Machtmensch – aber auch Machtopfer?
Sportpolitik Nach acht Jahren endet die Amtszeit von Alfons Hörmann als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. Seit einem halben Jahr fliegen dem Allgäuer die Vorwürfe nur so um die Ohren. Es gibt inzwischen aber viele, die von einer schmutzigen Intrige überzeugt sind.
Kempten Alfons Hörmann hatte mal ein Faible für Weisheiten. Kaum eine Präsentation, kaum ein Impulsvortrag, kaum eine Rede, die er nicht mit einem Zitat eines Philosophen oder Politikers eröffnete.
„Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.“
Den deutschen Großindustriellen und SPD-Politiker Philipp Rosenthal zitierte Hörmann besonders gerne. Aber auch den französischen Schauspieler Molière, den Schweizer Schriftsteller Max Frisch oder den deutschen Dichter Christian Morgenstern. Viele dieser Sätze, die wir in diesem Text kursiv markiert einstreuen, erscheinen jetzt, da Hörmann Abschied nimmt vom Amt als mächtigster Sportfunktionär Deutschlands, in einem anderen Licht.
Alfons Hörmann, der in Kempten geboren wurde und in Sulzberg im Oberallgäu auf einem Bauernhof aufwuchs, hat es ohne Abitur und Studium zum erfolgreichen Unternehmer, Millionär und einflussreichen Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) gebracht. Er tourte jahrelang durch Deutschland, gab Managern Führungstipps und referierte vor Schülern und Auszubildenden darüber, dass sich Leistung lohne. Seit anderthalb Jahren ist mit den Vorträgen Schluss. Der 61-jährige Allgäuer reduzierte seine öffentlichen Auftritte drastisch, nachdem er im März 2020 in der Stichwahl um das Amt des Oberallgäuer Landrats der bis dato kaum bekannten Indra Baier
Müller unterlegen war. Es herrschte Einigkeit: Das Votum hatte nicht zum Ziel, die Kandidatin der Freien Wähler ins Amt zu hieven, sondern den CSUler Hörmann zu verhindern. Derlei Ablehnung kannte Hörmann bis dato nicht, Verlieren gehörte nicht zu seinem Portfolio. Persönliche Niederlagen hatte er stets galant wegmoderiert: „Von unseren Sportlern verlangen wir ja auch, dass sie nach Rückschlägen schnell wieder aufstehen.“
„Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“
Doch die Stehaufmännchen-Qualitäten von Hörmann ließen nach. Seine sonst so sensiblen Antennen für Widersacher schlugen nicht mehr an, seine Fähigkeit schwand, mit einfachen Mitteln gegenzusteuern und das Riesenschiff DOSB wieder in ruhiges Fahrwasser zu lenken. Als im Mai dieses Jahres plötzlich massive Vorwürfe bezüglich seiner Amtsführung auftauchten, tauchte Hörmann ab. Der bis dato alles andere als scheinwerferscheue Präsident ließ nur noch ein paar wenige, mit Rechtsanwälten abgestimmte Verlautbarungen veröffentlichen, in denen er sein Fehlverhalten entweder entschuldigte oder zu rechtfertigen versuchte.
In der Kulturstadt Weimar endet am Samstag Hörmanns achtjähriges Engagement als ehrenamtlicher Präsident des DOSB. Dem Dachverband also, der 27 Millionen Mitglieder in 90.000 Vereinen zählt und momentan in der tiefsten Krise seiner Geschichte steckt. Bei den etwa 200 Mitarbeitern in der Zentrale in Frankfurt am Main würde zum Teil ein „Klima der Angst“herrschen, heißt es, die Zusammenarbeit mit zahlreichen Einzelverbänden sei gestört und auch die Beziehungen zum Internationalen Olympischen Komitee mit seinem deutschen Vorfechter Thomas Bach sei frostig.
