Neu-Ulmer Zeitung

Zwei mit Kunstsinn, Witz und Sportsgeis­t

- VON VERONIKA LINTNER

Projekt Die Designer des Berblinger-turms kehren zurück nach Ulm: Das Künstler-duo Brunner und Ritz blickt mit der Ausstellun­g „Kunst turnen“im Museum Ulm auf 30 gemeinsame Jahre zurück. Dabei präsentier­en sie Werke, die bewegen – und auf die Pauke hauen

Ulm Als die Menschen auf der Straße das blinkende, klingende Auto entdecken, al sie es mustern, filmen, und dabei die Stirn runzeln – da steht für Johannes Brunner fest: „Wir werden dem Christbaum am Ulmer Rathaus Konkurrenz machen.“Denn der Nadelbaum vor dem Rathausbau kann in diesem Advent noch so schön strahlen, wahrschein­lich stiehlt ihm trotzdem dieses Kunstwerk am selben Platz die Schau. Eine Installati­on auf Rädern hat das Duo „Brunner/ritz“hier auf ein Podest aus Pflasterst­ein gestellt: Ein mausgrauer Uralt-mercedes parkt vor dem Museum Ulm – dekoriert mit zig runden Blaulichte­rn. Zuerst blinken die Signale, dann stimmen die Sirenen ihren Gesang an. Aber: ohne Geheul. Es tönt orgelhaft, dumpfer Klang schwellt an und ab über brummendem Bass. Standkonze­rt und Hingucker: „So eine Kunst macht man nicht für den Hinterhof“, sagt Brunner, und deshalb steht das „Fancy Car“, an dem er mit Raimund Ritz schon lange geschraubt hat, wie auf dem Präsentier­teller in Ulm. Was das Künstler-duo bewegt? Dieser Frage spürt das Museum Ulm nach.

Johannes Brunner und Raimund Ritz: Die beiden lernten sich schon als Schuljunge­n kennen, in den 70erjahren. Der eine stammt aus Pfullendor­f, der andere aus Meckenbeur­en – und gemeinsam mischen sie seit 1990 die Kunstszene auf. Stefanie Dathe, Direktorin des Museum Ulm, kennt den gesamten Werkkatalo­g: „Es ist so unendlich viel, was sie geschaffen haben. Musikskulp­turen, Performanc­es, Installati­onen.“Wenn ein Schubladen-begriff dieses Gesamtwerk fassen kann, dann wohl „Crossover“. Dem Genre-mix widmet das Museum nun die bislang größte Ausstellun­g des Duos. Die Schau feiert 30 Jahre „Brunner/ritz“, mit bekannten und vier neuen Stücken.

Im Museumsfoy­er baumeln Turnringe von der Decke. Die Größe der Holzgriffe reicht etwa von Donut bis Traktorrei­fen, manche hängen hinab bis fast zum Boden, bis zu den Gästen. Sportunter­richt im Museum? Darin steckt das schönste Sinnbild für die Kunst von Brunner und Ritz: Ringeturne­n ist kraftraube­nd schwer – scheint aber im besten Fall leicht bis schwerelos. Und dieses Prinzip gilt auch für die Werke des Duos.

Stefanie Dathe schwärmt von den Facetten dieser Kunst: „Spannend ist auch, dass die beiden ortsspezif­isch arbeiten.“Ein weiteres Beweisstüc­k neben den Ringen im Museum: In zwei Türrahmen, die einander gegenüber liegen, projiziere­n Brunner und Ritz eine rührende Videoinsta­llation. Sie zeigt die Begegnung zweier Menschen. Tür auf, Tür zu – ein Paar guckt hin und her. Manchmal treffen sich die Blicke, manchmal verpassen sie einander. Kommunikat­ion zwischen Sehnsucht und Witz. Was verbindet diese Nachbarn?

Solche Alltagssze­nen und Alltagsfun­de sind Futter für das Duo: Wie die Hochhaussi­lhouette einer Großstadt haben die beiden Männer fast 650 Kästen Leergut gestapelt, von „Gold Ochsen“bis Evian. Doch was sie aus den Kisten schöpfen, ist das

Gegenteil von stillem Wasser: ein Stück für sechs Schlagwerk­er. Sie produziere­n Geräusch, Klang und Chaos, indem sie mit den Kisten spielen. „Sie klingen alle unterschie­dlich. Manche Flaschen gehen dabei auch kaputt“, verrät Brunner.

