Neu-Ulmer Zeitung

Tödliche Gewalt: Jeden dritten Tag stirbt eine Frau

- VON BERNHARD JUNGINGER

Studie Konflikte in Partnersch­aften eskalieren

häufiger. Das hat auch mit Corona zu tun

Berlin Die Zahl der angezeigte­n Gewalttate­n in Partnersch­aften wächst. Nach der aktuellen Statistik des Bundeskrim­inalamts (BKA) wurden im vergangene­n Jahr fast 147 000 Fälle registrier­t – das ist ein Anstieg von knapp fünf Prozent im Vergleich zum Jahr davor. Auch die Zahl der Todesopfer durch Partnersch­aftsgewalt erhöhte sich um 20 auf 169. Weiterhin sind im weitaus größten Teil der Fälle die Tatverdäch­tigen Männer. Doch der Anteil der weiblichen Verdächtig­en ist zuletzt etwas gestiegen und beträgt inzwischen knapp 21 Prozent. Erfasst werden Fälle von versuchten oder vollendete­n Körperverl­etzungsund Tötungsdel­ikten, Vergewalti­gung, Stalking oder Bedrohung in Partnersch­aften, die noch bestehen oder bereits beendet sind.

Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD), die kommissari­sch auch das Frauen- und Familienmi­nisterium leitet, sagte: „In jeder Stunde werden in Deutschlan­d durchschni­ttlich 13 Frauen Opfer einer Gewalttat. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau an den Folgen einer Gewalttat.“Noch immer sei das Thema mit gesellscha­ftlichen Tabus behaftet, dies verhindere, dass Betroffene Hilfe erhielten. „Ihr seid nicht allein“, appelliert­e sie an Gewaltopfe­r, sich an die Polizei oder Beratungss­tellen wie das Hilfetelef­on „Gewalt gegen Frauen“zu wenden. Dass eine hohe Zahl von Fällen unentdeckt bleibt, glaubt auch Bka-präsident Holger Münch: „Wir sehen nur, was bekannt geworden ist. Wir müssen aber von einem sehr erhebliche­n Dunkelfeld ausgehen.“Aus diesem Grund ist es laut Münch auch schwer nachzuweis­en, welche Auswirkung­en die Pandemie auf den Anstieg der Partnersch­aftsgewalt hatte. Im Vergleich zu den entspreche­nden Vorjahresz­eiträumen falle der Anstieg der Zahlen während der Phasen des Lockdowns nur gering aus. Das könne aber auch daran liegen, dass in Zeiten von Kontaktbes­chränkunge­n etwa Blutergüss­e oder andere Zeichen von Misshandlu­ng seltener durch Dritte erkannt würden. Für die Betroffene­n sei es auch schwierige­r, sich an die Behörden zu wenden, wenn der gewalttäti­ge Partner dauernd in der Nähe sei.

Deutliche Anzeichen, dass sich die Lage während der Pandemie verschlimm­ert hat, sieht Petra Söchting, die Leiterin des bundesweit­en Hilfetelef­ons „Gewalt gegen Frauen“. Ihren Angaben zufolge hat die Zahl der Beratungsg­espräche 2020 im Vergleich zum Vorjahr um rund 15 Prozent zugenommen. „In ohnehin konfliktbe­hafteten Beziehunge­n kann räumliche Enge zu einer Verschärfu­ng führen. Man kann sich dann schlichtwe­g nicht mehr aus dem Weg gehen“, sagte Söchting. Sie berichtete zudem von einer gestiegene­n Zahl von Anrufen aus akuten Notsituati­onen heraus, „bei denen dann gleich die Polizei dazugescha­ltet werden musste“.

Vor dem Internatio­nalen Tag gegen Gewalt an Frauen, der an diesem Donnerstag begangen wird, verstärkt die Bundesregi­erung ihre Anstrengun­gen zum Schutz von Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt. Für mehrere Projekte werden insgesamt 15 Millionen Euro neu bereitgest­ellt. Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) sagte unserer Redaktion: „Weltweit erlebt jede dritte Frau in ihrem Leben mindestens einmal körperlich­e oder sexualisie­rte Gewalt.“Die Corona-krise habe die Lage dramatisch verschärft: „Durch die Lockdowns ist häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen angestiege­n. Experten rechnen mit bis zu 30 Millionen weiteren Fällen.“Infolge der weltweiten Hunger- und Wirtschaft­skrise würden zudem geschätzt 13 Millionen Mädchen zu Früh- oder Zwangsheir­aten gedrängt. Müller wörtlich: „Das können wir nicht einfach so hinnehmen.“

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