Wenn Hotels nach den Sternen greifen
Tourismus Erst seit 25 Jahren werden Beherbergungsbetriebe in Deutschland in Sterne-Kategorien eingeteilt. Vorher herrschte Chaos.
Über einen Kriterien-Katalog mit 247 Punkten, die Schattenseiten des Systems und die Bedeutung von braunem Zucker
Augsburg/Berlin Zum Espresso werden im Maximilian’s zwei Zuckersorten gereicht – brauner und weißer, in kleine Papiertüten verpackt. Ein Detail nur, aber kein unwichtiges, sagt Hoteldirektor Theodor Gandenheimer und trinkt einen Schluck im gedimmten Licht der Lobby. Denn, so erklärt der Augsburger: Wäre der braune Zucker nicht, dann hätte es bei der Qualitätskontrolle zweifelsohne einen Punktabzug gegeben. Und das muss ja nicht sein, erst recht nicht, wenn es darum geht, aus dem breiten Angebot an Hotels herauszustechen.
Es existieren viele Kriterien, die aus einem Haus ein anspruchsvolles und außergewöhnliches machen – Gandenheimer, der sich als „Kind der Luxus-Hotellerie“beschreibt, hat sie alle im Kopf. Das Augsburger Maximilian’s ist bei Preferred Hotels & Resorts gelistet, einer unabhängigen Hotelmarke und Marketing-Kooperation, die weltweit rund 600 luxuriöse Häuser vertritt. Ihre Qualitätskontrollen haben es in sich. Zwei „Mystery Shopper“, also Testkunden, würden sich Jahr für Jahr für zwei Nächte einquartieren und alles genau unter die Lupe nehmen, erzählt Gandenheimer. Die Kriterien überträfen die des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) noch um einiges. Da würden selbst die Klingellaute beim Anruf vom Zimmer an die Rezeption gezählt und bewertet. „Es darf höchstens vier Mal klingeln. Dann muss abgehoben werden.“
Wesentlich bekannter als Preferred Hotels & Resorts ist dabei das, was die Dehoga Deutsche Hotelklassifizierung GmbH, seit nunmehr 25 Jahren, tut: Sie prüft Hotels und vergibt – je nach Ausstattung – zwischen einem und fünf Sternen.
Stand Januar 2021 waren es in Deutschland exakt 7861 Übernachtungsbetriebe mit mindestens einem Stern, in Bayern 1540. Der Freistaat hatte demnach auch mit 23 Häusern die größte Dichte an Fünf-SterneHotels, gefolgt von Baden-Württemberg mit 17. Den höchsten Anteil mit knapp 60 Prozent machten die Drei-Sterne-Hotels aus. Und schon beim kurzen Blick auf diese Zahlen fällt auf: Nur eine Minderheit aller Beherbergungsbetriebe kommt in dem doch so bekannten Sterne-Bewertungssystem vor. Ein Blick auf andere Zahlen führt das deutlich vor Augen: Laut Statistischem Bundesamt gab es hierzulande im Jahr 2019 knapp 44 000 Übernachtungsbetriebe inklusive Jugendherbergen und Pensionen.
Die Vergabe der Sterne, ebenfalls nicht uninteressant, ist dem Dehoga in Deutschland vorbehalten. Auch wenn das manchen Hotelier wenig interessiert. Später mehr dazu.
„Wenn wir ein Hotel klassifizieren, prüfen wir nach einem Kriterienkatalog, der 247 Punkte umfasst“, sagt Markus Luthe. Er ist Geschäftsführer der Dehoga Deutsche Hotelklassifizierung GmbH. Unter der Internetadresse www.hotelstars.eu sind die Kriterien im Einzelnen einsehbar. Aus den ellenlangen Tabellen gehen auch Mindestkriterien hervor. Also solche, ohne die ein Fünf-Sterne-Haus eben keine fünf Sterne bekommen oder führen könnte. Dazu gehört die Mindestgröße der Zimmer, oder dass es ein Restaurant geben muss, das jeden Tag geöffnet ist. Oder einen „Badezimmerhocker auf Wunsch“. Das Vorhalten einer Rolle Ersatzklopapier im Zimmer ist dabei selbst für die Einstufung als Ein-SterneHotel obligatorisch.
