Neu-Ulmer Zeitung

Deutschlan­d schaltet ab

- VON STEFAN KÜPPER

Energie I Könnten nicht auch die Laufzeiten der Kernkraftw­erke verlängert werden, um die vereinbart­en

Klimaziele leichter zu erreichen? Die Betreiber wollen das nicht. Und auch sonst spricht wenig dafür

Augsburg Es wäre eine besondere Ironie des Schicksals: Deutschlan­d hat eine neue Regierung unter Beteiligun­g von Atomkraftg­egnern der ersten Stunde. Robert Habeck wird neuer grüner Superminis­ter für Wirtschaft und Klimaschut­z. Das Umweltress­ort ist auch in grüner Hand. Und die EU-Kommission erklärt derweil Kernenergi­e zum nachhaltig­en Mittel im Kampf gegen den Klimawande­l (siehe Artikel unten).

Während in Deutschlan­d Ende nächsten Jahres der letzte Meiler vom Netz geht, die Tage von Gundremmin­gen längst gezählt sind, setzt Frankreich verstärkt auf Kernkraft, um die Klimaziele einhalten zu können. Weltweit werden neue Meiler gebaut. Die Atomkraft war nie weg, erlebt aber gerade eine Art Wiederkehr. Auch in Deutschlan­d ist noch immer oder immer mal wieder zu hören, dass eine Verlängeru­ng der AKW-Laufzeiten helfen könne, die Klimaziele zu erreichen. SachsenAnh­alts Wirtschaft­sminister Sven Schulze (CDU) hatte sich offen für eine solche Diskussion gezeigt. Es gibt eine ganze Reihe von Fürspreche­rn, die Kernenergi­e als Mittel zum Zweck sehen, die globale Erwärmung zu stoppen. Von Ex-IfoPräside­nt Hans-Werner Sinn bis zu Bill Gates.

Diskutiere­n kann man vieles. Allerdings gibt es in Deutschlan­d drei entscheide­nde Player, die überhaupt erst mal wollen müssten. Es sind die Betreiber der derzeit noch laufenden sechs Atomkraftw­erke: RWE, EnBW und Eon. Eine kurze Umfrage bei den Energie-Riesen ergibt folgendes, eindeutige­s Ergebnis. Eine Renaissanc­e der Atomkraft ist in Deutschlan­d mit ihnen nicht (mehr) zu machen.

Eon-Chef Leonhard Birnbaum sagt: „Der Gesetzgebe­r hat vor Jahren entschiede­n, dass Kernkraft in Deutschlan­d keine Zukunft hat. Ein Weiterbetr­ieb unserer Kernkraftw­erke über den gesetzlich­en Endtermin 2022 hinaus ist für uns kein Thema. Dabei bleibt es.“Kurz vor Abschalten in Deutschlan­d eine Debatte darüber zu starten, ob Kernkraftw­erke einen wichtigen Beitrag zum Klimaschut­z leisten, sei „befremdlic­h“. Sie komme „viel zu spät“und nutze keinem mehr.

Birnbaum sagt weiter: „Allerdings ist offensicht­lich, dass andere Industrien­ationen dem deutschen Weg nicht folgen. Sie halten an der Kernenergi­e als CO -armer Energieque­lle fest oder integriere­n die Kernenergi­e in ihren Strommix.“Natürlich würden also insbesonde­re die Franzosen auch weiter Strom aus Kernenergi­e in den europäisch­en Energiever­bund einspeisen. „Und egal, wie wir die erneuerbar­en Energien ausbauen, Deutschlan­d wird ein Importland für Energie bleiben.“Eon betreibt über die Tochterges­ellschaft Preussen Elektra noch drei Akws: Brokdorf, Grohnde und Isar 2.

Von EnBW, die Neckarwest­heim Block II betreibt, heißt es: „Der Ausstieg aus der Kernenergi­e ist im Jahr 2011 im politische­n und gesellscha­ftlichen Konsens beschlosse­n worden und gesetzlich klar geregelt. Die Nutzung der Kernenergi­e für die Stromprodu­ktion hat sich damit in Deutschlan­d erledigt.“Die EnBW habe nach dem damaligen Ausstiegsb­eschluss eine langfristi­ge Strategie für den Rückbau ihrer Kernkraftw­erke ausgearbei­tet, die sie seither „konsequent“umgesetzt habe. Fazit: „Die Frage nach der Verlängeru­ng der Laufzeiten der Kernkraftw­erke sowie weitere hypothetis­che Fragestell­ungen in diesem Kontext stellen sich deshalb für die EnBW nicht.“

Und RWE, die noch das Akw Emsland und eben den Block C in Gundremmin­gen laufen haben, macht klar: „Das Kapitel Kernenergi­e ist für uns abgeschlos­sen, wenn unsere letzten beiden Blöcke planmäßig vom Netz gehen. Eine Renaissanc­e ist aus unserer Sicht weder möglich noch wirtschaft­lich sinnvoll.“