All die Missstände im deutschen Sport werden derzeit auf den Präsidenten Hörmann projiziert. Seine jahrelang hochgelobten Eigenschaften verkehrten nach und nach ins Gegenteil: Aus dem meinungsstarken und durchsetzungsfreudigen Präsidenten wurde ein Machtmensch, aus dem Motivationskünstler ein Herrscher, der – so gipfelte es eben in dem anonymen Brandbrief vom Mai dieses Jahres – „abweichende Meinungen (bestenfalls) abbügelt und (schlimmstenfalls) bloßstellt“. Der Präsident habe wiederholt „jegliche Form des Respekts und Anstands vermissen lassen“.
Hörmann wollte, aber konnte sich nicht mehr verteidigen, weil die hausinterne Ethikkommission unter dem Vorsitz von Ex-Innenminister Thomas de Maizière bereits damit beauftragt war, Licht ins Dunkel zu bringen. Stutzig wurden viele beim Vorwurf, Hörmann habe aus Zorn sogar Gegenstände auf Mitarbeiterinnen geworfen. So kannte ihn keiner. Das war nie seine Art. Und obwohl schnell aufgeklärt wurde, dass Hörmann bei einer bedeutenden Videokonferenz einen Kugelschreiber von unten in Richtung einer Sekretärin warf, die ihm mit dem Rücken zugewandt war, die er aber um Ruhe bitten wollte, hatte sich – nach wochenlanger wiederkehrender Berichterstattung in den überregionalen Medien – das Bild vom Führungsmonster Hörmann verfestigt.
„Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“
De Maizière, und ab diesem Zeitpunkt wird es spannend, entkräftete zwar nahezu alle Vorwürfe aus dem anonymen Brief, trug aber so viele andere Kritikpunkte zusammen, dass Hörmann nach ersten zaghaften Versuchen, sich noch irgendwie im Amt zu halten, doch erkannte, dass er den Spießrutenlauf nicht heil überstehen würde. Hörmann kapitulierte und kündigte an, in Weimar nicht mehr zu kandidieren.
Anstatt die Füße fortan stillzuhalten, trat der ehemalige Amateurfußballer Hörmann immer wieder nach. „Was ihn da geritten hat, bleibt ein einziges Rätsel“, sagte im Oktober ein langjähriger Weggefährte aus der Allgäuer Skifamilie, der Hörmann vor seiner Zeit als DOSBChef ebenso vorstand wie dem bayerischen und deutschen Skiverband. Hörmann wollte sich reinwaschen. Gab ein Gutachten in Auftrag, das den Verband in einem besseren Licht erscheinen lassen sollte. Das gelang vermeintlich: Angeblich hätte von 159 befragten DOSB-Angestellten nur einer den Begriff „Angst“verwendet.
Und Hörmann ließ – was sich später als gröbste Unsportlichkeit erwies – nach dem Verfasser des anonymen Schreibens fahnden. Er ließ ein Sprachgutachten erstellen und brandmarkte das frühere Vorstandsmitglied Karin Fehres als Auslöser der Intrige. Die Sprachanalyse, so zitierte der Spiegel, „habe eine überdurchschnittlich große Menge lexikalischer Übereinstimmungen zwischen dem anonymen Schreiben und den Textproben von Frau Fehres ergeben“.
Der Vertrag der Frankfurterin wurde zum Jahresende 2020 nicht verlängert. Ihr Abgang war in dem anonymen Brief als Beispiel für Hörmanns fragwürdigen Umgang mit verdienten Mitarbeitern genannt worden. Dass sie die anonyme E-Mail zusammen mit einer Journalistin geschrieben habe, bestritt Fehres vehement: „Die Unterstellungen sind absurd und haltlos. Ich habe in keinster Form daran mitgewirkt.“Gleichzeitig gab Fehres pikante Details aus dem Anschuldigungsschreiben eines von Hörmann beauftragten Anwaltsbüros bekannt. Nur wenn sie sich als Autorin bekenne und an einer gemeinsamen Presseerklärung mitwirke, würde sie einer Anklage entgehen.