Aus den Mindestkriterien ergibt sich schließlich eine Mindestpunktzahl, die dann wiederum die SterneKategorie mitbestimmt. Ist die Punktzahl besonders hoch und erreicht ein definiertes Niveau, darf sich das jeweilige Hotel nicht nur der Sterne, sondern des Zusatzes „Superior“erfreuen.
Doch warum all der Aufwand? Für Markus Luthe ist die Sache sternenklar: „Ein Hotel, das offiziell klassifiziert ist, hat einen deutlichen Vermarktungsvorteil“, sagt er. Das Bewertungssystem des Dehoga – inzwischen haben sich in Europa 17 Länder darauf verständigt – sorge dafür, dass ein Gast nicht die Katze im Sack kaufen müsse. „Sondern dass Gäste schon vor der Buchung darüber Bescheid wissen, was sie erwarten dürfen.“Und zwar aktuell länderübergreifend neben Deutschland in Österreich, Belgien, Tschechien, Dänemark, Estland, Griechenland, Ungarn, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Schweden, Slowenien und in der Schweiz.
Luthe würde gerne weitere Länder aufzählen. Doch: „Leider haben wir uns mit unserem System noch nicht überall durchsetzen können“, sagt er. Und das liege zum Teil an den sehr unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Ländern. Mal sei eine staatliche Behörde für die Vergabe und Kontrolle nationaler Sterne zuständig, mal eine regionale. „In Italien haben Sie 21 verschiedene staatliche Klassifizierer, in Spanien 17“, rechnet Luthe vor.
Es ist ein Chaos – jenem von vor 1996 in Deutschland nicht unähnlich. Die Regelung, wonach was und wer wie viele Sterne verdient, war damals nicht verbindlich festgelegt. Ein gewitzter Gastgeber, eine gewitzte Gastgeberin konnte sich einfach selber großzügig auszeichnen.
Der Versuch, Übernachtungsbetriebe durch Symbole unterscheidund vergleichbarer zu machen, reicht weit zurück. Die ersten „Sterne“sollen im Florenz des 14. Jahrhunderts Erwähnung gefunden haben. Sehr viel später, 19. Jahrhundert, setzte auch der Deutsche Karl Baedeker – bekannt für die Reiseführer mit dem knallroten
Einband – auf Sterne. „International ist es heute so, dass eigentlich kein System mehr als fünf Sterne vergibt. Das ist das Maximum“, erklärt Luthe. Aber was ist dann mit dem Burj Al Arab in Dubai, das sich als Sieben-Sterne-Hotel preist? „Es gibt kein Hotel auf der Welt, das offiziell mehr als fünf hat“, beharrt Luthe, wohlwissend, dass Hoteliers im Ausland mit Sternen nur so um sich werfen können.
Die Sterne-Klassifizierung, so umstritten das System sein mag, hat ihren Reiz, auch für Theodor Gandenheimer vom Augsburger Maximilian’s. In diesem Jahr meldete das Hotel sich für die Dehoga-Klassifizierung an. „Wir haben auf die 5 Sterne S gehofft und waren sehr froh, als wir sie auch bekommen haben“, sagt der Hoteldirektor. S für „Superior“, und damit besonders anspruchsvoll und außergewöhnlich. In Bayern würden sich zwölf Hotels in dieser Einstufung befinden, in Deutschland 73, sagt Gandenheimer. Und will gleich danach ein Missverständnis ausräumen. „Ein Fünf-Sterne-Hotel muss keinen Pool haben. Es braucht aber einen Spa-Bereich.“
Einen Pool also hat das Traditionshaus in der Augsburger Maximilianstraße mit seinen 132 Zimmern nicht. Dafür verfügt es über zahlreiche Angebote und Annehmlichkeiten. Etwa über internetfähige Fernseher mit Playstation-Anschluss. Vor allem Fußballspieler der Bundesliga, die regelmäßig eincheckten, würden letztere Möglichkeit sehr schätzen, verrät Gandenheimer. Und wo er gerade dabei ist: „Bei uns können sich die Gäste vom Hauptbahnhof im Maserati Quattroporte abholen lassen.“So etwas sei „nice to have“, schön, wenn man es habe.
Ein Muss dagegen: drei verschiedene Kleiderbügel, darunter Hosenspanner und Seidenbügel. Die Welt der Sterne-Klassifizierung ist eine Welt voller bemerkenswerter Details.
