Studium der Verschwörungsideologie
Pandemie Die private Hannah-Arendt-Akademie bietet Vorlesungen und Seminare mit bekannten Corona-Verharmlosern an. Die Politik ist weitgehend machtlos dagegen
Starnberg Die Hannah-ArendtAkademie richtet sich, so stand es bis vor kurzem auf ihrer schicken Internetseite, an kritische junge Menschen. Das Institut mit Sitz in Starnberg bewirbt seit einigen Wochen eigene Online-Vorlesungen und Seminare, ein sogenanntes Studium Generale. Einschreiben kann sich jede und jeder, der über die Hochschulreife verfügt. Für ihr Vorlesungsverzeichnis, das im Aufbau staatlichen Universitäten ähnelt, hat die Akademie mehr als ein dutzend Dozentinnen und Dozenten gewonnen. Sie genießen der Akademie zufolge „uneingeschränkte Wissenschaftsfreiheit“in den Positionen, die sie vertreten.
Was das bedeutet, zeigt ein Blick auf die Liste dieser Rednerinnen und Redner: Darauf vertreten sind bekannte Gesichter aus der Szene der Corona-Skeptiker, AfD-Sympathisierende, Impfgegnerinnen und Impfgegner. Michael Blume, Beauftragter gegen Antisemitismus in Baden-Württemberg, klagt die Akademie einer „verschwörungsmythologischen Umdeutung“der „großen Denkerin“Hannah Arendt an. Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, verortet sie im Milieu der „Reichsbürger, Querdenker und Verschwörungsideologen“.
Erster Vorsitzender der HannahArendt-Akademie ist laut Impressum Christian Klammer, der bis November 2020 in dem Promi-Ort am See das exklusive Schuhgeschäft „Schuhtingstar“geführt hatte. Als zweiter Vorsitzender fungiert Matthias Burchardt, Kölner Pädagoge und Kritiker des Bildungssystems. Das Lehrangebot ihrer Akademie flankieren sie mit Zitaten der amerikanisch-deutschen Denkerin. Hannah Arendt, die in ihrem Werk unter anderem die Ursprünge totalitärer Herrschaft und die Unterdrückung der darin lebenden Menschen erforschte, war als Jüdin 1933 von Deutschland erst nach Frankreich, dann in die USA emigriert.
Die nach ihr benannte Akademie verspricht Studierenden „Rede-, Meinungs- und Gedankenfreiheit unter kultivierten und gebildeten Menschen“. Viele der Dozentinnen und Dozenten aber sind für wissenschaftlich begründete Meinungen nur begrenzt empfänglich: Als Gastredner zum Thema „Meeresbiologie“etwa steht da Dr. Stefan Lanka, bekannt geworden durch seine Leugnung der Existenz von Masernviren und Aids. Ebenfalls dabei: Ökonom Max Otte, Chef der rechtskonservativen Werte-Union und bis 2021 Kuratoriumsvorsitzender der AfD-nahen Desiderius-ErasmusStiftung. Im Mai 2020 hatte Otte auf einer Querdenken-Kundgebung gesprochen und Corona als „Geschäftsmodell“bezeichnet, hinter dem „leider auch viele Politiker“stünden. Michael Meyen, bis heute
Der Begriff „Akademie“ist rechtlich nicht geschützt
Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-MaximiliansUniversität in München, war Teil der umstrittenen Video-Aktion „Alles auf den Tisch“des Schauspielers Volker Bruch, in der er die Medien als gesteuert bezeichnete.
Auch dem bayerischen Wissenschaftsministerium ist die Starnberger Einrichtung bekannt. Juristisch kann man sie aber nur schwer belangen, wie eine Anfrage in München beweist. Denn anders als etwa die Bezeichnungen „Universität“,
„Hochschule“und „Fachhochschule“ist der Begriff „Akademie“rechtlich nicht geschützt. „Ein wissenschaftlicher Verein, der sich Akademie nennt, unterliegt keiner Kontrolle beziehungsweise Kontrollmöglichkeit durch das Wissenschaftsministerium“, erklärt ein Sprecher.
Demnach kann das Ministerium von Bernd Sibler (CSU) den Betrieb nur untersagen, wenn eine solche Einrichtung ohne Anerkennung durch das bayerische Hochschulgesetz „Hochschulstudiengänge durchführt, Hochschulprüfungen abnimmt oder akademische Grade verleiht“. Das wissen die Gründer und schreiben explizit auf ihrer Seite: „Die Hannah-Arendt-Akademie ist keine akkreditierte Hochschule und kann deshalb auch keine staatlich anerkannten Zertifikate ausstellen. Nach regelmäßiger Anwesenheit bei den Lehrveranstaltungen und erfolgreicher Anfertigung der Semesterabschlussarbeit bescheinigen wir aber die Teilnahme am Studium Generale zur Vorlage bei Bewerbungen.“
Die Grünen-Chefin Katharina Schulze will die Akademie nun im Landtag zum Thema machen: „In letzter Zeit häufen sich in Bayern die Meldungen über ‚alternative Lerngruppen‘ und ‚illegale Schulen‘“, beklagt sie gegenüber unserer Redaktion. Nun versuche dasselbe Milieu, sich sogar im akademischen Bereich zu etablieren. „Mit einer seriösen akademischen Aus- und Weiterbildung hat diese Akademie nichts zu tun. Die jüdische Philosophin und Antifaschistin Hannah Arendt würde sich angesichts dieses Missbrauchs ihres Namens im Grabe umdrehen.“
Wie viele Studierende sich bislang eingeschrieben haben, ist nicht bekannt. Eine Anfrage unserer Redaktion ließen die Gründer bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Möglicherweise hatten sie etwas anderes zu tun. Das Hackerkollektiv Anonymous nämlich hat die Seite der Hannah-Arendt-Akademie gekapert und umgestaltet. Statt von Dozenten war nach dem Hackerangriff von „Hohepriestern“die Rede, statt eines „Orientierungssemesters“stand eine „Teufelsaustreibung“im Angebot und statt dem Konterfei Hannah Arendts zierte die berühmte schwarz-weiße Guy-FawkesMaske die Startseite. Zuletzt war die Seite gar nicht mehr erreichbar.