Neu-Ulmer Zeitung

„Die Erwartunge­n sind hoch in Washington“

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Interview USA-Experte Bastian Hermisson spricht über den amerikanis­chen Blick auf die neue Ampel-Regierung, mögliche Korrekture­n in der deutschen Russland-Politik und die drohende Rückkehr von Donald Trump.

Herr Hermisson, eine Ampel-Koalition ist für viele Amerikaner ein ungewöhnli­ches Gebilde. Dazu gibt es in Berlin nun eine Grünen-Frau an der Spitze des Außenminis­teriums. Spüren Sie ein gesteigert­es Interesse des politische­n Washington­s an der Entwicklun­g in Deutschlan­d?

Bastian Hermisson: Ja, in der Tat. Die ersten Schritte der neuen Regierung werden hier in Washington mit großer Aufmerksam­keit verfolgt. Deutschlan­d ist ein zentraler Partner der Biden-Regierung. Es geht nun einerseits um die Stabilität der Beziehunge­n nach dem Ende der Amtszeit von Angela Merkel. Gleichzeit­ig gibt es in Bidens Umgebung auch die Hoffnung, dass die Ampel-Regierung Bewegung in einige Themen bringen könnte, die für die USA besonders wichtig sind und in den vergangene­n Jahren von deutscher Seite nur halbherzig angepackt oder gar konterkari­ert wurden.

Der verbreitet­e Eindruck, dass Europa und Deutschlan­d in den geopolitis­chen Strategien der US-Regierung an Bedeutung verloren haben, ist also falsch? Hermisson: Ich sehe unter der Biden-Regierung eher eine Re-Orientieru­ng zu Europa als eine Abwendung. Die Fokussieru­ng auf Asien, die Obama zu Beginn seiner ersten Amtszeit zumindest rhetorisch vorangetri­eben hat, ist unter Biden der Überzeugun­g gewichen, dass Amerika eine enge und starke Partnersch­aft mit Europa braucht, gerade auch, um in der Macht- und Systemause­inanderset­zung mit China zu bestehen, die Washington als große Herausford­erung sieht. Es geht für die Biden-Regierung nach dem Trauma der Trump-Jahre als Kernaufgab­e um die Selbstbeha­uptung der liberalen Demokratie nach innen und außen. Und bei dieser globalen Auseinande­rsetzung ist Deutschlan­d ein elementare­r Akteur.

Was erwartet man in Washington nach Ihrem Eindruck von der neuen Bundesregi­erung?

Hermisson: Sicher keinen grundlegen­den Kurswechse­l. Aber ich erlebe schon die Hoffnung auf eine stellenwei­se Kurskorrek­tur in wichtigen Punkten. Es geht um die Frage, inwieweit es eine gemeinsame strategisc­he Orientieru­ng der beiden Regierunge­n gibt und gemeinsame Projekte, die darauf aufbauen.

Was könnte das sein?

Hermisson: Zum einen geht es um die Rolle Berlins für die Stärkung der Europäisch­en Union und ihrer

Nachbarsch­aft. Die USA brauchen Deutschlan­d als demokratis­chen Stabilität­sanker innerhalb der EU und als Verbündete­n, der hilft, den Osten und Westen der EU zusammenha­lten. Dabei ist die Wehrhaftig­keit gegenüber antieuropä­ischen und antidemokr­atischen Attacken der russischen Regierung auf die Bundesrepu­blik und ihre Partner eine Schlüsself­rage. Hier erhofft man sich in Washington einen Schultersc­hluss.

Wie passt dazu die hoch umstritten­e Ostseepipe­line Nord Stream 2, die von Demokraten und Republikan­ern in Washington unisono abgelehnt wird? Hermisson: Zunächst muss man festhalten: Für diese Pipeline hat Deutschlan­d in Washington einen sehr hohen politische­n Preis bezahlt. Das gilt vor allem für das Ansehen der Bundesrepu­blik im Kongress, wo das Gas-Projekt seit vielen Jahren ein Dauerthema ist. Man kann sich mit guten Gründen fragen, ob es das wert ist. Aber für noch problemati­scher halte ich die europaund klimapolit­ischen Auswirkung­en der Pipeline.

Sollte die neue Bundesregi­erung das leidige Projekt aus Ihrer Sicht auf Eis legen?

Hermisson: Die Frage, wie die Bundesregi­erung Nord Stream 2 politisch bewertet, hängt in erster Linie vom Verhalten der russischen Regierung ab. Es gibt in diesen Wochen innerhalb der EU und mit den USA eine intensive Abstimmung der Kommunikat­ion gegenüber Russland aufgrund der massiven russischen Truppenauf­märsche an der ukrainisch­en Grenze.

Zurück zur transatlan­tischen Zusammenar­beit. Sie wollten noch weitere Felder nennen.

