Der dreifache Ai Weiwei
Porträt Er ist einer der berühmtesten Aktionskünstler, selbst Medium seiner Kunst – aber wer ist er wirklich? Nun gibt der Chinese mit speziellem Deutschland-Verhältnis Auskunft
Erst zehn Jahre ist das her? Echt jetzt? Da waren jedenfalls wie vielfach weltweit auch auf dem Kunsthaus Bregenz rote Großbuchstaben zum Appell versammelt: „Free Ai Weiwei“. Was damals auf nicht Kunstkundige noch wie ein kreatives Letternspiel gewirkt haben könnte. Aber schon viel länger scheint es nun eigentlich schon, dass jeder, der sich auch nur irgendwie für das Tagesgeschehen interessiert, weiß, wer das ist, Ai Weiwei. Oder?
Ein Künstler, 2011 in seiner Heimat China inhaftiert, weil er sich für Meinungsfreiheit und Menschenrechte eingesetzt hatte. Von 2015 an in Deutschland lebend und immer wieder mit Aktionen von sich reden machend, etwa in der Folge der Flüchtlingskrise, indem er angespülte Schlauchboote und Rettungswesten zu Installationen formte; sich sogar in der Haltung des toten Syrerjungen Alan Kurdi an dieselbe Stelle des Strandes an der türkischen Riviera zu legen. Man musste das nicht sympathisch, konnte es auch mal zynisch finden. Genauso wie es ärgern konnte, dass dieser Ai Weiwei dann, nach vier Jahren ins englische Cambridge weitergezogen, über Deutschland alles andere als freundliche Worte fand: intolerant, unhöflich, autoritätsgläubig, voller Abneigung gegenüber Ausländern, bis in den Alltag noch immer nazistisch… Aber Kunst, Aktionismus, Interviews: Alles sorgt doch für Aufregung. Im Namen der Freiheit, für
Julian Assange oder verschwundene mexikanische Studenten – und für Aufregung um ihn! Das ist doch Ai
Weiwei, oder?
Abgesehen davon, dass man darüber die Güte der eigentlichen Kunst Ai Weiweis allzu oft vergisst, zu deren Mittel er sich eben auch macht – hinter der öffentlichen Person und dem Kunstmedium kommt der Mensch oft nicht zum Vorschein. Dafür gibt es jetzt die Autobiografie „1000 Jahre Freud und Leid“(Peguin, 416 S., 38 Euro), vorgestellt an der Seite von Großschriftsteller Daniel Kehlmann nun in Deutschland. In seinen Erinnerungen gibt sich der 64-Jährige, derweil ins portugiesische Montemor-oNovo umgezogen, zu erkennen. Beschreibt, wie die Familie in Not lebte, weil sein Vater, der Dichter Ai Qing, vom Liebling Maos zum Gedemütigten von dessen Kommunisten wurde. Wie das den mit gedemütigten Jungen prägte. Der später für ein Kunststudium in die USA ging, dort Warhol und Duchamp entdeckte, dem Dichter Allen Ginsberg begegnete. Das waren die 80er, in den 90ern dann, zurück in China, entwickelte er sich selbst zum Konzeptkünstler – und wurde mit der Aktion wie der, 1001 Chinesen zur Documenta zu bringen, zur Marke. Selbst sein eigener Sohn spricht heute über ihn mit dem vollen Markennamen, der den dreifachen Menschen fasst.
Ai Lao, der von den Repressionen gegen seinen Vater geprägt wurde, legte während dessen Haft einen Hammer ins Gefrierfach, sagte: „Der steht für Ai Weiwei.“Und: „Ganz egal, wie viel Ärger ihm die Polizei macht, Ai Weiwei bleibt immer Ai Weiwei – er ändert sich nicht. Wenn das Eis taut, ist der Hammer immer noch der Hammer.“Wolfgang Schütz