Streit um das digitale Lesen
Buchmarkt Autoren und Verlage protestieren, weil Bibliotheken mehr Möglichkeiten zur E-Book-Ausleihe fordern. Bislang kommen die an Bestseller kaum heran. So ist die Lage in den Büchereien in Augsburg und München.
Augsburg/München Zwischen Autoren, Autorinnen und Verlagen auf der einen Seite und Bibliotheken auf der anderen ist ein Streit entbrannt. Eine große Zahl an deutschen Schriftstellern und Schriftstellerinnen protestiert, dass ihre Bücher digital in Bibliotheken häufig entliehen und gelesen werden. Die Initiative „Fair lesen“, zu der sich Autoren sowie Autorinnen und Verlage zusammengeschlossen haben, will verhindern, dass digitale Bücher zu denselben Bedingungen wie gedruckte Bücher in den öffentlichen Bibliotheken ausleihbar sind. In einer Mitte Oktober geschalteten Anzeige in Printmedien hieß es, dass, wenn neu erschienene E-Books in den Bibliotheken verfügbar seien, „die Existenzgrundlage von Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzern, Verlagen und Buchhandlungen“in Deutschland bedroht werde.
Konkret geht es um einen Vorschlag des Bundesrats. Verlage sollen künftig verpflichtet werden, ihre Bücher ab dem Tag des Erscheinens auch in elektronischer Form für den Verleih in Bibliotheken zur Verfügung zu stellen. Die Initiative „Fair Lesen“spricht deshalb von einer „Zwangslizenzierung“. Unterzeichnet haben bisher über 2000 Autorinnen, Übersetzer, Verlegerinnen und Buchhändler. Nun steht im neuen Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP, dass es „faire Rahmenbedingungen“bei der Ausleihe von E-Books geben soll. Was die Bundesregierung als fair definiert, bleibt noch unklar.
Die Autoren, Autorinnen und Verlage beschweren sich, die Bibliotheken sehen das anders. Entzündet hat sich der Streit an der Forderung des Bibliotheksverbandes, gedruckte und digitale Bücher gesetzlich gleichzustellen. Bisher gelten nämlich unterschiedliche Regelungen.
Doch wie läuft eigentlich die Ausleihe in Bibliotheken ab? In der Augsburger Stadtbibliothek gibt es neben den 250.000 analogen Medien auch 19.000 E-Books. Jede Person mit einem Bibliotheksausweis für 20 Euro im Jahr kann digital auf dem Smartphone, Tablet, E-Book-Reader oder Computer lesen. Dafür müssen die Nutzer und Nutzerinnen die App „Onleihe“herunterladen und sich anmelden. Um ein E-Book zu lesen, hat man drei Wochen lang Zeit. Für beliebte Buchtitel gibt es Wartelisten, da oft eine Lizenz pro Buch von der Bibliothek gekauft wird. Sind Titel beliebt und werden oft vorgemerkt, werden weitere Lizenzen gekauft.
Insgesamt 5500 Personen nutzen dieses digitale Angebot der Augsburger Stadtbibliothek. Im vergangenen Jahr gab es 160.000 digitale Ausleihen. Ein Team aus drei Personen wählt auf der Plattform Onleihe nach dem verfügbaren Etat aus, welche E-Books für die Bibliothek gekauft werden. Als Zwischenhändler handelt die Plattform mit den Verlagen Verträge aus, um digitale Medien anzubieten.