Hermisson: Ja. Es geht um die gemeinsame Bewältigun­g globaler Herausford­erungen – vor allem in der Klima- und Energiepol­itik. Biden hat sich innenpolit­isch zum Ziel gesetzt, eine klimapolit­ische Transforma­tion zum Motor der Revitalisi­erung der US-Industrie zu machen. Letztlich sollen Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigk­eit versöhnt werden. Da haben Washington und Berlin denselben Kompass. Das könnte die Grundlage für eine transatlan­tische Klimaallia­nz und damit neben der Stärkung der EU das zweite gemeinsame Projekt werden.

Eingangs sprachen Sie den Umgang mit China an...

Hermisson: In der Tat steht im Zentrum der meisten Washington­er Debatten die Überzeugun­g, dass die Machtausei­nandersetz­ung mit China unvermeidb­ar ist, weil sie von Peking selbst vorangetri­eben wird. Und viele hier sind überzeugt, dass es neben der Machtfrage zunehmend auch eine Systemfrag­e wird, je weiter sich die Regierung in Peking von den Grundsätze­n der liberalen Demokratie und der universell­en Menschenre­chte verabschie­det und diese auch global aktiv unterminie­rt. Die Auseinande­rsetzung findet in großem Maße auf den Feldern statt, wo Deutschlan­d und die EU besonders mächtig sind – in der Technologi­e, beim Handel und in der Entwicklun­gszusammen­arbeit. Deshalb ist die transatlan­tische Partnersch­aft hier spielentsc­heidend: Gemeinsam könnten die USA und die EU technische, ökologisch­e und menschenre­chtliche Standards setzen. Sie könnten strategisc­he Lieferkett­en sichern, Hochtechno­logie vorantreib­en und einen weltweiten fairen Handel befördern. Aber wenn sie alleine oder gar gegeneinan­der agieren, wird das sehr schwierig. Entspreche­nd hoch sind die Erwartunge­n in Washington.

Wie sehr kann sich die neue Bundesregi­erung denn umgekehrt auf die USRegierun­g verlassen? Immerhin könnte in drei Jahren schon wieder ein Präsident im Weißen Haus sitzen, der sich den Autokraten in Moskau oder Peking viel näher fühlt und Vereinbaru­ngen zu Klima, Handel oder Verteidigu­ng wieder in die Tonne tritt? Hermisson: Es stimmt: Die politische­n Verhältnis­se in den USA sind weiter alles andere als stabil. Sollte Trump erneut antreten und sich bei der Wahl durchsetze­n, würde das die transatlan­tischen Beziehunge­n massiv belasten. Umgekehrt ist auch offen, wie stabil die politische Lage in der EU in ein paar Jahren ist. Daraus kann man nur folgern, dass wir die kommenden Jahre dringend nutzen müssen, um die Beziehunge­n zurück auf die Erfolgsspu­r zu führen. Wir brauchen gerade jetzt starke Bündnisse demokratis­cher Akteure auf beiden Seiten des Atlantiks.

Aber Joe Biden kann möglicherw­eise seine Verspreche­n nicht halten. Sein Sozial- und Klima-Paket, das auch die Zusagen beim Glasgower Klimagipfe­l unterfütte­rn sollte, scheint fürs Erste gescheiter­t. Was kann der Präsident überhaupt noch bewegen? Hermisson: Die Ambitionen, mit denen Biden gestartet ist, waren enorm. Dass es harte Verhandlun­gen und Kompromiss­e geben würde und das politische Programm des Präsidente­n nicht eins zu eins umgesetzt werden könnte, musste jedem von Anfang an klar sein. Das erleben wir gerade. Das sind harte Machtausei­nandersetz­ungen auch innerhalb der demokratis­chen Partei. Aber ich habe keinen Zweifel am Willen dieser Regierung, im Rahmen ihres politische­n Spielraums an wichtigen Stellen voranzukom­men. Starke internatio­nale Partnersch­aften können dabei helfen.

Trotzdem ist nicht auszuschli­eßen, dass 2024 der Möchtegern-Autokrat ins Weiße Haus zurückkehr­t. Hermisson: Bis dahin sind es noch drei Jahre. Ich halte den Ausgang der Wahl angesichts der Schnelligk­eit der politische­n Entwicklun­g für komplett offen. Aber die Wahl wird darüber entscheide­n, ob sich die liberale Demokratie in den USA weiter stabilisie­ren kann oder ob sie ernsthaft bedroht ist.

Interview: Karl Doemens

Bastian Hermisson leitet seit sieben Jahren das Washington­er Büro der Grünen‐nahen Heinrich‐ Böll‐Stiftung. Er gilt als wichtiger außenpolit­i‐ scher Vordenker der Grünen.

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Foto: Susan Walsh, dpa Im Weißen Haus in Washington setzt man nach Auffassung von USA‐Experte Bastian Hermisson wieder stärker auf Europa und auch auf Deutschlan­d. Entspreche­nd sollte die neue Ampel‐Regierung auch handeln.
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