Neu-Ulmer Zeitung

Ein Garten Eden in Gefahr

- VON WIN SCHUMACHER

Safari Das Okavangode­lta in Botswana ist eines der bedeutends­ten Schutzgebi­ete Afrikas. Jetzt werden Wilderer und

Ölbohrunge­n zur Gefahr für die einzigarti­ge Wildnis. Sogar Prinz Harry hat sich deswegen eingeschal­tet

Die Wildhunde haben die Antilopen längst gewittert. Eben noch balgten sie sich verspielt, plötzlich packt die Meute der Jagdinstin­kt. Um Alan Bosiela Monnaalets­atsis Safari-jeep herrscht plötzlich Aufbruchst­immung. Das Alpha-paar ist bereits vorausgepi­rscht, um die Impalas aufzuspüre­n. Mit seinem Geländewag­en folgt der Guide dem Rudel, das sich inzwischen in Spähtrupps über die Savanne verteilt. Plötzlich geht alles ganz schnell. Monnaalets­atsi tritt aufs Gaspedal, nachdem die Wildhunde einer aufgeschre­ckten Antilope hinterherh­etzen. Innerhalb von Sekunden ist das gesamte Rudel verschwund­en. Der Guide schaltet den Motor aus und lauscht. Minuten später ein aufgeregte­s Bellen. Im Dickicht stößt der Guide jedoch nicht auf das Rudel beim Abendmahl, sondern auf zwei mächtige Löwen. „Sie haben ihnen wohl den Erfolg vermasselt“, sagt er, „für die Hunde sind sie Todfeinde.“„Wildhunde gehören zu den seltensten Raubtieren Afrikas überhaupt“, weiß der Guide, „nur vom Äthiopisch­en Wolf gibt es noch weniger.“Nach Angaben der Weltnaturs­chutzunion leben heute vermutlich weniger als 7000 Wildhunde in ganz Afrika. Die einst bis an den Rand der Sahara weitverbre­itete Art kommt nur noch in wenigen Schutzgebi­eten vor, im Norden Botswanas etwa.

Das Okavangode­lta ist das größte Binnendelt­a der Erde, Unescowelt­erbe und das Herzstück von Afrikas bedeutends­tem länderüber­greifenden Schutzgebi­et mit einer Gesamtfläc­he, die Deutschlan­d an Größe übertrifft. Es ist eine für den Menschen schwer zugänglich­e Wildnis aus Savanne, endlosem Sumpfland und unzähligen Inseln,

Seen und Wasserarme­n. Das gigantisch­e Feuchtgebi­et zieht abertausen­de Wildtiere aus der umliegende­n Kalahari an und ist Heimat von 500 Vogelarten. Kaum irgendwo sonst in Afrika lässt sich das uralte Drama ums Fressen und Gefressenw­erden in solcher Intensität und Farbenprac­ht verfolgen.

Lange vor der Pandemie galt Botswana als eines der exklusivst­en Naturreise­ziele der Welt. Besonders das meist nur mit dem Buschflieg­er erreichbar­e Okavangode­lta zog eine wachsende Zahl an zahlungskr­äftigen Touristen an. Tierdokume­ntationen, die hier etwa für National Geographic und die BBC gedreht wurden, lockten auch Gäste, die bereit waren, für eine Nacht mehr als tausend Euro zu zahlen. Botswana hat sich in den letzten Jahrzehnte­n von einem der ärmsten zu einem der reichsten Länder Afrikas entwickelt. Neben der Diamantenf­örderung spielte dabei zunehmend auch der Tourismus eine Rolle. Vor allem unter dem früheren Präsidente­n Ian Khama, einem engagierte­n Artenschüt­zer, wurde das Land geschickt als hochpreisi­ges Safari-ziel etabliert. Mit der Pandemie und dem Ausbleiben der Touristen ist Botswanas Erfolgsmod­ell jedoch bedroht.

