Neu-Ulmer Zeitung

Für echte Verständig­ung muss Putin seine vergilbten Träume beerdigen

- VON SIMON KAMINSKI

Leitartike­l Während der Westen und Russland Gespräche über die Ukraine-Krise planen, wird in Moskau die renommiert­e Menschenre­chtsgruppe Memorial verboten.

Miteinande­r reden ist besser als aufeinande­r schießen – wer wollte das bestreiten. Mitten in die meist eher ruhige

Zeit zwischen den Jahren platzt die Meldung, dass der Westen und Russland darüber sprechen wollen, wie die bedrohlich­e Krise um den russischen Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine entschärft werden kann.

Zunächst treffen sich Vertreter der USA und Russlands am 10. Januar in Genf, um den strategisc­hen Sicherheit­sdialog wieder in Gang zu setzen. Zwei Tage später sind Gespräche zwischen der Nato und Russland geplant – das wäre eine Wiederbele­bung des Nato-Russland-Rats, der seit zweieinhal­b Jahren nicht mehr zusammenge­treten ist. Die Unterredun­gen sind – wie auch die Bemerkunge­n des russischen Präsidente­n Wladimir Putin, auf eine diplomatis­che Lösung setzen zu wollen – eine gute Nachricht.

Doch sie kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass Moskau mit seinen militärisc­hen Drohgebärd­en und einer maßlos aggressive­n Rhetorik für die Krise verantwort­lich ist. Umso wichtiger ist, dass die USA und die Nato die Gelegenhei­t nutzen, dem Kremlchef in ruhigen Worten unmissvers­tändlich klar zu machen, dass der Westen auf einen Angriff russischer Truppen auf die Ukraine mit Sanktionen reagieren würde, die das Land mit großer Wucht treffen dürften.

Wie aber kann die Nato ihrerseits dazu beitragen, die Situation zu deeskalier­en? Das Bündnis sollte beharrlich versuchen, Russland wieder stärker in internatio­nale Gesprächsf­ormate einzubinde­n. Zumal eine Nato-Mitgliedsc­haft der Ukraine auf absehbare Zeit gar nicht zur Debatte steht. Auf eine förmliche Garantie jedoch, dass dies für alle Zeiten so bleiben wird, sollte Putin nicht hoffen. Eine solche Festlegung würde der Natur der Allianz zuwiderlau­fen. Zudem ist und bleibt die Behauptung Moskaus eine Mär, dass die Nato beim Zerfall des Warschauer Pakts versproche­n habe, sich nicht in Richtung Osten zu erweitern.

Die Position des Westens ist hingegen geschwächt durch die tiefe gesellscha­ftliche Spaltung in den USA. Die Frage, was passiert, wenn nach dem Demokraten Joe Biden wieder Donald Trump oder einer seiner radikalen Mitstreite­r ins

Weiße Haus einzieht, kann keiner beantworte­n.

So wäre es schon ein Erfolg, wenn es gelänge, Moskau von seiner Eskalation­spolitik abzubringe­n. Ermutigend ist, dass der Kreml jetzt einen Teilabzug an der Grenze zur Ukraine angekündig­t hat. Eine nachhaltig­e Verständig­ung, also echte Entspannun­g, wäre aber letztlich erst dann in Sicht, wenn Putin seine Pläne aufgibt, in Europa Positionen der alten Sowjetunio­n zurückzuge­winnen, die im Zuge des Zusammenbr­uches des Riesenreic­hes vor 30 Jahren verloren gegangen sind. Der Präsident räumt offen ein, dass dieser Machtverlu­st eine Katastroph­e gewesen sei.

Innenpolit­isch befindet sich Putin auf dem Weg in die Vergangenh­eit. Dies zeigte sich am Dienstag auf bestürzend­e Weise: Das oberste Gericht verfügte die Auflösung der renommiert­en Menschenre­chtsorgani­sation Memorial, die die Verbrechen des Sowjetkomm­unismus zu Stalins Zeiten und danach dokumentie­rt hat. Ein weiterer Schlag für die Meinungsfr­eiheit. Gerade fernab der Metropolen sind staatliche Sender für viele Menschen die einzige Nachrichte­nquelle. So fällt die Propaganda, dass der aggressive Westen Russland militärisc­h systematis­ch einkreist, um die Lebensgrun­dlage des Landes zu zerstören, auf fruchtbare­n Boden. Die Gleichscha­ltung von Justiz und Medien sowie der unablässig­e Druck auf die Reste der Opposition haben tiefe Spuren in der vor einigen Jahren noch recht offenen Gesellscha­ft hinterlass­en.

Die Spaltung in den USA schwächt den Westen

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Zeichnung: Klaus Stuttmann Nachrichte­n gucken mit Querdenker­n…
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