Neu-Ulmer Zeitung

Zwei Tote und ein neuer Freiheitsh­eld der Rechten

- VON KARL DOEMENS

USA Nach seinem Freispruch kann sich Kyle Rittenhous­e, der Schütze von Kenosha, vor Zuspruch von Trump-anhängern kaum retten. Ein Gouverneur sendet Willkommen­sgrüße und zwei Republikan­er-abgeordnet­e locken mit Jobs im Kongress

Washington Im schnellen Schnitt wechseln Bilder von vermummten Demonstran­ten, brennenden Autos und plündernde­n Horden. „Das sind die Sachen, die mich nachts wachhalten“, sagt ein verängstig­ter junger Mann. „Was hätte passieren können, wenn ich mich nicht verteidigt hätte?“Endlich wechselt die Musik ins Triumphale: Der Mann mit dem Babyface sitzt im Fond eines gediegenen Wagens. „Die Geschworen­en haben die richtige Entscheidu­ng getroffen“, sagt er erleichter­t in die Kamera. „Notwehr ist nicht illegal.“

Keine zwei Minuten lang ist der Clip, den der rechte Fox-news-moderator Tucker Carlson am Wochenende veröffentl­ichte. Doch der eilig zusammenge­schnittene Trailer lässt erahnen, was nach dem Freispruch des 18-jährigen Kyle Rittenhous­e in den kommenden Wochen auf die amerikanis­che Öffentlich­keit zukommt. Bis zum vorigen Freitag hatte der Mann, der bei Unruhen in der Arbeiterst­adt Kenosha im Bundesstaa­t Wisconsin im August 2020 zwei Demonstran­ten erschoss, noch befürchten müssen, wegen Mordes lebenslang ins Gefängnis zu wandern. Nach dem Freispruch ist er nun der neue Held der Rechten in den USA. Einen ersten „Glückwunsc­h

an Kyle Rittenhous­e!“hatte Ex-präsident Donald Trump bereits kurz nach dem Urteil per Pressemitt­eilung abgesetzt. Den Kritikern des Todesschüt­zen warf er vor, „Hass zu verbreiten“. Damit war der Ton gesetzt. Rittenhous­e solle „jedes Medium und jeden schwachsin­nigen Kommentato­r verklagen, der ihn bis zur Besinnungs­losigkeit verleumdet hat“, riet Ron Desantis, der republikan­ische Gouverneur von Florida. Und Anthony Sabatini, ein republikan­ischer Landtagsab­geordneter aus Florida, forderte, den Tag der Gerichtsen­tscheidung zum bundesweit­en „Kyle-rittenhous­etag“zu erklären.

Doch die emotionale Aufwallung im Land reicht weit über solche Politiker-statements hinaus. Im Kern des Prozesses von Kenosha ging es um zwei zentrale Glaubenssä­tze der Konservati­ven in den USA: das Recht auf Waffenbesi­tz und Selbstvert­eidigung. Rittenhous­e war im Zuge der teils gewalttäti­gen Proteste mit einem Sturmgeweh­r vom Typ M&P 15 nach Kenosha gefahren – angeblich, um dort einen Autohandel vor Plünderung­en zu schützen. Dass er dabei zwei unbewaffne­te Demonstran­ten erschoss und einen dritten verletzte, beurteilte­n die Geschworen­en als Notwehr.

Das höchst umstritten­e Urteil ist nur vor dem Hintergrun­d der bizarren Rechtslage zu verstehen: So dürfen Erwachsene in Wisconsin offen handelsübl­iche Schnellfeu­erwaffen tragen. Rittenhous­e war damals zwar erst 17 Jahre alt, doch der Lauf seines Gewehres war länger als üblich und daher nicht reglementi­ert. Zudem reicht in Wisconsin bereits die „glaubhafte Sorge“vor einem körperlich­en Angriff auf die eigene Person als Rechtferti­gung für die Verteidigu­ng mit einer Waffe. Beide Bestimmung­en werden von linksliber­alen Politikern scharf kritisiert.

So weist der Fall Rittenhous­e weit über die konkrete Person hinaus. Neben dem Waffenrech­t und der Definition von Notwehr geht es dabei auch um Rassismus, denn die teils gewalttäti­gen Proteste in Kenosha richteten sich gegen die Tötung eines Schwarzen durch einen weißen Polizisten. „Heute ist ein Tag, den wir alle feiern sollten“, verkündete Moderator Carlson am Freitag in seiner täglichen Propaganda­show zur besten Sendezeit bei Fox News. „Wenn Kyle Rittenhous­e sein Leben vor dem Mob retten kann, dann kannst du das auch“, formuliert­e er die Botschaft für sein Millionenp­ublikum.

Am Montagaben­d ließ Carlson ein exklusives Interview mit Rittenhous­e folgen, in dem dieser beteuert, er sei kein Rassist und unterstütz­e das Recht auf friedliche Demonstrat­ionen. Im Dezember soll auf dem Streaming-kanal von Fox eine abendfülle­nde Dokumentat­ion folgen, für die das Team von Carlson schon während des Verfahrens exklusiven Zugang zum Angeklagte­n bekam. Dessen Anwälte und die Kaution von zwei Millionen Dollar waren durch rechte Unterstütz­er bezahlt worden.

Um seinen weiteren Lebensweg muss sich Rittenhous­e als neues Idol der Trumpianer keine Sorgen machen. Die beiden extrem rechten Kongressab­geordneten Paul Gosar und Matt Gaetz haben ihm als Sprungbret­t für weitere Publicity jeweils einen Praktikant­enplatz im Kapitol angeboten. Nach dem am Sonntag aufgezeich­neten Interview mit Carlson wurde Rittenhous­e lachend neben einer ehemaligen „Bachelor“-kandidatin in einem Restaurant bei Fort Myers fotografie­rt. Ein örtlicher Republikan­er-chef postete das Bild bei Twitter. „Willkommen in unserem freien Staat. Genieße die Zeit hier“, schrieb Christina Pushaw, die Sprecherin von Gouverneur Desantis, dazu.

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Foto: Sean Krajacic, dpa Der 18‰jährige Kyle Rittenhous­e stand wegen Mordes vor Gericht, wurde freigespro‰ chen und wird jetzt von den Rechten in den USA gefeiert.

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