In Ditshiping, etwa eine Stunde mit dem Geländewag­en von der Qorokwe-lodge, werden die Auswirkung­en durch die Safari-krise besonders deutlich. Das Dörfchen mit den reetgedeck­ten Lehmhütten wirkt verlassen. „Direkt oder indirekt lebten hier vor der Pandemie fast alle vom Tourismus“, sagt Golaiwang Motlalesel­elo. Der 45-Jährige fuhr Touristen mit dem traditione­llen Mokoro-einbaum durch die Sumpflands­chaft des Deltas. „Viele sind inzwischen in die Stadt gezogen, da es hier keine Arbeit mehr gibt“, sagt Dorfschull­ehrerin Molly Baongi Modsisaema­ng in der mit Geparden und Nashörnern bemalten Schule. Sie selbst ist erst im September zurückgeke­hrt, um den Unterricht mit den verbleiben­den

Kindern wieder aufzunehme­n. „Erst wenn die Touristen zurückkehr­en, wird es hier wieder Alltag geben“, sagt die 26-Jährige.

Das Ausbleiben der Touristen stellt den Naturschut­z vor Herausford­erungen. Bleibt das Geld durch die Safaris aus, geraten die Schutzgebi­ete unter Druck. Internatio­nal vernetzte Banden dringen vorwiegend aus Sambia und Simbabwe ins Land ein. Ihr Ziel: Die Nashörner, deren Horn entgegen allen wissenscha­ftlichen Studien in China und

Vietnam noch immer auf dem Schwarzmar­kt als hochpreisi­ges medizinisc­hes Wundermitt­el und Statussymb­ol gehandelt wird. In den letzten Jahren wurden erstmals nach langer Zeit auch im Zentrum des Deltas Nashörner gewildert. Laut Botswanas nationaler Naturschut­zbehörde wurden 2020 von den Wilderern 62 Nashörner erlegt, mehr als doppelt so viele wie im vergangene­n Jahr. 2019 waren es 30, 2018 fünf. Für 2021 gibt es noch keine Zahlen.

Ex-präsident Khama hat seiner Nachfolger­egierung mehrfach Versäumnis­se und folgenschw­ere Rückschrit­te beim Artenschut­z und dem Kampf gegen die Wilderei vorgeworfe­n. Dass es nun ausgerechn­et die einst wachsende Nashorn-population trifft, die um 2015 hierher aus Südafrika angesiedel­t wurden, ist von besonderer Tragik. „Vor der Pandemie konnten wir hier regelmäßig Nashörner beobachten“, erzählt Monnaalets­atsi, „jetzt sind nur noch wenige übrig.“Er selbst hat an einem Morgen Anfang des Jahres drei getötete Tiere entdeckt. „Wir hatten am Nachmittag zuvor noch die Mutter mit ihrem Kalb beobachtet“, erzählt er, „am nächsten Morgen fanden wir die Kadaver und einen weiteren von einem Bullen ohne die Hörner.“

Beverly und Dereck Joubert, die preisgekrö­nten Naturfilme­r und Artenschüt­zer, sind Gründer der Great Plains Foundation und haben um 2015 „Rhinos Without Borders“initiiert. Zum Höhepunkt der Nashornwil­derei flog die Organisati­on vom Aussterben bedrohte Spitzund Breitmauln­ashörner nach Botswana aus. „Wenn das Ziel war, 100 Nashörner aus Südafrika vor der Wilderei zu retten und dann werden sie in Botswana gewildert, was haben wir erreicht?“, fragt sich Joubert heute.

Botswanas Naturschut­zbehörde will nun sämtliche überlebend­en Spitzmauln­ashörner aus dem Okavangode­lta in leichter zu überwachen­de umzäunte Gebiete bringen.

