Impfpflicht – die Option für Welle 5
Corona Die obligatorische Impfung findet immer mehr mächtige Unterstützer. Für die vierte
Welle käme sie zu spät und sie wäre eine Abkehr von der Tradition der Bundesrepublik
Berlin/münchen Markus Söder spricht sich für sie aus. Winfried Kretschmann fordert sie. Volker Bouffier zeigt sich offen dafür. Eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus erfährt plötzlich enormen politischen Rückhalt, obwohl sie noch vor Wochen von den meisten definitiv ausgeschlossen wurde. Das kommt nicht so überraschend: Deutschland steht in der vierten Welle mit dem Rücken zur Wand. Die Impfquote ist nicht hoch genug, die Intensivstationen sind be- oder überlastet, einzelne Länder fahren das öffentliche Leben wieder herunter. „Wir kommen nicht drum herum, wenn wir aus diesem Schlamassel rauskommen wollen, dass sich die Menschen impfen lassen müssen“, sagte Baden-württembergs Landesvater Kretschmann.
Wenn Politiker mit ihrem Latein am Ende sind, müssen sie in die Offensive kommen, um medial nicht zu schwer in die Defensive zu geraten. Die Impfpflicht, so die Hoffnung dahinter, würde einen guten Teil der 14,8 Millionen ungeimpften Erwachsenen per Zwang dazu bringen, sich die schützenden Spritzen geben zu lassen. Gleichzeitig hielte den Druck hoch, dass sich bereits Geimpfte auch die Auffrischungsdosis abholen. Bei den Wählerinnen und Wählern gibt es dafür sogar Zustimmung: Mehrere aktuelle Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit von ihnen die Einführung befürwortet. Je nach Umfrage fällt die Mehrheit unterschiedlich aus – von knapp bis überdeutlich.
Gegen die vierte Welle käme der Befehl zur Spritze aber zu spät. Sie rollt jetzt über das Land. Ein derart tiefer Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit könnte kaum auf die Schnelle durchs Parlament gepeitscht werden. Er müsste in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden, um Legitimation und Legitimität zu bekommen. Das braucht Wochen der Vorbereitung und der Abwägung auch vor dem Hintergrund der Geschichte: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit gehört auch wegen der grausamen medizinischen Experimente der Nationalsozialisten an Menschen zu den höchsten Gütern des Grundgesetzes.
Eine Impfpflicht wäre auch (fast) ein Novum: Während in der Bundesrepublik eine Pflicht zur Diphtherie-impfung 1954 auslief, grenzte sich die DDR durchaus bewusst mit einer Impfpflicht gegen viele gefährliche Erreger vom Westen ab.
Heute besteht in Deutschland nur eine Verpflichtung zur Impfung für Kindergarten- und Schulkinder sowie für das Personal in Kitas und Schulen gegen die Masern. Im Deutschen Reich gab es die Impfpflicht gegen die Pocken. Schon seinerzeit gingen Impfgegner leidenschaftlich dagegen vor.
Verfassungsrechtler halten es trotz des Rechts auf körperliche Unversehrtheit für möglich, dass der Staat die Immunisierung gegen Corona vorschreibt. „Gute Gründe für die Impfpflicht sind die drohenden schweren gesamtgesellschaftlichen Folgen für die Allgemeinheit“, meint Rechtsprofessor Franz C. Mayer von der Uni Bielefeld. Dazu gehören die Überforderung des Gesundheitssystems, die höhere Wahrscheinlichkeit für Virusmutationen oder die wirtschaftlichen Schäden infolge von Zwangsschließungen ganzer Branchen. Ähnlich wie Mayer sieht es sein Kollege Josef Franz Lindner von der Uni Augsburg.
Bereits im Grundgesetz ist angelegt, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht absolut gilt. „In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen wersie den“, heißt es im Wortlaut von Artikel 2. Das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte halten eine Impfpflicht unter Bedingungen für rechtens. Die wichtigste Einschränkung lautet, dass niemandem gegen den eigenen Willen eine Spritze unter Androhung von Zwang verpasst werden darf. Bußgelder für Impfskeptiker sind aber möglich.
Der scheidende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn lehnt die Einführung der verpflichtenden Spritze dennoch ab. „Wir brechen diese Welle nicht mit einer verpflichtenden Impfung. Die käme viel zu spät“, sagte der Cdu-politiker dem Deutschlandfunk. Wenn er wollte, könnte Spahn übrigens per Verordnung für von Corona bedrohte Teile der Bevölkerung unter Zustimmung des Bundesrates eine Schutzimpfung anordnen. Gleiches könnten die Bundesländer in ihren Grenzen erlassen. „Österreich macht es, auch wir sollten es tun“, sagte Ministerpräsident Söder im Landtag. Er meinte damit allerdings nicht eine bayernweite Impfpflicht, sondern eine bundesweite. In Österreich hatte bereits die Ankündigung ihrer Einführung zu einer höheren Impfbereitschaft geführt. hätte nach krisenhaften Wochen, so sind sich viele Beobachter einig, einen guten Auftritt dringend nötig gehabt. Stattdessen jedoch reiht sich „ein Fehler an den nächsten“, wie es aus Regierungskreisen hieß.
Verliert der 57-Jährige zunehmend den Rückhalt in der eigenen Partei? Die Hinweise darauf verdichten sich. Ein weiteres Indiz dafür ist der Verlauf einer Abstimmung zu einer Sozialreform im Parlament. Denn trotz einer eigentlich üppigen Mehrheit brachte Johnson die Reform nur knapp durchs Unterhaus. 19 Konservative stimmten gegen das Programm, 68 enthielten sich. Experten deuten dies als Beweis dafür, dass der Premierminister ein ernsthaftes Problem mit den eigenen Abgeordneten hat. Zudem erschüttert die Tories ein Skandal um den konservativen Parlamentsabgeordneten Owen Paterson, der laut Untersuchungsbericht gegen Bezahlung Lobbyarbeit für mehrere Unternehmen geleistet hatte.
Auch bei den Briten steht Johnson zunehmend schlecht da. Dies belegen die sinkenden Umfragewerte auf der Insel. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Der Austritt aus dem europäischen Bündnis und die Corona-pandemie sorgen dafür, dass die wirtschaftliche Erholung ausbleibt. Probleme bei den Lieferketten führen außerdem dazu, dass viele um ihren traditionellen Weihnachtsschmaus fürchten.
Jüngste Berichte, dass die Tories bei einem Winter-spendenball in London erlesene Speisen verzehrten, bevor sie eine Sozialreform unterstützten, könnten dafür sorgen, dass die Menschen im Vereinigten Königreich noch unzufriedener werden. Denn die Reform wird dazu führen, dass Ärmere womöglich ihr Haus verkaufen müssen, um die Pflege im Alter zu finanzieren.