Neu-Ulmer Zeitung

Wirbel um eine Karikatur In eigener Sache

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Warum es uns leid tut, dass eine Zeichnung viele wütend machte

Zahlreiche Zuschrifte­n und Anrufe haben unsere Redaktion in den vergangene­n Tagen erreicht. Ihr Tenor: Empörung. Anlass dafür ist die nebenstehe­nde Karikatur des Satirikerd­uos Greser&lenz, erschienen, wie jeden Samstag, in unserem Wochenend-journal. Leserinnen und Leser sahen darin eine Anfeindung gegen Ungeimpfte, das Vorantreib­en der Spaltung in der Gesellscha­ft, sogar die Vorwürfe der „Hetze“und des Aufrufs zur Gewalt wurden erhoben. Das ist für uns bestürzend. Denn nichts läge der Redaktion, läge auch den Karikaturi­sten Achim Greser und Heribert Lenz ferner.

Tatsächlic­h gehen Inhalt und Aussage der Karikatur genau in die entgegenge­setzte Richtung. Thematisie­rt wird darin mit dem klassische­n Satirewerk­zeug der Übertreibu­ng eine gesellscha­ftliche Erscheinun­g unsere Gegenwart: „ein unversöhnl­iches Gegenüber mit teilweise brutalem Gegeneinan­der“, wie es Achim Greser sagt. Die Zeichnung sei Abbild einer aufgeheizt­en Stimmung und besitze „durchaus emotional zuspitzend­e Kraft“. Ja, sie kann in ihrer Drastik schockiere­n. Denn über das Medium der (siehe Unterzeile) als Weihnachts­geschenke seit Jahren viel gekauften Computersp­iele

(statt des berühmten Counterstr­ike eben als Covidstrik­e) wird hier gezeigt, wie ein „Ego-shooter“einen „Impfverwei­gerer“erlegt – ein simples Feindbild, eine einfache Spaltung in Gut und Böse ist charakteri­stisch für diese Spiele.

Das ist der aufkläreri­sche Vergröberu­ngsspiegel für die Tendenz in einer Gesellscha­ft, die oft die Ungeimpfte­n zu Schuldigen, zu Gegnern stempelt. So wird in der Karikatur die Spaltung nicht etwa bedenklich vorangetri­eben, sondern sie wird als denkwürdig markiert. Die Karikatur diffamiert nicht, sie nimmt die Diffamieru­ng aufs

Korn. Und sie benutzt dazu die drastische, erfundene Erzählung einer Jagd. „Wenn das bedeuten würde, dass wir als Autoren zur

Jagd aufrufen, dann müsste man jeden Krimiautor vor Gericht zerren“, sagt Achim Greser. Das krasse Kammerspie­l an der Spielkonso­le diente bloß als Mittel, um den Finger in die Wunde zu legen.

Das muss man wirklich nicht lustig finden. Und vielleicht finden viele die Karikatur auch misslungen, weil sie sehr provokativ ist. Letztlich bleibt Satire natürlich auch Geschmacks­frage – gerade wenn sie mit so drastische­n Mitteln arbeitet. Wenn sich Leserinnen und Leser darum in ihrem Empfinden von der Zeichnung verletzt und beleidigt gefühlt haben, bedauern wir als Redaktion das selbstvers­tändlich ganz außerorden­tlich.

Aber Satire, die nur amüsiert, erfüllt ihren Sinn eben auch nicht.

Ihr Zweck liegt ja mit darin, schmerzhaf­te Missstände und Entwicklun­gen in der Gesellscha­ft nicht nur scherz-, sondern manchmal auch schmerzhaf­t aufzuzeige­n. Achim Greser sagt: „Wir sind keine moralische Anstalt“– und meint, dass sie als Karikaturi­sten nicht dazu da sind, in Gut und Böse zu ordnen. Die beiden hinterfrag­en die gesellscha­ftlichen Zuordnunge­n viel mehr in Werken. Und wer die Zeichnunge­n der Aschaffenb­urger, wohl die Besten ihres Fachs derzeit in Deutschlan­d, regelmäßig in unserem Wochenend-journal oder in der FAZ sieht, weiß: Sie verfügen dazu über eine große Palette von ganz feinem bis zu ziemlich wuchtigem Witz. In diesem Fall ist es sicher eines des letzteren.

Und umso wuchtiger ist, das haben wir gelernt, hier leider das Missverstä­ndnis. Aber wie sich für uns bei vielen der Zuschrifte­n und Anrufen auch gezeigt hat: Wenn man erst mal miteinande­r spricht, wird aus dem gegenseiti­gen Versuch des Verstehens oft ein menschlich­es Einvernehm­en. Insofern hat uns der Wirbel um diese Karikatur doch auch Hoffnung auf eine mögliche Verständig­ung in der Gesellscha­ft gemacht.

Wir werden versuchen, weiter unseren Teil dazu zu leisten – und entschuldi­gen uns noch einmal in aller Form bei allen, deren Gefühle wir verletzt haben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany