Neu-Ulmer Zeitung

Bücherwelt wird Bühnenwelt

- VON BIRGIT MÜLLER‰BARDORFF

Premiere Wie aus einem opulenten Roman ein kurzweilig­es Theaterstü­ck wird: „Tintenherz“am Staatsthea­ter Augsburg

Augsburg „Bücher müssen schwer sein, weil die ganze Welt darin steckt“, weiß die zwölfjähri­ge Meggie. Wer diese Erfahrung auch schon gemacht hat, kann sich vorstellen, wie schwer das kleine rosa Köfferchen wird, das Meggie gerade zusammenpa­ckt. Band um Band verschwind­en darin, und der Stapel unter dem Kopfkissen muss auch noch hinein. Mit ihrem Bestseller „Tintenherz“hat Cornelia Funke eine Liebeserkl­ärung an die Magie des Lesens und die Kraft der Imaginatio­n geschriebe­n. Und die verliert ihre Wirkung auch nicht, wenn sie auf die Theaterbüh­ne kommt, wie nun beim Staatsthea­ter Augsburg im Martinipar­k zu erleben ist.

Großen Anteil daran hat die 2004 uraufgefüh­rte Bühnenfass­ung Robert Koalls, der es geschafft hat, die opulente Handlung mit ihrer Fülle an Figuren auf das Wesentlich­e zu beschränke­n und in ein 80-minütiges Theaterstü­ck für Kinder ab acht Jahren zu fassen. Im Mittelpunk­t steht der Kampf gegen den üblen Capricorn und seine Handlanger, die versuchen, den Buchbinder Mo und seine Tochter Meggie in ihre Gewalt zu bringen. Denn Mo besitzt die Fähigkeit, Geschichte­n durch Vorlesen zum Leben zu erwecken, und das will Capricorn für seine Zwecke nutzen. Nach und nach entschlüss­elt sich, dass der Bösewicht und seine Bande ebenso wie der mysteriöse Staubfinge­r Figuren sind, die „Zauberzung­e“Mo aus dem Buch „Tintenherz“in die Wirklichke­it gelesen hat. Dafür ist seine Frau, Meggies Mutter, in dem Buch verschwund­en. Zusammen mit der kapriziöse­n Tante Elinor schmieden sie einen Plan, wie sie Capricorn ausschalte­n. Doch dafür muss der Dichter Fenoglio erst einmal die Geschichte umschreibe­n.

Bis diese Handlung in Gang kommt, dauert es allerdings in Teresa Rotembergs Inszenieru­ng. Dafür lässt sie die Figuren in ihren Eigenarten und Spleens gleich lebendig werden: die Büchernärr­in Meggie (Rebekka Reinholz), die auch unter der Bettdecke und in der Badewanne noch liest und am liebsten Geschichte­n mit „Heldinnenm­ut“mag; ihren Vater Mo (Thomas Prazak), für den Bücher eine Kostbarkei­t sind, weshalb man keinesfall­s Käsescheib­en darin lagern sollte; die aufgekratz­te Tante Elinor (Jenny Langner), die mit ihrem Hintern wackelt und gern „verflixte Kiste“flucht. In ihrer Figurenzei­chnung löst sich Rotemberg mitunter von der literarisc­hen Vorlage und macht aus dem charismati­schen Gaukler Staubfinge­r einen diabolisch­en Marylin-manson-verschnitt mit Stahlkette um den Hals, weiß geschminkt­em Gesicht und schwarzen ins Gesicht fallenden Haarsträhn­en (Paul Langemann). Auch die Handlanger Capricorns (Julius Kuhn, Anatol Käbisch, Kai Windhövel) sind bleiche Grufties, die wunderbar zwischen schreiende­m Droh-gehabe und Hasenfuß-gezitter changieren.

Das führt zu vielen köstlichen Szenen, in denen die Aufführung souverän die Waage hält zwischen Spannung und Humor, zwischen Ernsthafti­gkeit und Slapstick. Da wird gekämpft und getanzt und ehe man sich versieht, ist man mittendrin in einem großartige­n Showdown in Slow Motion, den die Schauspiel­er mit großer Präzision zum spannenden Höhepunkt des Stückes machen. Der ist auch deshalb so wirkungsvo­ll, weil die Regisseuri­n ihre Inszenieru­ng nicht mit Spezialeff­ekten überfracht­et und zum Spektakel macht. Mit eingängige­n Liedern (Andreas Binder) und einem atmosphäri­schen Bühnenbild mit meterhohen Regalen oder einem aufgeklapp­ten Buch als Kulisse für das Dorf Capricorns (Bühne/kostüme Sabina Moncys) werden Ohren und Augen des Publikums trotzdem in Bann gezogen. „Verflixte Kiste“, macht das Spaß.

Nächste Vorstellun­g mit öffentli‰ chem Vorverkauf am 28. November.

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Foto: Jan‰pieter Fuhr Rebekka Reinholz als Meggie in „Tinten‰ herz“.

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