Der Unterschied zum analogen Buchmarkt: Während die Bibliotheken aus den gedruckten Neuerscheinungen sofort frei auswählen dürfen und beim Buchhandel einkaufen, gibt es für elektronische Bücher häufig Sperrfristen von einigen Monaten. Diese Sperrfristen heißen im Fachjargon „Windowing“. Die Leiterin der Augsburger Stadtbibliothek, Tanja Erdmenger, erklärt: „Unser Wunsch ist, dass wir dem Bibliotheksauftrag, Wissen und Informationen für alle Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, bei allen Medien nachkommen können. Das gilt auch für E-Books.“
Aktuell sehen Bibliotheken das durch die geltenden Regelungen für E-Books nicht gegeben. Auch die
Augsburger Nutzer und Nutzerinnen können oft nicht nachvollziehen, dass nicht alle Bücher als E-Book verfügbar sind. Erdmenger berichtet: „Viele denken, dass wir in Augsburg nicht genug nach E-Books schauen und der Etat fehlt, aber meistens werden uns die E-Books verlagsseitig gar nicht angeboten“
Der Onleihe-Verbund Hessen fasst jede Woche die Bestseller-Bücher zusammen, die Bibliotheken nicht als E-Book kaufen können. Aktuell sind nur drei von 20 Titeln der Bestseller Belletristik verfügbar, also bieten Verlage 85 Prozent der Bestseller nicht als E-Books für Bibliotheken an. Ähnlich sieht es bei Belletristik-Taschenbüchern und Sachbüchern aus, jeweils 75 und 80 Prozent sind nicht erhältlich.
Ein Blick zusammen mit Erdmenger auf die aktuelle BestsellerListe zeigt: Titel wie „Playlist“von Sebastian Fitzek, „Der Zorn des Oktopus“von Dirk Rossmann und Ralf Hoppe, „Blaue Frau“von Antje Rávik Strubel, „Hast du uns endlich gefunden“von Edgar Selge sind trotz Bestsellerplatz als E-Book nicht verfügbar. Alles Bücher, die vor ein paar Wochen erst erschienen sind, aber in gebundener Buchform bereits in den Regalen der Augsburger Stadtbibliothek stehen. Als E-Book verfügbar ist das Buch „Die Enkelin“von Bernhard Schlink. Bisher gibt es eine Lizenz. Doch auch andere haben sich das Buch schon vorgemerkt, sodass es ab April 2022 wieder ausgeliehen werden könnte.
Augsburg ist kein Einzelfall, in der Münchner Stadtbibliothek zeigt sich dasselbe Bild. Dort sind vier der fünf Buchtitel ebenfalls nicht ausleihbar. Nur „Die Enkelin“kann vorgemerkt werden, kann aber erst ab März 2022 wieder ausgeliehen werden. Auch dort wird der Service Onleihe genutzt, für englische Literatur gibt es ein weiteres System.
Bei der Münchner Bibliothek können aktuell 27.600 Nutzer und Nutzerinnen für 20 Euro im Jahr aus 85.000 elektronischen Medien auswählen. Im vergangenen Jahr gab es über 1,3 Millionen digitale Ausleihen, durch die Corona-Pandemie stieg der Anteil der Online-Ausleihen sogar um 25 Prozent. Mit einem Etat von 185.000 Euro wurden 9000 neue digitale Medien erworben.
Nach den Anzeigen der Initiative „Fair Lesen“äußerte sich die Direktorin der Münchner Stadtbibliothek, Katrin Schuster, auf Twitter: „Autoren und Autorinnen und Verlage fordern mit Fake News die Abschaffung von Bibliotheken – das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen.“Einige Wochen später sagt Schuster nun: „Wir möchten unseren Kunden und Kundinnen auch digital bieten, was wir ihnen gedruckt bieten, aber das können wir nicht, weil die Verlage uns viele E-Books einfach nicht verkaufen. Darüber geht der Streit.“Ihrer Ansicht nach habe die Kampagne gegen Bibliotheken Stimmung gemacht. Auch wenn das vielleicht nicht deren Absicht gewesen sei.
Mit Blick auf die Zukunft sagt die Leiterin der Münchner Stadtbibliothek: „Es ist die Aufgabe von Bibliotheken, den Zugang zu Literatur für die gesamte Bevölkerung mit einem niedrigschwelligen Angebot sicherzustellen, und dazu gehören auch E-Books.“Wenn die gesetzliche Regelung für E-Books für die Einrichtungen nicht komme, können Bibliotheken diese Aufgabe nicht mehr erfüllen.
Aktuell sind nur drei von 20 Titeln verfügbar