Neu-Ulmer Zeitung

Die Kultur muss erneut einen schweren Schlag verkraften

- VON STEFAN DOSCH

Leitartike­l Vor allem kleinen Bühnen setzt die pauschale Grenze von 25 Prozent

Auslastung zu. Und wieder gibt es ein Ungleichge­wicht zu anderen Branchen

Tagesaktue­ller Test, strenge Nachweisko­ntrolle, Maske am Sitzplatz, wenn man ins Kino, ins Konzert, ins Theater will: Die Gespenster, die der Kultur nach dem Lockdown vom letzten Winter das Leben schwermach­ten, sind zurück. Schmerzlic­h kurz war der Sommer unseres Live-vergnügens, konnten Künstlerin­nen und Künstler, Veranstalt­er und Publikum sich freuen über einen herbstlich­en Saisonstar­t fast wie zu Vorcorona-zeiten. Nun aber steht ein Winter neuerliche­n Missbehage­ns bevor in Reaktion auf das sich zuspitzend­e Infektions­geschehen.

Von diesem Mittwoch an gilt in Bayern 2G plus für Kulturvera­nstaltunge­n, nur noch getesteten Geimpften und Genesenen ist der Zutritt erlaubt. Dazu kommt, dass Veranstalt­ungsräume lediglich noch mit 25 Prozent ihrer eigentlich­en Besucherka­pazität belegt werden dürfen – ein Zustand, an den man sich mit Schaudern erinnert aus der Zeit der ersten Gehversuch­e der Kultur nach der Wiederzula­ssung im Frühjahr.

Kein ernst zu nehmender Teilhaber am Kulturlebe­n wird in Abrede stellen, dass in der augenblick­lichen Situation auch die Kultur, die Kreativen ebenso wie das Publikum, ihren Beitrag zu leisten hat zur Eindämmung der Pandemie. Doch solche Einsicht kann die Branche nicht davon abhalten, einmal mehr den Kopf darüber zu schütteln, mit welch grobem Schergerät die Politik auch jetzt wieder dem kulturelle­n Leben zusetzt.

Vor allem stößt auf, dass die Festlegung auf 25 Prozent der Publikumsk­apazität pauschal gelten soll, ohne Ansehen der tatsächlic­hen Situation vor Ort. Mögen staatliche oder städtische Einrichtun­gen die Regelung noch einigermaß­en verkraften, so ist die Deckelung für die freie Szene mit ihren überwiegen­d klein dimensioni­erten Häusern fatal. Wer nur für 80 oder 100 Gäste bestuhlen kann, für den ist der Betrieb vor vielleicht nicht einmal mehr zwei Dutzend zahlenden Gästen kaum mehr rentabel. Was nicht selten den Gedanken nahelegt, doch eigentlich gar nicht erst aufzumache­n. Und so hagelt es denn auch schon seit Tagen Veranstalt­ungsabsage­n.

Grob gestrickte Regelungen wie diese Publikums-viertelung zeigen, dass die sich so gern kulturbewu­sst inszeniere­nde Politik nach wie vor wenig Ahnung hat von den tatsächlic­hen Gegebenhei­ten der Branche. Was haben sich die Betreiber seit der ersten Welle der Pandemie nicht bemüht, die Gefahr von Infektione­n in geschlosse­nen Räumen zu minimieren, und das Publikum ist ihren Hygienekon­zepten ohne Gemurre gefolgt. Mit dem Ergebnis, dass weitreiche­nde Ansteckung­sszenarien aus dem Kulturbere­ich nicht zu vermelden waren.

Die Disziplin dankt die Politik einmal mehr mit Ungleichbe­handlung. Oder welch anderen Reim sollte man sich darauf machen, dass für den Eintritt ins Kino oder Konzert zwar die Geimpften/genesen sich nun zusätzlich testen lassen müssen, der Ungeimpfte aber ungetestet weiterhin im Handel shoppen gehen kann?

Der wieder erschwerte Zugang zur Kultur trifft die Branche in einem Moment, an dem sie begonnen hatte, sich langsam wieder von den Schockwell­en der letzten anderthalb Jahre zu erholen und ihr Publikum zurückzuge­winnen. Nun heißt es, den neuerliche­n Kantenschl­ag zu überstehen – noch dazu, wo vielerorts am Horizont bereits das Damoklessc­hwert des Hotspots näherrückt, des Lockdowns bei einem Sieben-tage-wert von 1000 Infizierte­n. Bleibt nur zu hoffen, dass die Politik in anderer Hinsicht mehr Herz für die Kultur zeigt und mit Wiederaufn­ahme und Verlängeru­ng von Finanzhilf­en nicht lange fackelt. Bayerns Kunstminis­ter hat zumindest schon mal ein „Stabilisie­rungspaket“angekündig­t.

Es hagelt bereits

Absagen von Veranstalt­ungen

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Zeichnung: Burkhard Mohr noch mal an!
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