Wirbel um eine Karikatur In eigener Sache
Warum es uns leid tut, dass eine Zeichnung viele wütend machte
Zahlreiche Zuschriften und Anrufe haben unsere Redaktion in den vergangenen Tagen erreicht. Ihr Tenor: Empörung. Anlass dafür ist die nebenstehende Karikatur des Satirikerduos Greser&lenz, erschienen, wie jeden Samstag, in unserem Wochenend-journal. Leserinnen und Leser sahen darin eine Anfeindung gegen Ungeimpfte, das Vorantreiben der Spaltung in der Gesellschaft, sogar die Vorwürfe der „Hetze“und des Aufrufs zur Gewalt wurden erhoben. Das ist für uns bestürzend. Denn nichts läge der Redaktion, läge auch den Karikaturisten Achim Greser und Heribert Lenz ferner.
Tatsächlich gehen Inhalt und Aussage der Karikatur genau in die entgegengesetzte Richtung. Thematisiert wird darin mit dem klassischen Satirewerkzeug der Übertreibung eine gesellschaftliche Erscheinung unsere Gegenwart: „ein unversöhnliches Gegenüber mit teilweise brutalem Gegeneinander“, wie es Achim Greser sagt. Die Zeichnung sei Abbild einer aufgeheizten Stimmung und besitze „durchaus emotional zuspitzende Kraft“. Ja, sie kann in ihrer Drastik schockieren. Denn über das Medium der (siehe Unterzeile) als Weihnachtsgeschenke seit Jahren viel gekauften Computerspiele
(statt des berühmten Counterstrike eben als Covidstrike) wird hier gezeigt, wie ein „Ego-shooter“einen „Impfverweigerer“erlegt – ein simples Feindbild, eine einfache Spaltung in Gut und Böse ist charakteristisch für diese Spiele.
Das ist der aufklärerische Vergröberungsspiegel für die Tendenz in einer Gesellschaft, die oft die Ungeimpften zu Schuldigen, zu Gegnern stempelt. So wird in der Karikatur die Spaltung nicht etwa bedenklich vorangetrieben, sondern sie wird als denkwürdig markiert. Die Karikatur diffamiert nicht, sie nimmt die Diffamierung aufs
Korn. Und sie benutzt dazu die drastische, erfundene Erzählung einer Jagd. „Wenn das bedeuten würde, dass wir als Autoren zur
Jagd aufrufen, dann müsste man jeden Krimiautor vor Gericht zerren“, sagt Achim Greser. Das krasse Kammerspiel an der Spielkonsole diente bloß als Mittel, um den Finger in die Wunde zu legen.
Das muss man wirklich nicht lustig finden. Und vielleicht finden viele die Karikatur auch misslungen, weil sie sehr provokativ ist. Letztlich bleibt Satire natürlich auch Geschmacksfrage – gerade wenn sie mit so drastischen Mitteln arbeitet. Wenn sich Leserinnen und Leser darum in ihrem Empfinden von der Zeichnung verletzt und beleidigt gefühlt haben, bedauern wir als Redaktion das selbstverständlich ganz außerordentlich.
Aber Satire, die nur amüsiert, erfüllt ihren Sinn eben auch nicht.
Ihr Zweck liegt ja mit darin, schmerzhafte Missstände und Entwicklungen in der Gesellschaft nicht nur scherz-, sondern manchmal auch schmerzhaft aufzuzeigen. Achim Greser sagt: „Wir sind keine moralische Anstalt“– und meint, dass sie als Karikaturisten nicht dazu da sind, in Gut und Böse zu ordnen. Die beiden hinterfragen die gesellschaftlichen Zuordnungen viel mehr in Werken. Und wer die Zeichnungen der Aschaffenburger, wohl die Besten ihres Fachs derzeit in Deutschland, regelmäßig in unserem Wochenend-journal oder in der FAZ sieht, weiß: Sie verfügen dazu über eine große Palette von ganz feinem bis zu ziemlich wuchtigem Witz. In diesem Fall ist es sicher eines des letzteren.
Und umso wuchtiger ist, das haben wir gelernt, hier leider das Missverständnis. Aber wie sich für uns bei vielen der Zuschriften und Anrufen auch gezeigt hat: Wenn man erst mal miteinander spricht, wird aus dem gegenseitigen Versuch des Verstehens oft ein menschliches Einvernehmen. Insofern hat uns der Wirbel um diese Karikatur doch auch Hoffnung auf eine mögliche Verständigung in der Gesellschaft gemacht.
Wir werden versuchen, weiter unseren Teil dazu zu leisten – und entschuldigen uns noch einmal in aller Form bei allen, deren Gefühle wir verletzt haben.