Fehres schaltete selbst einen Juristen ein und machte die Angelegenheit öffentlich – was immerhin dazu führte, dass Hörmann das Eingeständnis machte, die Methoden seien unverhältnismäßig gewesen. In derselben Pressemitteilung hieß es, auch die DOSB-Vorstandschefin Veronika Rücker, lange Zeit treue Unterstützerin Hörmanns, werde Ende des Jahres zurücktreten.
Der Scherbenhaufen im deutschen Sport ist also groß. Und er wirft ein düsteres Licht auf das gesamte System. Nicht nur der DOSB ist von einer Führungskrise betroffen, auch der Deutsche Fußball
Bund und – nach den jüngsten Recherchen unserer Redaktion – auch der Deutsche Eishockey-Bund um den umstrittenen Boss Franz Reindl. Müssen Strukturen geändert wären? Müssen Macht und Verantwortung nicht wieder auf mehrere Schultern verteilt werden? Zeigt das Beispiel Hörmann nicht eindrucksvoll, dass ein Absturz früher oder später unvermeidbar ist?
Stefan Schwarzbach, Vorstand beim Deutschen Skiverband und langjähriger Wegbegleiter Hörmanns, hat eine klare Antwort: „In der Form, wie es Alfons Hörmann praktiziert hat, ist das Ehrenamt nicht auszuführen.“Mit Haut und Haar habe er sich Tag und Nacht eingesetzt. Dass er Klartext reden musste und sich mit unpopulären Entscheidungen auch Feinde schaffte, gehöre zu diesem Amt. „Die Ansprüche und Interessen der Einzelverbände sind zu vielschichtig“, sagt Schwarzbach. Er sieht Hörmann als Opfer einer Intrige. „Was ist es denn sonst, wenn man einen Präsidenten mit einem anonymen Brief zu Fall bringt“, fragt er. Vieles, was Hörmann zuletzt machte, sei nur schwer nachzuvollziehen. „Aber es ist auch das Ergebnis, wie mit ihm umgegangen wurde.“Schwarzbach betont: „Man sollte nicht vergessen, dass er für den deutschen Sport enorm viel erreicht hat.“
In Sportdeutschland sind viele von Hörmann abgerückt. Herbert Seger, der frühere Bürgermeister von Durach, hält weiter zu ihm. Er kennt Hörmann seit Kindestagen und hat seinen Aufstieg verfolgt. Hörmann habe sich zuletzt sehr rar gemacht in der Heimat, nur ab und zu treffen sie sich, wenn Hörmann
Persönliche Niederlagen hat er galant wegmoderiert
Nun hat er sich auch noch mit Corona infiziert
einen seiner ausgiebigen Spaziergänge im Kempter Wald unternehme. „Das geht ihm schon an die Nieren“, erzählt Seger. Hörmanns unrühmliches Ende findet er „nur schade“. Schließlich sei er immer bodenständig und authentisch geblieben. Er habe klare Ansagen gemacht und auf Veränderungen hingewirkt. Vermutlich habe Hörmann aber verkannt, dass das Widerstandspotenzial immer höher werde.
Ja, Hörmann manövrierte sich zuletzt selbst in die Rolle eines Hindernisläufers. Er baute Hürden auf – und wunderte sich, dass dahinter ein Wassergraben kam.
„Eine Wahrheit kann erst dann wirken, wenn die Empfänger reif dafür sind.“
Auch wenn ihm noch ein Nachspiel droht, weil ihn die DOSB-Mitglieder wegen der hohen Anwaltskosten eventuell nicht entlasten, so könnte er am Samstag doch erlöst sein. Die Bilder, wie schwerfällig und gebrochen er die Ziellinie überquert, werden ihm und der Öffentlichkeit aber vermutlich erspart bleiben. Vor zwei Wochen hat sich Hörmann nämlich auch noch mit dem Coronavirus infiziert. Am Mittwoch hieß es, er habe daran trotz Impfung schwer zu knabbern. Gut möglich also, dass er Weimar krankheitsbedingt absagen muss.