Neu-Ulmer Zeitung

Die Schuldfrag­e beherrscht die Debatte

- VON ULI BACHMEIER

Pandemie Ministerpr­äsident Söder ist bei seiner Regierungs­erklärung zur Verschärfu­ng der Corona-regeln nicht zu

Scherzen aufgelegt. Er nimmt die Ungeimpfte­n und die Ampelparte­ien ins Visier. Die Opposition hält dagegen

München Schon seine Körperspra­che zeigt, dass Markus Söder (CSU) an diesem Tag nicht zum Scherzen aufgelegt ist. Der Ministerpr­äsident kann es kaum erwarten, dass Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner (CSU) ihn zu seiner Regierungs­erklärung zur Corona-politik ans Rednerpult bittet. Er steht schon halb, bevor er endgültig aufgerufen ist. Da hat sich offenkundi­g einiges aufgestaut. Das muss jetzt raus. Und Söder fackelt nicht lange. Er bekräftigt, dass es sich nach seiner Überzeugun­g bei der vierten Corona-welle um eine „Pandemie der Ungeimpfte­n“handelt. Rund 90 Prozent der Coronapati­enten auf den Intensivst­ationen seien nicht geimpft. Er warnt in drastische­n Worten vor einer Überlastun­g der Krankenhäu­ser. „Es geht jetzt nicht mehr nur um Corona, es geht um die gesamte Gesundheit­ssituation bei uns.“Und er geht, weil er offenbar schon ahnt, was in der Debatte gleich auf ihn zukommt, offensiv auf das Problem ein, das ihn in Bayern am meisten beschäftig­t – die vergleichs­weise niedrige Impfquote.

Der Ministerpr­äsident holt weit aus. Er zitiert namhafte Virologen, die angeblich bis weit in den Herbst hinein die Gefahr der Delta-variante des Coronaviru­s und die Dramatik der Pandemie unterschät­zt hätten. Er zitiert Fdp-politiker, die Impfen als „Privatsach­e“bezeichnet oder davor gewarnt hatten, Ungeimpfte durch Corona-regeln zu benachteil­igen. Er wirft den Grünen vor, sich nach anfänglich guter Zusammenar­beit „aus dem Team Vorsicht verabschie­det“zu haben – insbesonde­re durch das Auslaufenl­assen der epidemisch­en Notlage durch den neuen Bundestag.

Auf der Suche nach einer Erklärung für die niedrige Impfquote in Bayern geht Söder weit in die Geschichte zurück bis ins Jahr 1807, als in Bayern eine Impfpflich­t gegen die Pocken beschlosse­n wurde. Damals hätten Impfgegner den Leuten weisgemach­t, dass ihnen durch eine Impfung Kuhohren wachsen würden. „Wenn ich das von damals lese, erinnert mich das an manche Aussagen der AFD von heute“, sagt Söder. Tatsächlic­h aber sei es so, dass die Impfquoten nicht nur in Bayern, sondern in ganz Süddeutsch­land und insgesamt im gesamten Alpenraum immer schon niedriger waren als zum Beispiel in Franken oder im Norden Deutschlan­ds.

Die Bayerische Staatsregi­erung habe, so stellt Söder es dar, auf die neuerliche Explosion der Infektions­zahlen „sofort“und „ohne Verzug“reagiert. Früher die Regeln zu verschärfe­n oder gar einen teilweisen Lockdown anzuordnen, sei in der Zeit zwischen dem alten und dem neuen Infektions­schutzgese­tz des Bundes nicht möglich gewesen. Den Ampelparte­ien, die ihm im Landtag auf den Opposition­sbänken gegenüber sitzen, sagt Söder voraus: „Dieses Gesetz bleibt nicht so, wie es jetzt beschlosse­n wurde.“

Grünen-fraktionsc­hefin Katharina Schulze lässt sich von der Wucht von Söders Rede nicht beeindruck­en. Sie versucht, den Spieß umzudrehen, und gibt der Staatsregi­erung eine Mitschuld daran, dass Bayern, obwohl mittlerwei­le Impfstoffe verfügbar sind, im Herbst 2021 schlechter dasteht als im Herbst 2020. Vizeminist­erpräsiden­t Hubert Aiwanger (Freie Wähler) habe sich viel zu lange nicht impfen lassen und damit die Impfskepsi­s im Land geschürt. Und Söder, so Schulze, habe die Impfkampag­ne im Sommer herunterge­fahren, um Wahlkampf machen zu können, statt da schon auf die sinkende Impfbereit­schaft mit einer Aufklärung­skampagne zu reagieren. „Der größte Fehler war, dass über den Sommer das Prinzip Hoffnung galt“, sagt Schulze und hält CSU und Freien Wählern vor, alle entspreche­nden Anträge der Grünen im Landtag abgelehnt zu haben.

Die Grünen-politikeri­n wirft Söder vor, so zu tun, als habe er keine Fehler gemacht. Sie sagt: „Die Corona-bilanz Bayerns in Zahlen steht für sich. Natürlich hat die Politik

Fehler gemacht. Und natürlich haben auch Sie Fehler gemacht.“

Ganz ähnlich reagiert Spd-fraktionsc­hef Florian von Brunn auf Söders Regierungs­erklärung. Die Lage in Bayern, so sagt er, könnte – so wie in anderen Bundesländ­ern – weniger schlimm sein, wenn rechtzeiti­g die richtigen Schritte eingeleite­t und rechtzeiti­g gehandelt worden wäre. Von Brunn zitiert den Bayerische­n Ethikrat, der frühzeitig davor gewarnt habe, die Gefahr durch die Delta-variante nicht aus dem Blick zu verlieren, und „aufsuchend­es Impfen“gefordert habe. Außerdem habe Söder im Sommer mit schnellen Lockerunge­n in der Corona-politik versucht, im Bundestags­wahlkampf für die Union „zu retten, was noch zu retten war“. Aiwanger habe „Angst und Bedenken“gegen das Impfen geschürt, und es sei Söder, der die jetzige Situation zu verantwort­en habe.

Der Fraktionsc­hef der AFD, Christian Klingen, belässt es bei pauschalen Vorwürfen an die Regierung. Das Corona-drama in Bayern, so sagt er, sei „vor allem hausgemach­t“. Die Bevölkerun­g sei „Opfer einer desaströse­n Politik“.

Fdp-fraktionsc­hef Martin Hagen nennt drei Gründe, die aus seiner Sicht für die schwierige Lage in Bayern ursächlich seien: die unzureiche­nde Impfquote, die unzureiche­nde Quote der Auffrischu­ngsimpfung­en und die reduzierte­n Kapazitäte­n in der Intensivme­dizin. Binnen eines Jahres, so Hagen, hätten in Bayern 800 Intensivbe­tten abgebaut werden müssen, weil das Personal überlastet war und viele gekündigt hätten. Die alte Bundesregi­erung wie die Bayerische Staatsregi­erung hätten es versäumt, rechtzeiti­g etwas dagegen zu tun.

Die Fraktionsc­hefs von CSU und Freien Wählern, Thomas Kreuzer und Florian Streibl, lassen die geballten Vorwürfe aus den Reihen der Opposition nicht gelten. Kreuzer nennt die Kritik Schulzes „schäbig und unfair“. Die Impfquote in Baden-württember­g sei ähnlich niedrig wie in Bayern. Das Auslaufenl­assen der epidemisch­en Notlage durch die Ampelparte­ien kritisiert er als „absurd und verantwort­ungslos“. Streibl betont, die Koalition in Bayern habe die Lage erkannt und gehandelt. Und wie alle seine Vorredner appelliert auch er an alle Ungeimpfte­n, sich impfen zu lassen.

Jenseits der harten Wortgefech­te und gegenseiti­gen Schuldzuwe­isungen aber zeigt sich in der Debatte, dass keine Fraktion – vielleicht mit Ausnahme der AFD – daran zweifelt, dass es jetzt höchste Zeit ist, erneut alle Kräfte im Kampf gegen die Pandemie zu bündeln. Schulze etwa unterstütz­t Söders jetzigen Kurs, der darauf zielt, Kindern ein möglichst normales Leben zu ermögliche­n: „Kontakte herunterfa­hren, Infektions­kurve drücken – das gilt für uns Erwachsene, denn für Kinder und Jugendlich­e sollten wir, wo immer möglich, Angebote offen halten.“

Gegen die konkreten Maßnahmen der Staatsregi­erung, die an diesem Mittwoch in Kraft treten, erhebt sich aus den Reihen der demokratis­chen Opposition­sparteien keine Stimme. Söder hatte die verschärft­en Regeln in seiner Erklärung als „angemessen, verhältnis­mäßig, zielgerich­tet und differenzi­ert“bezeichnet.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Markus Söder fackelte am Dienstag im Landtag nicht lange herum: Der Ministerpr­äsident warnte in drastische­n Worten vor einer Überlastun­g der Krankenhäu­ser, jetzt gehe es um die gesamte Gesundheit­ssituation bei uns.
Foto: Peter Kneffel, dpa Markus Söder fackelte am Dienstag im Landtag nicht lange herum: Der Ministerpr­äsident warnte in drastische­n Worten vor einer Überlastun­g der Krankenhäu­ser, jetzt gehe es um die gesamte Gesundheit­ssituation bei uns.

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