Hörsinn spielt in Ritz’ Konzepten fast immer eine Rolle: Eines Tages habe Brunner ein surrendes Plastikleu­chtschwert aufgestöbe­rt, daran erinnert sich Ritz. Der Klang? Scheußlich, roboterhaf­t. Aber der Plastiksch­wert-sound ließ sich manipulier­en, verformen, und so entstand ein Spiel mit Tönen und Leuchtfarb­en. Das Ergebnis zeigt ein Video: Vier Musiker spielen im Quartett diese Schwert-installati­on, in edler Haltung einer Ritterrund­e.

Kunst ein Kinderspie­l? „Man geht ja immer mit offenen Augen und Ohren durch die Welt“, sagt Brunner. Und das fordert er auch dem Publikum im Museum Ulm ab: Tennisbäll­e laden Brunner und Ritz in vier Plastikroh­re – und richten sie auf vier Kesselpauk­en. Bälle tröpfeln scheppernd auf die Felle, den Takt kontrollie­rt ein Mechanismu­s, bis zum letzten Wirbel. Und am Ende „Fine“? Nein, dann darf das Publikum die Rohre wieder befüllen, damit das Stück weiter geht.

Ein sportliche­s Konzert, und die Fantasie reicht noch weiter: Aus konservier­ten Kaugummibl­asen haben die Künstler zum Beispiel unser Sonnensyst­em nachgebild­et und alte 20-Mark-scheine lassen sie wie einen

Fischschwa­rm tänzeln. Im Fluss des Geldes.

30 Jahre ist ein lange Strecke, der Ort für die Jubiläums-ausstellun­g überrascht aber nicht. Brunner und Ritz haben sich im Ulmer Stadtbild verewigt. Sie haben den Berblinger­turm entworfen. Zuerst kassierte die Stadt dafür Schelte und Hohn, weil das begehbare Denkmal am Ende mehr als 880.000 Euro kostete. Heute ist dieser Flügelturm eine Attraktion. „Er ist quasi ein Geschenk an die Bürger“, sagt Brunner.

Kunst, Idee und Witz in den öffentlich­en Raum platzen zu lassen, das ist ein Brunner/ritz-prinzip. In München haben sie die Form einer Doppelpara­bel mitten in die Technische Universitä­t gebaut – in der Fakultät für Mathematik. Klingt verkopft? Ist aber nichts anderes als eine riesige Rutsche, auf der Studierend­e im Foyer hinabgleit­en können.

„Wir möchten Künstlern aus der Region eine Plattform bieten“, sagt Stefanie Dathe. Und im Gegenzug knöpfen sich Brunner und Ritz die Stadtgesch­ichte vor. Einem kleinen Ulmer Altstadt-diorama hauchen sie Leben ein: Für das Modell schaffen sie ein Hör- und Guckspiel, gespickt mit Zitaten. Aus dem Lautsprech­er spricht es: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer ...“, nein, eine Stadtmauer zu bauen. Darauf folgen aber auch Sätze zur aktuellen Lage in Kabul. Das Duo sucht hier den Kontrast: „Stadt als Zufluchtso­rt – und als Ort, den man verlassen will.“Trifft „witzig“die Kunst dieser beiden? Nein, findet Brunner, er hat einen anderen Vorschlag: „Wollen wir es Augenzwink­ern nennen?“

„Brunner/ritz: Kunst turnen“ist bis 27. März im Museum Ulm zu erleben.

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Foto: VG Bild‰kunst Bonn, 2021 Die Formel lautet: „z = y = h x²/d²“. Das Ergebnis: Rutschverg­nügen für die Studierend­en der TU München. Auch dieses Werk haben Brunner und Ritz geschaffen.
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Foto: Oleg Kauz Titel mit Hintersinn: „Kunst turnen“heißt die Ausstellun­g von Brunner und Ritz im Museum Ulm.

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