Neu-Ulmer Zeitung

Friede, Freude, Trennung

- VON FRANZ NEUHÄUSER

Musikfilm Die neue Doku „Get Back“von Starregiss­eur Peter Jackson spürt den Beatles nach, vor allem ihrem Zerfall

als Band. Das versuchte auch bereits vor über 50 Jahren der Film „Let It Be“. Der Vergleich ist aufschluss­reich

Was tun, wenn es kriselt? Wenn der Mitspieler nur noch nervt, wenn die Zusammenar­beit keine mehr ist? Vor diesen Fragen standen die Beatles Ende 1968. Ihre damals neueste Platte, das „Weiße Album“, war kaum noch ein Gemeinscha­ftswerk, eher ein Sammelsuri­um aus dem Schaffen der Solisten Lennon, Mccartney, Harrison und Starr. Sollte es, konnte es so weitergehe­n?

Paul Mccartney hatte wohl die Idee. Was Neues wagen. Wobei das Neue ein Zurück-zu-den-anfängen sein sollte. Also: Wieder gemeinsam spielen. Wie früher. Ganz einfach. Ohne Studiotric­ks. Ein Album machen, das Basis für einen Live-auftritt sein soll. Seit 1966 hatten sie nicht mehr vor Publikum gespielt. Und das alles, die Plattenauf­nahmen, das Konzert, sollte in einem Film festgehalt­en werden. Damit der Welt – und wohl vor allem sich selber – bewiesen wäre: Die Beatles existieren und funktionie­ren noch.

So starteten im Januar 1969 die Aufnahmen für „Let It Be“, das Al- bum und den Film. Über Jahrzehnte hinweg galt das Unternehme­n als Musterbeis­piel für eine schrecklic­h missglückt­e Gruppenthe­rapie.

Als der Film 1970 in die Kinos kam, war die Trennung der Beatles gerade offiziell geworden. „Let It Be“schien den Zerfall zu dokumentie­ren. Die Szenen, die die Fab Four bei der Studioarbe­it zeigen, verströmte­n ein Klima der Kälte und der Spannung. Bizarr die Momente, in denen Lennons Muse Yoko Ono neben den Musikern sitzt, scheinbar nur für Lennon existent, von den anderen wie ein unsichtbar­er Geist ignoriert. Etwas freundlich­er wurde die Stimmung erst, als der amerikanis­che Keyboard-spieler Billy Preston ins Studio geholt wurde. Er durfte auch beim Höhepunkt des Films, dem Kurzkonzer­t auf dem Dach des Band-büros, mit von der Partie sein. In Prestons Gegenwart wollten sich die Beatles dann doch nicht zoffen. Aber ohne ihn…

Legendär die Szene, in der ein offensicht­lich ziemlich angefresse­ner George Harrison zu Paul Mccartney sagt, er werde spielen, was der von ihm verlange. Und er werde auch gar nicht spielen, wenn Mccartney das wolle. Der gefrustete Harrison boykottier­te die Sessions sogar für einige Tage. Von Trennung war die Rede. Die Rest-beatles sollen damals schon über einen Nachfolger für ihn beraten haben.

Das ist in dem Film aber nicht zu sehen. Überhaupt musste Regisseur Michael Lindsay-hogg sein Werk vor der Premiere stark kürzen. Auf Wunsch der Beatles, denen die angeblich düstere Grundstimm­ung gar nicht behagte. Die wollte sich aber auch nach den Schnitten nicht richtig aufhellen. „Let It Be“kam zwar in die Kinos, gewann sogar einen Oscar für die Musik, blieb aber ein von den Beatles ungeliebte­s Kind. Als DVD oder Blu-ray ist der Streifen heute offiziell nicht erhältlich. Mccartney und Starr sowie die

Nachlassve­rwalter von John Lennon und George Harrison haben sich immer wieder gegen Veröffentl­ichungen gesperrt.

Erstaunlic­h war deshalb die Nachricht, dass der Filmregiss­eur Peter Jackson die Erlaubnis erhalten hatte, die Geschehnis­se neu aufzuarbei­ten. Für die Dreharbeit­en 1969 waren fast 60 Stunden Filmmateri­al belichtet worden. Jackson hat sie gesichtet. Monumental­e Projekte sind sein Metier. Der Neuseeländ­er ist als Schöpfer der „Herr der Ringe“-reihe zu Ruhm gekommen. Aus dem historisch­en Rohmateria­l für „Let It Be“hat er eine dreiteilig­e Mammut-doku montiert, insgesamt rund acht Stunden lang. Ab Donnerstag ist sie unter dem Titel „Get Back“auf dem Streaming Dienst „Disney +“zu sehen.

Der Clou an der Sache: Jackson behauptet, es sei alles ganz anders gewesen. Anders jedenfalls, als es „Let It Be“gezeigt habe. „Ich habe das Material angeschaut. Ich habe darauf gewartet, dass es schlimm wird. Ich habe darauf gewartet, dass die Geschichte, an die ich die ganzen Jahre über geglaubt habe, dass die losgeht … die Streiterei­en … die Unzufriede­nheit.“Aber das sei nicht zu finden gewesen. Sein Fazit: „Da sind keine Kerle, die sich nicht ausstehen können.“

Wobei Jackson zugeben muss, dass selbst Paul Mccartney und Ringo Starr, die beiden noch lebenden Beatles, dies anders im Gedächtnis haben. Ja, ihre Erinnerung­en an das „Let It Be“-projekt seien „trist und unglücklic­h“. Aber er habe ihnen gesagt: „Was immer ihr auch glaubt, was eure Erinnerung­en sind: Das hier ist die Wahrheit. Schaut es euch an.“Friede, Freude, Trennung also. Oder?

Michael Lindsay-hogg, der Schöpfer des „Let It Be“-originals hält dagegen. Zum einen sei sein Film gar nicht so düster. Er zeige auch „leichte“Szenen. Wenn einer wie Ringo Starr sich daran nicht erinnern könne, dann deshalb, weil er den Film seit 50 Jahren nicht mehr gesehen habe. Und zum anderen sei es nun mal so: „Wenn du konzentrie­rt an etwas arbeitest, dann hast du nicht immer ein Lächeln im Gesicht.“

Lindsay-hogg hofft, dass auch seine Filmversio­n im Zuge des Revivals wieder zu sehen sein wird. Darauf deutet im Moment aber nichts hin. Die Antreiber der Marketing-maschineri­e setzen auf andere Schwerpunk­te. Neben der Doku gibt es die Platte in verschiede­nen Versionen, Deluxe bis Super-superdelux­e zu Preisen zwischen 20 und 143 Euro. Und ein wuchtiges Buch für 44 Euro, in der die Dokumentat­ion noch mal nachgelese­n und nachgescha­ut werden kann. Die Trennung der Beatles – auch 50 Jahre danach noch eine Erfolgsges­chichte.

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