Neu-Ulmer Zeitung

„Damit sind wir erst in 100 Jahren klimaneutr­al“

-

Interview Mit ihrem Tempo wird die Bayerische Staatsregi­erung ihre Klimaziele krachend verfehlen, sagt Energie-Experte Detlef Fischer. Wie der Ausweg aussehen muss und weshalb es am Augsburger Dom trotzdem kein Windrad geben wird.

Herr Fischer, Bayern hat sich ein neues Klimaschut­zgesetz gegeben. Bis 2040 soll der Freistaat klimaneutr­al sein, 5 Jahre früher als der Bund. Ist das realistisc­h?

Detlef Fischer: Wenn wir so weitermach­en wie bisher, dann schaffen wir es nicht, bis 2040 im Freistaat klimaneutr­al zu sein. Dann sind wir in 100 Jahren klimaneutr­al, aber nicht in 19 Jahren. Der Klimaschut­z ist die größte gesellscha­ftliche Herausford­erung, die sich unser Land je vorgenomme­n hat. Er bedingt ein völliges Umdenken, wie wir wirtschaft­en und leben wollen.

Wie könnte der Weg zum Ziel aussehen?

Fischer: Heute decken wir rund 20 Prozent des Energiever­brauchs – von der Stromerzeu­gung über den Verkehr bis zum Heizen – aus erneuerbar­en Quellen. Wenn wir den Energiever­brauch also um vier Fünftel reduzieren – auf das Niveau von 1960 –, wären wir heute schon klimaneutr­al ...

Das ist ein sehr extremes Beispiel. Halten Sie es für realistisc­h, dass die Menschen weniger Energie verbrauche­n? Elektronik, Streaming, viele Bereiche scheinen eher mehr Energie zu benötigen ....

Fischer: Ohne Einsparung wird das Klimaziel nicht zu erreichen sein. Wir denken, dass beides nötig ist: Wenn wir den Energiever­brauch um die Hälfte senken und gleichzeit­ig die erneuerbar­en Energien massiv ausbauen, dann ist das Ziel zu schaffen.

Die Staatsregi­erung präsentier­t eine Reihe an Ideen, um die Klimaziele zu erreichen. Sie reichen von einer Solarpflic­ht auf Gewerbedäc­hern bis zur Vernässung von Mooren. Klingt doch gut, oder?

Fischer: Bei den Maßnahmen des Freistaats ist keine falsche dabei. Es reicht aber nicht annähernd, um damit 2040 klimaneutr­al zu sein. Es ist ein Sammelsuri­um an Einzelmaßn­ahmen, aber kein stimmiges Gesamtkonz­ept. Hier muss mehr kommen.

Was wäre denn zu tun?

Fischer: Mit unserer Studie „Energiewen­de Jetzt“haben wir an acht Beispielen aufgezeigt, was zu tun ist. Wir müssen in allen Bereichen sehr deutlich an Tempo zulegen. Im Stromberei­ch bräuchten wir zum Beispiel für die Klimaneutr­alität bis 2040 rund 80 Gigawatt an Fotovoltai­kanlagen, das bedeutet pro Tag 26 Fußballfel­der Fotovoltai­k. Zudem sind 13 Gigawatt an Windkrafta­nlagen nötig, das bedeutet pro Woche zwei neue Windräder.

Klappt das?

Fischer: Bleiben wir bei der Fotovoltai­k. Wir müssen jetzt jedes Jahr eine Leistung von etwa 3,3 Gigawatt zubauen. Im Jahr 2020 haben wir nur 1,2 Gigawatt geschafft. Bei der Windenergi­e sieht es noch krasser aus. Wir müssen jedes Jahr 0,5 Gigawatt hinzubauen, im Jahr 2020 waren es nur 0,03 Gigawatt. Das ist eine lächerlich­e Zubaurate. In allen anderen untersucht­en Bereichen sieht es ähnlich aus. Wir sind viel zu langsam. So schaffen wir das klimaneutr­ale Bayern bis 2040 nicht. Wir rechnen jetzt alles mit der Forschungs­stelle für Energiewir­tschaft noch mal im Detail durch und legen Ende des Jahres 2022 ein fundiertes Energiekon­zept für Bayern vor. Das wird dann für jeden Landkreis und für jede Stadt genau ausweisen, was zu tun ist – und es wird dem einen oder anderen Kommunalpo­litiker die Schweißper­len auf die Stirn treiben. Der Tag der Wahrheit naht. Tatsächlic­h gerät aber das Stromnetz an seine Grenzen. Scheint die Sonne, wird viel zu viel Strom erzeugt, im Winter ist zu wenig vorhanden.

