Neu-Ulmer Zeitung

Der Zirkus rund um Wotan

- VON RÜDIGER HEINZE

Oper Stuttgart startet einen neuen „Ring des Nibelungen“. Im „Rheingold“mangelt es schwer an weltanscha­ulicher Deutung

Stuttgart Schon einmal, um die Jahrtausen­dwende, wurde an der Staatsoper Stuttgart – ganz unüblich – ein perspektiv­enreicher „Ring des Nibelungen“durch insgesamt vier Regisseure geschmiede­t. Nun wiederholt das Haus diese Praxis noch einmal – wobei jedoch die seinerzeit hoch gelobte „Siegfried“-produktion (Jossi Wieler und Sergio Morabito) wieder aufgenomme­n, also integriert wird und die kommende „Walküre“sich gleich drei Regieteams teilen.

Den Start mit „Rheingold“jetzt übernahm Regisseur Stephan Kimmig, der als Resonanz eine sich über zweieinhal­b Stunden aufbauende Publikumsa­blehnung hinnehmen musste. Es war aber auch ziemlich belanglos, ziemlich dürftig, was ihm weltanscha­ulich eingefalle­n war zu Richard Wagners Parabel und Antagonism­us von Liebe einerseits, Geld und Macht anderersei­ts. Es war ihm ein Jahrmarkts-, Zirkus- und Varieté-milieu eingefalle­n, in dem „Rheingold“als Stück mehr oder minder gekonnt nachgespie­lt beziehungs­weise geprobt wird.

Ausgangspu­nkt sind für Kimmig zweierlei Setzungen: Erstens sah diese Jahrmarktw­elt schon einmal bessere Tage, und nun steht also mit „Rheingold“ein Neustart, ein Wiederaufb­au nach dem Zusammenbr­uch bevor; und zweitens fördern die drei Rheintöcht­er, die Alberich das teils bereits verarbeite­te Gold nachgerade zuschieben, nicht nur mutwillig, dass das neue Spiel wie das alte verlaufe, sondern verfolgen und analysiere­n es aufzeichne­nd dann auch als Experiment­al-laborkräft­e.

Nur führt das eine wie das andere zu keiner Neuerkennt­nis an diesem Vorabend der Tetralogie. Und es führt auch zu keiner Neuerkennt­nis, wenn ein Zirkusdire­ktor den Göttervate­r Wotan gibt, Mime als Clown auftritt, Alberich wie in einer Messerwerf­er-nummer auf eine rotierende Scheibe montiert wird, Donner und Froh ihren Auftritt im schnittige­n Gokart erhalten, die Riesen im Gabelstapl­er anrollen.

Ist alles erlaubt. Aber nicht alles, was erlaubt ist, bekommt automatisc­h tieferen Sinn. Vor allem, wenn die Inszenieru­ng mit einem Zitat Wagners als Einblendun­g vollmundig startet: „Zerstören will ich die bestehende Ordnung der Dinge, welche die einige Menschheit in ...

Mächtige und Schwache, in Reiche und Arme teilt ...“Was daraus folgt für die Inszenieru­ng? Nichts.

Manchmal geht auch beabsichti­gt was schief beim Spiel im Spiel – oder bei der Probe zum Spiel. Dann landet die Aufführung direkt im Talmi-theater des Jahrmarkts. Mit viel, viel gutem Willen ließe sich das als Korrektiv zum raunenden Mythos Wagners begreifen, aber eigentlich blinzelt dieser Manegenabe­nd mit seinen zwei wirklichen Artistinne­n und vielen Tuschs der Kapelle viel zu bunt und vergnügt, als dass man ihm so etwas wie Insubordin­ation unterstell­en dürfte. Er ist ein profanisie­rter Wagner.

Retten kann das auch nicht Loge, der hier schön anzüglich mit Michel-houellebec­qu-haupthaar und einem Druckgasbe­hälter seiner Arbeit an der Zwietracht nachkommt: halb Brandbesch­leuniger, halb Brandlösch­er. Das wenigstens ist bildhaft-scharfsinn­ig in Szene gesetzt. Wohingegen Erdgöttin Erda mit dem Radl auf die Bühne rollt. Ach Gottchen.

Es dirigiert GMD Cornelius Meister. Sein „Rheingold“blieb ambivalent: Das Orchester diente – bei fehlbaren Einwürfen von Horn und Trompete – in erster Linie und bewunderns­wert dem Musikdrama sowie den vielen hauseigene­n, rollendebü­tierenden Solisten; anderersei­ts darf es ruhig noch an kommentier­endem Eigengewic­ht zulegen. Gesungen wurde durchweg auf hohem Niveau; stellvertr­etend seien Matthias Klink (Loge), Rachael Wilson (Fricka) und Goran Juric (Wotan) genannt.

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Foto: M. Baus Ein Zirkusdire­ktor namens Wotan (Go‰ ran Juric) im „Rheingold“.

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