Kultur soll Staatsziel werden: Große Effekte wird das nicht haben
Leitartikel Die Ampelkoalition will die Kultur im Grundgesetz verankern. Das wird klammen Kommunen aber nicht helfen, Theater und Museen zu finanzieren
Erst einmal stutzt man: Kultur soll Staatsziel werden, heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel. Das klingt ja wunderbar. Aber man fragt sich unwillkürlich, warum es das noch nicht war. Erste Antwort, weil Kultur und Kulturförderung im föderalen Deutschland vor allem Ländersache sind. Dort, in den Landesverfassungen, gibt es in fast allen Bundesländern bereits eine Verfassungsverankerung der Kultur. In Bayern heißt es in Paragraf 3: „Bayern ist ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaat.“
Warum hat man auf Bundesebene die Verankerung der Kultur im Grundgesetz nicht längst geschaffen? Antwort: Weil es da juristisch ein Abwägen gibt und die Länder, die einer Grundgesetzänderung zustimmen müssen, das auch als Einmischung in ihre Belange begreifen können. Initiativen dazu, die Kultur im Grundgesetz zu verankern, gab es schon öfter, durchsetzen konnten sie sich bislang nicht, weder die gemeinsame Verfassungskommission nach der Wiedervereinigung noch die Enquete-Kommission Kultur 2005 oder 2012 die SPD mit ihrem Vorhaben, Kultur und Sport als Staatsziel im Grundgesetz festzuschreiben.
Die Hoffnung, die Kulturschaffende damit verbinden, ist, dass die Belange der Kultur künftig bei anderen Gesetzesvorhaben berücksichtigt werden. In der CoronaKrise wurde Kultur einfach als
Teil des Freizeitsektors behandelt, als ob es sich bei Theatern, KartHallen und Fitnessstudios um das Gleiche handelt.
Natürlich möchte man sofort Beifall spenden und den Politikern und Politikerinnen zurufen: „Verankert Kultur als Staatsziel im Grundgesetz.“Aber man sollte das unbedingt mit einem Zusatz versehen. Schaut hin, wer tatsächlich und überwiegend die Kultur fördert. Das sind die Länder, vor allem aber die Kommunen. Wobei dort, in den Kommunen, bis auf den Freistaat Sachsen die Kultur zu den freiwilligen Leistungen gehört.
Ob Kultur gefördert wird, wie das ausgestaltet wird, ob es öffentliche Bibliotheken, Theater und Museen gibt, auch die freie Szene Unterstützung erfährt, das wird zu einem Großteil auf kommunaler Ebene entschieden. Und die Unterschiede innerhalb von Deutschland sind groß, zu wie viel Förderung Kommunen in der Lage sind. 2500 Städte und Gemeinden gelten in Deutschland als überschuldet, man findet sie geballt in NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland.
Wer Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankern will, sollte gleichzeitig Wege finden, wie Kommunen, die fast keinen finanziellen Spielraum mehr haben, trotzdem weiter Büchereien, Museen und
Theater finanzieren und auch für die freie Szene Gelder bereitstellen können. Nur dann hat der zusätzliche Paragraf im Grundgesetz tatsächlich Konsequenzen, die spürbar für die Menschen werden.
In der Kulturpolitik des Bundes stehen jenseits der Förderung von Kunstprojekten nationaler Tragweite große Institutionen wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Museen wie das Deutsche Historische Museum in Berlin oder zuletzt das Großprojekt Humboldt-Forum in Berlin im Vordergrund. Die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth wird mit dem verpatzten Start des Humboldt-Forums umgehen müssen und zu Fragen der Restitution von Raubkunst Antworten finden müssen. Sie wird aber nicht bewerkstelligen können, verschuldeten Kommunen Geld für die kulturellen Belange zu verschaffen. Da sind die Koalition und die Länder gefordert. Spätestens nun setzt der Realismus ein: Dass die Ampel den Föderalismus in Deutschland reformieren will, war bislang noch nicht laut und deutlich zu vernehmen.
2500 Städte und Gemeinden gelten als überschuldet