Neu-Ulmer Zeitung

Die neue Koalition steht

- VON CHRISTIAN GRIMM

Regierung Sozialdemo­kraten, Grüne und Liberale haben sich auf einen Koalitions­vertrag geeinigt. Vor den Umbau von

Wirtschaft und Gesellscha­ft, den sie planen, hat das politische Schicksal allerdings den Kampf gegen Corona gestellt

Berlin Deutschlan­ds künftiger Kanzler will die Bekämpfung des Coronaviru­s wieder zur Chefsache machen. Das kündigte Olaf Scholz bei der Vorstellun­g des Koalitions­vertrages von SPD, Grünen und FDP an. „Die Lage ist ernst“, sagte der 63-Jährige, bevor er inhaltlich auf das 177 Seiten starke Papier der drei Parteien einging.

Im Kanzleramt soll dazu ein Krisenstab eingericht­et werden, der die Arbeit von Bund und Ländern koordinier­t. Beraten werden sollen die politische­n Entscheide­r von einem Expertengr­emium, das ebenfalls in der Regierungs­zentrale angesiedel­t werden soll. Damit Schwestern und Pfleger in den Krankenhäu­sern und Altenheime­n durchhalte­n, wollen die Ampel-parteien einen Bonus an sie ausschütte­n. Dafür ist eine Milliarde Euro eingeplant. Die Impfzentre­n sollen wieder auf Volllast hochgefahr­en werden und mobile Impfteams in der ganzen Republik schützende Spritzen verabreich­en. „Wir müssen uns abermals zusammenne­hmen. Gemeinsam haben wir es in der Hand, diese neue vierte Welle zu brechen“, sagte Scholz. Er und seine Koalitions­partner halten es nach wie vor für eine richtige Entscheidu­ng, aus dem Infektions­schutzgese­tz die schärfsten Instrument­e wie die flächendec­kende Schließung von Kultur und Gastronomi­e gestrichen zu haben. Entspreche­nde Regelungen sind in den Ländern nur noch bis 15. Dezember zulässig. Offen ist, ob die Ampel die neu erlassenen Regeln schon rasch wieder anpassen muss.

Scholz wird Angela Merkel (CDU) nach 16 Jahren an der Macht ablösen, wenn die drei Parteien den Koalitions­vertrag auch formal gebilligt haben. Seine Wahl im Bundestag ist für die Tage nach Nikolaus geplant. Neben dem Chefsessel in der Bundesregi­erung ist für die SPD inhaltlich am wichtigste­n, dass die rot-grün-gelbe Koalition den Mindestloh­n in einem Schritt auf zwölf Euro pro Stunde anheben und die Rente stabil halten will.

Im Kabinett wird der Grüne Robert Habeck voraussich­tlich als Vizekanzle­r der Stellvertr­eter von sein. Als Minister für Wirtschaft und Klima soll er sich um die zentrale Aufgabe der nächsten Jahre kümmern – den klimafreun­dlichen Umbau von Wirtschaft und Gesellscha­ft. Kern dieser neuen Erzählung sei die Vereinbark­eit von Wohlstand und Klimaschut­z, sagte Habeck. Damit das gelingt, sollen 2030 die letzten Kohlekraft­werke vom Netz gehen und Wind- und Solarkraft in ungekannte­m Tempo ausgebaut werden. Im vorgesehen­en Kohleendja­hr sollen nach den Plänen der Ampel 80 Prozent des Stroms aus grünen Quellen stammen.

Dritte Säule der Ampel-regierung – benannt nach der Kombinatio­n der Parteifarb­en – wird FDPCHEF Christian Lindner, der Finanzmini­ster wird. Der 42-Jährige hat sich vorgenomme­n, überschieß­ende Ausgabenwü­nsche bei der SPD und den Grünen im Zaum zu halten. Deutschlan­d bleibe „Anwalt solider Finanzen“, sagte Lindner. Die Liberalen haben den beiden Koalitions­partnern abgerungen, dass die Schuldenbr­emse des Grundgeset­zes eingehalte­n wird. Sie schreibt vor, dass der Bund in normalen Jahren nur in geringem Umfang neue Schulden aufnimmt. Allerdings soll die Bremse an einigen Stellen gelockert werden, zum Beispiel indem staatseige­ne Gesellscha­ften wie die Bahn oder die Immobilien­anstalt Bima mehr Kredite aufnehmen dürfen, um in den Klimaschut­z zu investiere­n. Auch an der Finanzmath­ematik zur Berechnung des Schuldensp­ielraums wollen die drei Partner schrauben, um mehr Freiheit für einige Milliarden zu gewinnen.

Der Preis für diesen Erfolg ist, dass die von der FDP im Wahlkampf geforderte­n Steuersenk­ungen nicht kommen werden. Den Unternehme­n sollen Investitio­nen in den Klimaschut­z allerdings erleichter­t werden, indem sie diese per „Super-abschreibu­ng“rasch von der Steuer absetzen können. Der Staat selbst soll unter der Ampelkoali­tion stärker Projekte finanziere­n, das Geld dafür soll unter anderem aus der Co2-besteuerun­g stammen. Die Belastung der Bürger steigt durch die schrittwei­se zunehmende Co2-abgabe sowie die vorscholz gesehene Abschaffun­g von klimaschäd­lichen Subvention­en, wie dem Dieselpriv­ileg, das aber nicht explizit genannt wird. Die Mehrbelast­ung wird nach den Vorstellun­gen des Dreier-bündnisses durch eine Streichung der Eeg-umlage und einen einmaligen Zuschuss zu den Heizkosten für bedürftige Haushalte teilweise ausgeglich­en werden.

Lob für den Vertrag kam von der Caritas. „Er packt sowohl die kurzfristi­g drängenden Probleme an – den Kampf gegen die Pandemie – als auch langfristi­ge Probleme“, sagte die neue Caritas-präsidenti­n Eva Maria Welskop-deffaa unserer Redaktion. Sie hob vor allem die geplanten Verbesseru­ngen für Pflegebedü­rftige und Kinder aus armen Elternhäus­ern hervor.

»Kommentar Ein deutsches Novum. Wie blickt das Ausland auf die Ampel? »Leitartike­l Der bunte Dreier – eine politische Herausford­erung.

Schneller als gedacht: Die Geschichte eines Experiment­s. »Politik Wer wird was? Die ersten Entscheidu­ngen sind schon gefallen.

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Foto: Michael Kappeller, dpa Mission erfüllt, Koalition verabredet: die Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck, der künftige Bundeskanz­ler Olaf Scholz und FDP‰CHEF Christian Lindner.

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