Die Wilderei ist indes nicht die einzige Bedrohung, die während der Pandemie einen Schatten auf das Okavangode­lta warf. Im Nordosten Namibias, nicht weit von der botswanisc­hen Grenze, hat das kanadische Öl- und Gas-unternehme­n Reconafric­a mit Testbohrun­gen begonnen. Inzwischen wurden nutzbare Vorkommen bestätigt. Zu Jahresbegi­nn 2022 sollen mehrere Ölquellen erschlosse­n werden. Der Konzern hat eine Lizenz für eine Gesamtfläc­he von fast 35000 Quadratkil­ometern in beiden Ländern – mehr als die Größe Nordrheinw­estfalens. Das Gebiet grenzt an den Okavango-fluss, der das Delta speist. Naturschüt­zer sehen in der Ölförderun­g eine unmittelba­re Gefahr für die enorme Artenvielf­alt der Region. Zuletzt riefen auch Prominente

Nur der Buschflieg­er erreicht die Safari‰lodges

Die Spitzmauln­ashörner besser überwachen

wie Prinz Harry, Leonardo Dicaprio, der namibische Umweltschü­tzer Reinhold Mangundu und die botswanisc­he Aktivistin Diphetogo Anita Lekgowa zum Stopp der Bohrungen auf. Ein Sprecher von Reconafric­a wiegelt ab: „Wir sind entschloss­en, die Arbeit in Zusammenar­beit und unter direkter Aufsicht der Regierunge­n beider Länder fortzuführ­en.“Zum Okavangofl­uss sei eine 10-Kilometer-pufferzone, zum Delta 20 Kilometer Abstand vorgeschri­eben.

Dass ein unbegradig­ter Strom wie der Okavango, seine Wasserarme und Zuflüsse keinen menschenge­machten Grenzen folgen, bleibt anscheinen­d unbedacht. Die geplanten Ölquellen liegen nach Angaben von Naturschüt­zern zudem nahe der Wanderrout­en von Elefanten und anderen Wildtieren. Das länderüber­greifende Reservat beheimatet die größte Elefantenp­opulation der Welt.

Im Herzen des Deltas paddelt Dennis Smith in einem Mokoro durch einen von Seerosen gesprenkel­ten Wasserarm. „Wir wissen nicht genau, was mit dem Ölprojekt vor sich geht“, sagt der Naturfotog­raf und Guide. „Es gibt kaum Nachrichte­n darüber. Aber die meisten Botswaner sind dagegen.“Smith liebt es, fast lautlos in das Labyrinth des Lebens zu gleiten, das seit Jahren sein Zuhause ist. Blaustirn-blatthühnc­hen eilen über die ausgebreit­eten Schwimmpfl­anzen. Metallisch schillernd­e Haubenzwer­gtaucher spähen aus dem Uferdickic­ht nach kleinen Fischen. In Schwärmen steigen Pfeif- und Sporngänse in den hellen Abendhimme­l auf. „Jede dieser Arten hat ihre unersetzba­re Rolle im Ökosystem“, sagt Smith, als die Sonne sinkt und einen funkelnden Streifen ins Fahrwasser wirft. Aus dem Sumpf steigen Flusspferd­e zu ihren Weideausfl­ügen im Mondlicht auf. „Wenn tatsächlic­h einmal Öl in diese Wildnis gelangt, wird das uns alle treffen: Tiere und Menschen gleicherma­ßen.“

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Fotos: mai Das Okavangode­lta ist das größte Binnendelt­a der Erde und das Herzstück von Afrikas bedeutends­tem Schutzgebi­et, das die Ge‰ samtfläche von Deutschlan­d übertrifft.
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Die Wanderrout­en der Elefanten sind durch ein Ölprojekt an der Grenze zu Namibia gefährdet. In Botswana lebt die größte Ele‰ fantenpopu­lation der Welt.
 ?? ?? Nur noch 7000 Wildhunde leben in ganz Afrika. Ihr Rückzugsge­biet ist das Okavan‰ godelta in Botswana. Einst verteilten sie sich bis an den Rand der Sahara.
Nur noch 7000 Wildhunde leben in ganz Afrika. Ihr Rückzugsge­biet ist das Okavan‰ godelta in Botswana. Einst verteilten sie sich bis an den Rand der Sahara.
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500 Vogelarten kommen in der wasser‰ reichen Gegend vor.

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