Der Zirkus rund um Wotan
Oper Stuttgart startet einen neuen „Ring des Nibelungen“. Im „Rheingold“mangelt es schwer an weltanschaulicher Deutung
Stuttgart Schon einmal, um die Jahrtausendwende, wurde an der Staatsoper Stuttgart – ganz unüblich – ein perspektivenreicher „Ring des Nibelungen“durch insgesamt vier Regisseure geschmiedet. Nun wiederholt das Haus diese Praxis noch einmal – wobei jedoch die seinerzeit hoch gelobte „Siegfried“-produktion (Jossi Wieler und Sergio Morabito) wieder aufgenommen, also integriert wird und die kommende „Walküre“sich gleich drei Regieteams teilen.
Den Start mit „Rheingold“jetzt übernahm Regisseur Stephan Kimmig, der als Resonanz eine sich über zweieinhalb Stunden aufbauende Publikumsablehnung hinnehmen musste. Es war aber auch ziemlich belanglos, ziemlich dürftig, was ihm weltanschaulich eingefallen war zu Richard Wagners Parabel und Antagonismus von Liebe einerseits, Geld und Macht andererseits. Es war ihm ein Jahrmarkts-, Zirkus- und Varieté-milieu eingefallen, in dem „Rheingold“als Stück mehr oder minder gekonnt nachgespielt beziehungsweise geprobt wird.
Ausgangspunkt sind für Kimmig zweierlei Setzungen: Erstens sah diese Jahrmarktwelt schon einmal bessere Tage, und nun steht also mit „Rheingold“ein Neustart, ein Wiederaufbau nach dem Zusammenbruch bevor; und zweitens fördern die drei Rheintöchter, die Alberich das teils bereits verarbeitete Gold nachgerade zuschieben, nicht nur mutwillig, dass das neue Spiel wie das alte verlaufe, sondern verfolgen und analysieren es aufzeichnend dann auch als Experimental-laborkräfte.
Nur führt das eine wie das andere zu keiner Neuerkenntnis an diesem Vorabend der Tetralogie. Und es führt auch zu keiner Neuerkenntnis, wenn ein Zirkusdirektor den Göttervater Wotan gibt, Mime als Clown auftritt, Alberich wie in einer Messerwerfer-nummer auf eine rotierende Scheibe montiert wird, Donner und Froh ihren Auftritt im schnittigen Gokart erhalten, die Riesen im Gabelstapler anrollen.
Ist alles erlaubt. Aber nicht alles, was erlaubt ist, bekommt automatisch tieferen Sinn. Vor allem, wenn die Inszenierung mit einem Zitat Wagners als Einblendung vollmundig startet: „Zerstören will ich die bestehende Ordnung der Dinge, welche die einige Menschheit in ...
Mächtige und Schwache, in Reiche und Arme teilt ...“Was daraus folgt für die Inszenierung? Nichts.
Manchmal geht auch beabsichtigt was schief beim Spiel im Spiel – oder bei der Probe zum Spiel. Dann landet die Aufführung direkt im Talmi-theater des Jahrmarkts. Mit viel, viel gutem Willen ließe sich das als Korrektiv zum raunenden Mythos Wagners begreifen, aber eigentlich blinzelt dieser Manegenabend mit seinen zwei wirklichen Artistinnen und vielen Tuschs der Kapelle viel zu bunt und vergnügt, als dass man ihm so etwas wie Insubordination unterstellen dürfte. Er ist ein profanisierter Wagner.
Retten kann das auch nicht Loge, der hier schön anzüglich mit Michel-houellebecqu-haupthaar und einem Druckgasbehälter seiner Arbeit an der Zwietracht nachkommt: halb Brandbeschleuniger, halb Brandlöscher. Das wenigstens ist bildhaft-scharfsinnig in Szene gesetzt. Wohingegen Erdgöttin Erda mit dem Radl auf die Bühne rollt. Ach Gottchen.
Es dirigiert GMD Cornelius Meister. Sein „Rheingold“blieb ambivalent: Das Orchester diente – bei fehlbaren Einwürfen von Horn und Trompete – in erster Linie und bewundernswert dem Musikdrama sowie den vielen hauseigenen, rollendebütierenden Solisten; andererseits darf es ruhig noch an kommentierendem Eigengewicht zulegen. Gesungen wurde durchweg auf hohem Niveau; stellvertretend seien Matthias Klink (Loge), Rachael Wilson (Fricka) und Goran Juric (Wotan) genannt.