Nur Zimmer 13 ist noch frei
Intensivstation Das Personal ist erschöpft, Patientinnen und Patienten kämpfen um das Überleben: So ist die Lage am
Bundeswehrkrankenhaus Ulm. Wie vermeintliche Kleinigkeiten helfen und worauf die Ärztinnen und Ärzte hoffen
Ulm „Wir haben seit fast zwei Jahren im Hamsterrad gearbeitet“fasst der Kommandeur des Ulmer Bundeswehrkrankenhauses die Situation plakativ zusammen. In jedem Satz von Generalarzt Dr. Jörg Ahrens klingt viel Stolz auf „sein“Personal durch. Denn auch in den Phasen, in denen die Corona-Pandemie in der öffentlichen Wahrnehmung ruhiger verlief, arbeiteten Klinik und Beschäftigte auf Hochtouren. Das Militärkrankenhaus mit rund 500 Betten sowie 1600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern versorgt nicht nur die süddeutschen Soldaten und Kameradinnen im Auslandseinsatz, sondern ist auch in der schwäbischen Kliniklandschaft als Traumazentrum und als Station eines Rettungshubschraubers ein wichtiger Stützpfeiler der medizinischen Versorgung der Bevölkerung.
Auslandseinsätze in Mali und im Irak, die Evakuierung von Kabul, der Betrieb einer Intensivstation in Portugal im März und der Transport von rumänischen Corona-Patienten nach Norddeutschland sind dabei nur einige exemplarische Militäreinsätze in diesem Jahr. Daneben läuft der Klinikbetrieb weiter. Für Ahrens gilt es, die Balance zu halten zwischen der Versorgung von Covid-Kranken auf der einen Seite und von Schwerverletzten durch Unfälle auf der anderen Seite. Der Mediziner betont, dass jeder die Hilfe bekomme, die er dringend brauche. Die Krankenhäuser der Region unterstützen sich dabei gegenseitig, es sei „ein tagesaktueller Sichtflug“in der Abstimmung der Einrichtungen. Dabei ruft der BWK-Chef jeden Kranken auf, ins Krankenhaus zu gehen, wenn er Hilfe benötigt. Das umfangreiche Hygienekonzept schütze Personal sowie Patientinnen und Patienten vor einer Corona-Infektion, betont er. Jeder und jede mit einem Herzinfarkt und jedes Unfallopfer erhalte die notwendige medizinische Hilfe.
Im Gespräch mit unserer Redaktion bricht Ahrens eine Lanze für das Impfen. Zum einen verweist er auf die Impfung als individuellen Schutz vor schweren Verläufen und zum anderen auf das dadurch verminderte Ansteckungsrisiko für andere. Wer sich infiziert hat und im BWK behandelt wird, ist durch Sicherheitsmaßnahmen vom Rest der Klinik abgeschirmt. Die Corona-Intensivstation ist fast voll, nur Zimmer 13 ist noch frei.
An der Schleuse zur Intensivstation wartet die Ärztin Judith Bauer, die zum Gespräch in das Stationszimmer der Intensivstation bittet.
Eigentlich hätte dort schon vor einer halben Stunde die Frühstückspause stattfinden sollen, doch alle Teller sind unberührt und auch der Korb mit den Brötchen ist noch voll. Auch heute sind die Ärztinnen und Pfleger noch mit der Versorgung der Kranken beschäftigt, die Pause wurde einmal wieder verschoben. Während die Ärztin erklärt, warum Corona-Kranke immer wieder in eine Bauchlage gedreht werden, kommen endlich die ersten Kolleginnen und Kollegen aus der Schleuse zu den Patientenzimmern und lassen sich auf die Stühle fallen. Kurz ein Brötchen belegen und essen, währenddessen kommt schon wieder jemand zur Tür herein und hat dringende Fragen zum Gesundheitszustand eines Patienten.
Während des Essens erzählt ein Stationsarzt von seinem zwölfjährigen Sohn, der ihn vor ein paar Tagen gefragt hat, warum er auch Ungeimpften helfe – die seien doch selbst schuld an ihrem Gesundheitszustand. Nach einem kurzen Moment Sprachlosigkeit über solch eine Kinderfrage erklärte der Mann seinem Sohn, dass er als Arzt jedem Menschen hilft und nicht unterscheidet, warum er oder sie in dieser Situation ist. Judith Bauer ergänzt, dass ein Notarzt ein Unfallopfer ja auch nicht frage, ob es vor dem Zusammenstoß zu schnell gefahren sei. Eine richtige Pause wird die kurze Zusammenkunft im Stationszimmer nicht. Das Personal bricht schnell wieder auf, um sich erneut mit Schutzkleidung auszustatten und den nächsten Patienten zu drehen.
Auf der normalen Infektionsstation liegen laut Generalarzt Ahrens etwa gleich viele Geimpfte und Ungeimpfte, auch wenn die Geimpften mittlerweile in der Gesamtbevölkerung in der Mehrzahl sind. Auf der Corona-Intensivstation befinden sich nach Angaben des Mediziners ausschließlich ungeimpfte Menschen. Während in den ersten Wellen die Patientinnen und Patienten überwiegend älter gewesen seien, ist in der aktuellen vierten Welle die Altersstruktur im Krankenhaus gleichmäßig verteilt. In einem der Zimmer der Intensivstation steht ein Familienfoto auf einer Wandleiste.
Der künstlich beatmete und narkotisierte Mann um die 40, der im Bett liegt, ist auf dem Foto lachend inmitten seiner Kinder und neben seiner Frau zu sehen. Er ist nicht geimpft und kämpft um das Überleben.
Der Ärztin ist anzumerken, dass sie erschöpft ist. Genauso wie ihre Kollegen, die nicht nur dienstplanmäßig an zwei Wochenenden pro Monat arbeiten, sondern oft noch ein drittes Wochenende als Überstunden ableisten, da die Arbeit extrem personalintensiv ist. Nun muss wieder ein Patient gedreht werden, Judith Bauer geht zum Helfen in das Zimmer, insgesamt müssen vier Kollegen zusammen anpacken. Bauer weiß mittlerweile, welcher Typ Bettlaken rutschiger ist als die anderen und damit das Drehen leichter macht. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die in Zusammenarbeit mit der Klinikwäscherei die Arbeit etwas erleichtern. Schläuche dürfen beim Drehen nicht abknicken oder herausgezogen werden, der gesamte Vorgang dauert dadurch rund eine halbe Stunde. Nach dem Drehen kontrolliert die Ärztin Bauer mit dem Stethoskop, ob der Beatmungsschlauch noch richtig liegt. Durch die abwechselnde Drehung in Bauch- und Rückenlage wird die Lunge gleichmäßiger belüftet.
Und dann fällt Bauer der Anruf eines Hausarztes ein. Der Kollege erkundigte sich, ob ein bestimmter Patient bei ihr auf der Intensivstation versorgt werde. Bauer bejahte das und der Arzt erklärte ihr den Hintergrund der Frage. Insgesamt 15 Angehörige des Mannes waren gleichzeitig in der Hausarzt-Praxis aufgetaucht und hatten nach einer Impfung verlangt. Das Schicksal ihres nicht geimpften Angehörigen auf der Intensivstation hatte die Großfamilie zum gemeinschaftlichen Umdenken gebracht.
In der aktuellen Welle sind für Bauer neben den Impfungen auch die Kontaktbeschränkungen hilfreich und sie wünscht sich für ihre Kollegen und sich selbst, dass sie nicht das zweite Weihnachtsfest in Folge bei der Arbeit im Krankenhaus verbringen muss.