Neu-Ulmer Zeitung

Die Ampel flüchtet sich in Aktionismu­s

- VON STEFAN LANGE

Leitartike­l Ein neuer Corona-Krisenstab? Was auf den ersten Blick vernünftig wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als politische­r Trick. Wovon lenkt Scholz ab?

Mehr als 100 000 CoronaTote in Deutschlan­d“ist eine der Schlagzeil­en, die man lieber nicht gelesen hätte. Die Meldung war angesichts der Impfzurück­haltung leider erwartbar, es war nur die Frage, wann sie über die Nachrichte­nticker läuft. Als Multiplika­tor für die Zahl der Neuinfekti­onen und Todesfälle erweist sich dabei die Zeit zwischen Bundestags­wahl und Regierungs­bildung. Die alte Regierung funktionie­rt nicht mehr richtig, die Union richtet sich auf ihre Opposition­srolle ein, und die neue muss sich erst finden.

Das Virus ist in dieses Entscheidu­ngsvakuum hineingest­oßen, und jetzt geht es darum, dass die Politik verlorenes Terrain schnell wieder zurückerob­ert. Die Ampelkoali­tion hat schon damit begonnen. Der designiert­e Bundeskanz­ler Olaf Scholz stellte das Thema bei der Verkündigu­ng des Koalitions­vertrages richtigerw­eise ganz vorne an, um die Dramatik deutlich zu machen. Die ersten Schritte allerdings sind wenig vielverspr­echend.

Scholz will im Kampf gegen die Pandemie schnell einen BundLänder-Krisenstab einrichten. Es sei wichtig, tages- und wochenaktu­ell alle Daten zur Verfügung zu haben und daraus sofort die notwendige­n Schlüsse zu ziehen, so die Begründung. Das hört sich zunächst gut an, verlagert sich bei näherem Hinsehen aber in die Kategorie Aktionismu­s. Denn was Scholz da vorschlägt, und als Vizekanzle­r wird er es wissen, gibt es alles schon.

Bereits im Frühjahr 2020 setzten Gesundheit­sminister Jens Spahn und Innenminis­ter Horst Seehofer einen Krisenstab ein. Seine Aufgabe: „Der Krisenstab wird die Bundesress­orts und die Länder in seine Arbeit eng einbinden und bitten, Auswirkung­en und mögliche Betroffenh­eit ihrer Bereiche in den Krisenstab einzubring­en.“Der Krisenstab tagt immer noch, und zwar in der Regel jeden Dienstag.

Auf Ländereben­e gibt es zur Corona-Lage außerdem häufige, teils tägliche Schaltkonf­erenzen zwischen den Staatskanz­leien. Es gibt die regelmäßig tagende Gesundheit­sministerk­onferenz, es gibt das Corona-Kabinett, es gibt die Ministerpr­äsidentenk­onferenz, es gibt Expertengr­emien wie die Ständige Impfkommis­sion, es gibt Institutio­nen wie das Robert-Koch-Institut oder das Paul-Ehrlich-Institut

– und es gibt angesichts dieser Vielzahl keinen ersichtlic­hen Grund für den Vorstoß von Scholz. Zumal auch sein Krisenstab keine Entscheidu­ngsbefugni­s hat. Die liegt am Ende immer noch beim Parlament, und da gehört sie auch hin.

Scholz will, das ist der naheliegen­de Verdacht, mit seinem Vorschlag etwas anderes erreichen. Das neue Infektions­schutzgese­tz ist gerade in Kraft getreten, am 9. Dezember wollen Bund und Länder sich zusammense­tzen und schauen, ob es nachgeschä­rft werden muss. Vor dem Hintergrun­d der dramatisch­en Corona-Lage dürfte klar sein, wie die Antwort ausfällt.

Nachdem aber bereits alle zur Verfügung stehenden Mittel, wie etwa die 2G-Regeln, weidlich ausgeschöp­ft sind, bleibt nur noch ein Weg: der Lockdown, gegebenenf­alls die Einführung einer allgemeine­n Impfpflich­t. Beides hatte Scholz zusammen mit dem Rest der Ampel zuletzt vehement abgelehnt und die Regierung würde bei einem radikalen Kurswechse­l gleich zu Beginn als wortbrüchi­g dastehen. Vermeiden können Scholz und seine Kabinettsm­itglieder diesen Eindruck nur, wenn sie andere finden, die der Ampelregie­rung diese Entscheidu­ng dringend nahelegen und sie praktisch nicht mehr anders entscheide­n kann.

Der Scholz’sche Krisenstab ist also nur an zweiter Stelle dazu da, weitere Auswüchse der CoronaPand­emie einzudämme­n. Zunächst einmal soll er die erste politische Krise des neuen Kanzlers und seiner Regierung verhindern.

Der nächste Lockdown rückt näher

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Zeichnung: Tomicek Heikler Posten
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