Experten misstrauen Rückgang
Das RKI meldet etwas weniger Infektionen. Sind Labore überlastet?
Berlin Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Ist die rasante Verschlechterung der Corona-Lage in Deutschland etwa schon gebremst? Einen Hinweis darauf könnte man zumindest aus offiziellen Daten des Robert-Koch-Instituts herauslesen. Demnach ist die Zahl der binnen einer Woche übermittelten Neuinfektionen zweimal leicht gesunken. Doch Experten halten die gemeldeten Werte für trügerisch, denn sowohl Gesundheitsämter als auch Testlabore sind teils am Limit.
Der sogenannte Sieben-TageR-Wert, der angibt, wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt, ist derzeit mit 0,89 vergleichsweise niedrig. Demnach stecken 100 Infizierte rechnerisch 89 weitere Menschen an. Liegt er anhaltend unter eins, sinken die Fallzahlen. Doch es ist unklar, ob Inzidenz und R-Wert noch den tatsächlichen Infektionstrend widerspiegeln können. Experten gehen davon aus, dass die hohe Zahl positiver Corona-Nachweise das Erfassungs- und Meldesystem ans Limit bringt.
Viele Gesundheitsämter kommen derzeit beim Bearbeiten von positiven Corona-Nachweisen in stark belasteten Regionen nicht mehr hinterher. „Ich gehe davon aus, dass die gemeldeten Zahlen nur ein Teil der positiven Nachweise sind“, sagte die Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert. Die Gesundheitsämter können demnach in mehreren Regionen eingehende Meldungen von Corona-Fällen nicht mehr zeit
Gesundheitsämter auch bei Meldungen stark überlastet
nah weitergeben, eine Untererfassung sei die Folge.
Die Gesundheitsämter bräuchten mehr Personal angesichts der hohen Infektionszahlen, sagte Teichert. „Da muss jetzt etwas passieren. Ich sage das ja schon lange, aber jetzt ist es an der Zeit, das noch mal deutlich zu wiederholen.“Auch die Kontaktnachverfolgung und das Anordnen von Quarantäne seien derzeit stark eingeschränkt.
Auch der Verband Akkreditierter Labore in der Medizin warnt davor, dass Labore in manchen Regionen „schlichtweg an den Grenzen des Leistbaren“seien, was das Auswerten von Corona-Tests angeht. Dazu gehörten Sachsen, Bayern, BadenWürttemberg und Thüringen. „Die Gefahr besteht, dass bei einer Auslastung nahe oder regional oberhalb der Maximalgrenze schon bei kleineren Ausfällen von Personal oder Geräten die Befundlaufzeiten auf mehrere Tage steigen, was es unbedingt zu vermeiden gilt“, sagte Labor-Verbandsvorstand Evangelos Kotsopoulos.
Auch die Kliniken misstrauen den Zahlen: „Von einer Entwarnung kann nicht die Rede sein“, sagte Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft. „Unsere eigenen Belegungszahlen zeigen immer noch eine zunehmende Zahl von positiv getesteten Patienten auf den Normal- und Intensivstationen. In dieser Woche befinden sich 16 Prozent mehr Covid-Patienten in den Krankenhäusern als in der Vorwoche und diese Entwicklung verzeichnen wir so seit rund zwei Monaten.“
In der aktuellen Lage komme es sowohl bei den Kliniken wie auch bei den Gesundheitsämtern zu Meldeverzögerungen. Auf den Intensivstationen steigt die Zahl der behandelten Covid-Patienten weiter steil an. Sie hat sich bei den Erwachsenen innerhalb eines Monats mehr als verdoppelt, auf mehr als 4600. Auch die Zahl der binnen eines Tages gemeldeten Corona-Toten hat mit 446 den höchsten Stand seit neun Monaten erreicht. (dpa)