Doch wo es hell strahlt, gibt es auch Schatten. „Es kommt immer wieder vor, dass Hotels sich selbst Sterne verleihen, die nicht durch uns klassifiziert worden sind“, sagt Markus Luthe von der Dehoga Deutsche Hotelklassifizierung GmbH. Allerdings würden es weniger und manch einer handele auch nicht aus böser Absicht. Um schwarze Schafe herauszufiltern, bedient sich Luthes Organisation einer Art Schleppnetzfahndung im Internet. Mit einer Software prüft sie jährlich etwa 30 000 Internetseiten auf versteckte oder offene Angaben zu Sternen, die die Häuser womöglich gar nicht haben. „Bei ungefähr drei Prozent werden wir fündig“, erklärt er. Sollten die Hoteliers beharren, werden die jeweiligen Wettbewerbsbehörden eingeschaltet – wegen des Verdachts der Verbrauchertäuschung. Gerichte haben bereits Ordnungsgelder verhängt. Zudem könnten andere Hoteliers mit regulären Sternen, die auf dem gleichen Markt um Gäste werben, gegebenenfalls Schadenersatz fordern.
Warum jedoch verzichten viele Hotelbetreiber auf den Griff nach den Sternen? Das hat auch etwas mit den Kosten der Klassifizierung zu tun. In Bayern schlägt die Erstklassifizierung für Hotels, deren Betreiberinnen und Betreiber nicht Mitglied im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband sind, mit 680 Euro plus neun Euro pro Zimmer zu Buche. Dazu kommt das offizielle Messingschild, das die Sterne zeigt. Kostenpunkt: 65 Euro. Die Gültigkeit beläuft sich auf drei Jahre. Danach wird eine Wiederholungsklassifizierung fällig, die unwesentlich günstiger ist als die erste Begutachtung. Organisiert wird so eine von den Dehoga-Landesverbänden und durchgeführt von bis zu – von Bundesland zu Bundesland verschieden – 50 überwiegend ehrenamtlich tätigen Zertifizierern.
Um Kriterien zu erfüllen, können auch größere Investitionen nötig werden. Ins Augsburger Maximilian’s jedenfalls wurde in den vergangenen Jahren stark investiert. In rund der Hälfte der Zimmer des Hotels, das in Eigenregie geführt wird, wurde etwa Parkett verlegt. Mit der Aufnahme in den Marketing-Verbund Preferred Hotels & Resorts und dem Erhalt der „5 Sterne S“würden auch die Gäste anspruchsvoller, weiß Hoteldirektor Gandenheimer. Er ist nun in der PaganiniSuite, die 82 Quadratmeter hat und in der das wertvollste Gemälde des Hotels hängt: ein Jagdstillleben mit Hase des 1719 gestorbenen niederländischen Malers Jan Weenix. Die
Selbst die Zahl der Kleiderbügel ist festgelegt
Wer bestehen will, muss auf sich aufmerksam machen
beiden Zimmer nebenan können mit der Suite verbunden werden. „Schließlich gibt es ja Gäste, die ihr Kindermädchen oder Security dabei haben“, sagt Gandenheimer. Mindestens einmal pro Woche sei die Suite gebucht, der Preis beginne bei 400 Euro. Zugleich berichtet er darüber, dass aufgrund der Pandemie viele internationale Gäste fehlen.
Regelungen für die Hotelbranche haben sich in Corona-Zeiten mitunter schnell geändert, die Furcht vor erneuten Lockdowns, vor Reisewarnungen, vor weiteren massiven Einbrüchen ist enorm. Umso wichtiger: Wer im Markt bestehen will, muss Stammgästen im Gedächtnis bleiben und auf sich aufmerksam machen. Sterne können dabei helfen. Oder Sonnen. Wie sie das Hotelbewertungs- und Reiseportal Holidaycheck mit Sitz im schweizerischen Bottighofen am Bodensee auf Basis von Nutzerkommentaren verwendet. Georg Ziegler von Holidaycheck sagt, man wolle auf ein Haus genau so drauf schauen, wie der Gast es tue. „Und der misst Qualität nicht unbedingt an der Frage, wie lange der Nachtportier Dienst schiebt und ob sein Hotelzimmer 24 oder 26 Quadratmeter hat.“Wobei: Gut zu wissen, ist das ja schon.