Wie Ulm mit den Juden umging
Historie In der Volkshochschule geht es um 1700 Jahre jüdische Geschichte in Deutschland
Ulm Seit 1700 Jahren findet jüdisches Leben auf dem Territorium dessen statt, was heute Deutschland ist. In dieser langen Zeit gab es aber auch viele Phasen, in denen Jüdinnen und Juden auf brutale Weise diskriminiert, vertrieben und getötet wurden. Die Ulmer „Partnerschaft für Demokratie“lenkte in einem „Wir sind da!“betitelten und der verstorbenen Esther Bejarano gewidmeten Abend in der Volkshochschule Ulm den Blick auf die Vielfalt jüdischen Lebens und auf dessen Zukunftsperspektive in Deutschland und in Ulm. Vorab las der Publizist Uwe von Seltmann aus seinem aktuellen Buch „Wir sind da!“.
Die Ulmer Stadtgeschichte erwähnt eine jüdische Gemeinde erstmals im Jahr 1241. Sie muss sich schnell vergrößert haben; auf dem Judenhof gab es Synagoge und Schule, Ritualbad und Tanzhaus, und in diesem Bereich lebte im 14. Jahrhundert auch der Bankier Jäcklin, wahrscheinlich der wohlhabendste und einflussreichste Finanzier seiner Zeit. Jäcklins Geschichte ist vermutlich beispielhaft – er war geachtet, hofiert – und musste nach der Grundsteinlegung des Münsters, für dessen Bau er der Stadt Geld geliehen hatte, Ulm verlassen. In Ulm entstanden wichtige Handschriften des 15. Jahrhunderts, Ulmer Juden waren Proletariat und Nobelpreisträger.
Uwe von Seltmann erinnerte besonders an die in Ulm aufgewachsene Esther Bejarano, die in diesem Jahr verstorbene Sängerin, die einst im Mädchenorchester von Auschwitz für die Nationalsozialisten Musik machen musste, und die nach Kriegsende bis zu ihrem Tod Musik gegen rechts machte. Zudem erinnerte Seltmann an das Schicksal des 1904 in der Bukowina geborenen Tenors Josef Schmidt, der mit Liedern wie „Ein Lied geht um die Welt“und „Heut’ ist der schönste Tag in meinem Leben“berühmt geworden war, der von Goebbels zum „Ehrenarier“ernannt werden sollte, in die Schweiz fliehen musste und dort nur 38-jährig starb. Dem Klischee der Musikalität von Juden entspreche er nicht, erklärte Michael Joukov-schwelling. Der 39-jährige It-unternehmer, der in St. Petersburg geboren wurde und erster baden-württembergischer Nachkriegs-landtagsabgeordneter mit bekannt jüdischen Wurzeln ist, nennt sich selbst einen Juden qua Geburt, der aber zu mindestens drei Vierteln Atheist sei.
Obwohl der Ulmer Rabbiner Shneur Trebnik ihm bei der Auferstehung null Chancen gebe, weil sich Joukov-schwelling nicht an die jüdischen Gesetze halte, sei er Schatzmeister des Synagogenvereins. Seine Definition: „Jude ist, wer von anderen für einen Juden gehalten wird, und wer den Mut hat, nicht zu widersprechen.“Es gebe viele Klischees über Juden, sagt Joukovschwelling, aber je mehr man sich mit ihnen beschäftige, desto weniger träfen sie zu.
Im vom Volkshochschulleiter Christoph Hantel moderierten Podiumsgespräch ging Frederek Musall, Professor für jüdische Philosophie und Geistesgeschichte in Heidelberg, auf die Notwendigkeit neuer Themen und Sensibilitäten in der postmigrantischen Gesellschaft und auf deren Multinarrativität ein, die es auszuhandeln gilt.
Sybille Hoffmann, die Fortbildungen zu Antisemitismus und Rassismus am Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Badenwürttemberg anbietet, berichtete über Antisemitismus von links und rechts, islamischen Antisemitismus und Antisemitismus der bürgerlichen Mitte im Alltag.
Eine junge Perspektive brachte Sami Wedde ein. Der Student leitet in Mannheim das Jugendzentrum der jüdischen Gemeinde und geht häufig in Schulen, um mit Schülerinnen und Schülern über Antisemitismus zu sprechen. Er berichtete von den Vorurteilen, die ihm dort begegnen, wie jenem, dass Juden Hörner hätten (wie Moses fälschlicherweise oft dargestellt wird), und dem Erstaunen der Schüler, dass Sami nicht den ganzen Tag bete oder den Holocaust betrauere. Das Wichtigste, was Jugendliche aus seinem Engagement mitnehmen sei: „Nein, ich habe Sami getroffen, und der hatte keine Hörner!“