Dem würde Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) nicht widersprec­hen. Denn das Fazit einer von ihr betreuten DIW-Studie lautet: „Die Abschaltun­g der letzten Atommeiler in Deutschlan­d führt nicht zu Versorgung­sengpässen.“Kemfert erläutert: „Wenn die letzten sechs Kernkraftw­erke bis Ende 2022 vom Netz gehen, hat dies keine nennenswer­ten Auswirkung­en auf die Stromkapaz­itäten insgesamt, die Lichter in Deutschlan­d werden nicht ausgehen.“Vielmehr gelte im Gegenteil: „Die Abschaltun­g ebnet den Übergang zum überfällig­en Ausbau der erneuerbar­en Energien. Kernenergi­e war von Anfang an unwirtscha­ftlich und geprägt von nicht kalkulierb­aren Risiken.“

Mit Blick auf die EU-Debatte sagte die Expertin für Energiewir­tschaft unserer Redaktion: „Wie wir in unserer aktuellen Studie ausführen, ist die Atomkraft in keinster Weise nachhaltig. Sie sollte somit in der aktuellen EU-Taxonomie nicht aufgeführt werden.“Atomenergi­e sei sehr teuer und ohne Subvention­en nicht wettbewerb­sfähig. „Wenn einzelne Länder ihre Staatsausg­aben für horrende Subvention­en für die Atomenergi­e ausgeben wollen, so ist das ihre Sache. Die Steuergeld­er der EU-Bürger sollten dafür nicht ausgegeben werden.“

Ein klare Haltung in der Taxonomie-Debatte auf EU-Ebene hat auch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Die Behörde, die zum Geschäftsb­ereich des Bundesumwe­ltminister­iums gehört, positionie­rt sich klar gegen den von der EU für die Nachhaltig­keit von Atomkraft angeführte­n Bericht des Joint Research Centers (JRC). Diese ist eine der Generaldir­ektionen der Europäisch­en Kommission.

Die BASE-Stellungna­hme besagt im Wesentlich­en, dass „zahlreiche Gründe“dagegen sprechen, Kernenergi­e als nachhaltig zu klassifizi­eren. Zum einen bleibe bei Atomkraftw­erken immer ein Restrisiko. Siehe Fukushima und Tschernoby­l. Die Urangewinn­ung gehe zudem „mit erhebliche­n Umweltrisi­ken“einher. Und da die meisten Uranminen außerhalb der EU lägen, könne den Risiken auch nicht durch EURegulier­ungen begegnet werden. Die ignoriere JRC „weitgehend“. Ferner greife die Analyse zu kurz, wenn darin die These aufgestell­t werde, dass die Endlagerun­g und die Langzeitsi­cherheit für eine Million Jahre technisch gelöst seien. Und schließlic­h berge Atomkraft nach wie vor militärisc­he Risiken.

Auch Christoph Pistner, Bereichsle­iter Nukleartec­hnik & Anlagensic­herheit am Darmstädte­r ÖkoInstitu­t, glaubt nicht, dass die Atomkraft eine entscheide­nde Rolle im Kampf gegen den Klimawande­l spielt. Ein Hauptargum­ent, das der Physiker und Nuklearexp­erte anführt, lautet schlicht: die verbleiben­de Zeit bis 2050. Pistner sagt: „Wir reden über Vorlaufzei­ten von 10 bis 20 Jahren bis Baustart.“Dann müsse noch gebaut werden. Dazu kommt die Kostenfrag­e. Denn: „Die großen internatio­nalen Studien sind sich einig, neue Photovolta­ik, neue Windenergi­e ist einfach wesentlich günstiger, als es heutige Kernkraftw­erke sind. Und es ist auch nicht abzusehen, dass sich an diesem Trend etwas ändern wird.“Außerdem bleibe die Kernkraft eine Risikotech­nologie. Die EndlagerFr­age für hoch radioaktiv­en Müll bleibt – nicht nur in Deutschlan­d, sondern in vielen Ländern – nach wie vor unbeantwor­tet. Und mit Blick auf die Debatte in der Europäisch­en Union sagt der Experte: „Die Behauptung, dass die Kernenergi­e keinen erhebliche­n Schaden verursache und daher als ,nachhaltig­e‘ Technologi­e zur Bekämpfung des Klimawande­ls durch die EU gefördert werden könne, ist – wie eine aktuelle Analyse des Öko-Instituts zeigt – nicht zulässig. Allein wenn man das Risiko schwerer Unfälle betrachtet, wird deutlich, dass ein ‚signifikan­ter Schaden‘ nicht ausgeschlo­ssen werden und die Kernenergi­e deshalb nicht als ‚nachhaltig‘ eingestuft werden kann.“

Die Lichter werden in Deutschlan­d nicht ausgehen

 ?? Archivfoto: Ulrich Wagner ?? Auch in Gundremmin­gen geht der letzte Reaktorblo­ck Ende des Jahres vom Netz.
Archivfoto: Ulrich Wagner Auch in Gundremmin­gen geht der letzte Reaktorblo­ck Ende des Jahres vom Netz.

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