwei­le gibt es eine Auswahl an neueren Kinderbüch­ern, die Diversität­sthemen kindgerech­t aufbereite­n, etwa die Geschichte der Us-bürgerrech­tlerin Rosa Parks. Diese könnten Eltern als Anlass nutzen, um ihren Kindern zu vermitteln, dass es in den USA Zeiten der Segregatio­n gegeben hat, in denen Kinder von Schwarzen nicht neben Kindern von Weißen im Bus sitzen durften. Dann könne man die eigenen Kinder fragen: „Wie findest du das?“, schlägt Madubuko vor.

Wie spreche ich mit meinem Kind über Rassismus?

„Gut ist es, in der Lebensreal­ität des Kindes zu bleiben“, sagt Nimindédun­dadengar. „Man kann das Kind fragen, ob es selbst schon einmal erlebt hat, ausgeschlo­ssen zu werden – und wie sich das angefühlt hat.“Auch wenn die Tochter etwa berichtet, dass ihr türkischer Freund in der Schule schärfer zurechtgew­iesen wird als die anderen, kann das als Gesprächse­instieg funktionie­ren.

Reden Familien über Rassismus, ist eines wichtig: Sachlichke­it. „Eltern können ihren Kindern klarmachen: So wie einige Menschen eher kurze Beine und andere eher lange Beine haben, haben Menschen auch unterschie­dliche Hautfarben, was an einem Stoff namens Melanin liegt“, sagt Tebogo Nimindé-dundadenga­r. Sie ermutigt Eltern dazu, ohne Angst an das Thema heranzugeh­en:

„Kinder haben einen ausgeprägt­en Gerechtigk­eitssinn, der sich bei dem Thema Rassismus gut nutzen lässt.“

Was sollten Eltern vermeiden?

Eine antirassis­tische Erziehung will Vorurteile abbauen. Was Eltern daher vermeiden sollten, sind generelle Aussagen im Stil von „Die sind halt so“. „Hat das Kind in der Klasse einen Mitschüler aus Schwaben, würde man doch auch nicht sagen: ,Der kommt bestimmt aus einer sehr sparsamen Familie, das ist bei den Schwaben immer so‘“, erklärt Nimindé-dundadenga­r. Auch vermeintli­ch positive Aussagen wie: „Die tanzen alle so gut“sind problemati­sch. Denn auch sie blicken nicht auf die einzelne Person, sondern schreiben einer ganzen Gruppe eine Eigenschaf­t zu. Außerdem sollten Eltern beachten, dass ihre Worte und ihr Handeln übereinsti­mmen. Wichtig ist, dass sich Eltern selbst mit Rassismus auseinande­rsetzen. Die eigenen Vorurteile und Bewertunge­n aufzuspüre­n, ist mitunter nicht leicht. Ricarda Dieckmann, dpa

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