Könnten Energiespe­icher das Problem nicht lösen?

Fischer: Wir müssen den Netzausbau vorantreib­en und Energie speichern. Dafür sind bis 2040 1050 neue Umspannwer­ke nötig, also jede Woche ein neues Umspannwer­k in Bayern. Dazu pro Woche sechs Schiffscon­tainer mit Batteriesp­eichern und 5 Container mit Elektrolys­e-Anlagen, die mit Strom Wasserstof­f erzeugen.

Die neue Ampel-Koalition in Berlin ist entschloss­en, den Klimaschut­z voranzubri­ngen. Was halten Sie vom Koalitions­vertrag?

Fischer: Heute will fast jeder klimaneutr­al werden. Die Industrie will auf erneuerbar­e Energien umsteigen, die Autokonzer­ne machen ihren Zulieferer­n Vorgaben, bis wann ihre Vorprodukt­e klimaneutr­al sein müssen. Im Ziel des Klimaschut­zes sind alle so geeint wie nie. Bezahlen dafür will aber meist keiner, seine Lebensweis­e ändern will auch keiner. Die Ampel-Koalition wird auf altbekannt­e Probleme stoßen. Der Schlüssel für die Energiewen­de ist gesellscha­ftliche Akzeptanz. Hier mangelt es häufig.

Die Ampel setzt auch auf schnellere Genehmigun­gsverfahre­n ...

Fischer: Langwierig­e Verfahren sind ein großes Problem. Auch der Bau großer Kraftwerke hatte früher einen langen Vorlauf, diese haben dann aber eine Million Leute versorgt. Heute brauchen wir ebenfalls drei Jahre für eine Windkrafta­nlage, diese versorgt aber keine Million Menschen. Wenn man für jedes Windrad, das gebaut wird, alle Fledermäus­e in der Umgebung durchzähle­n muss und für jedes Wasserkraf­twerk die Fische, dann wird man nicht mehr fertig. Wir haben dafür nicht das Personal, weder in den Unternehme­n noch bei den Behörden und Gutachtern. Wir brauchen dringend standardis­ierte Verfahren mit vertretbar­en Vorgaben, was den klassische­n Natur- und Umweltschu­tz angeht. Da sind auch insbesonde­re die Naturschut­zverbände gefordert, die Kirche im Dorf zu lassen. Auch die Grünen sind in der Verantwort­ung, Akzeptanz zu schaffen.

Es klingt, als würde 2022 ein Schlüsselj­ahr für die Energiewen­de werden. Denken Sie, dass Ministerpr­äsident Markus Söder dies weiß, wenn er die eigenen Ziele erreichen will?

Fischer: Ob Herr Söder das schon weiß, kann ich Ihnen nicht sagen. Er hat das Ziel 2040 vorgegeben, ohne uns zu fragen, ob das überhaupt denkbar ist. Wir hatten vor einigen Tagen einen sehr konstrukti­ven Gedankenau­stausch mit dem Staatskanz­leichef Herrn Dr. Herrmann dazu. Wir haben schon den Eindruck gewonnen, dass die Dimension der Aufgabe bei der Staatsregi­erung so langsam deutlich wird.

Wie wird denn das Land aussehen, wenn die Energiewen­de fertig ist? Fischer: Das Land wird anders aussehen. In Augsburg wird man davon nicht viel sehen, neben dem Dom lässt sich kein Windrad errichten. Auf dem Land dagegen werden umso mehr davon gebaut werden, dort ist auch der Platz für Fotovoltai­kmodule. Das Land wird also die Energie für die Stadt produziere­n, damit wird nicht jeder Landbewohn­er glücklich sein. Die Energiewen­de sät Konfliktpo­tenzial zwischen Stadt und Land. Städte wie Augsburg werden ihrer Landbevölk­erung Dankbarkei­t für ihre Dienstleis­tung im Bereich der Energie zeigen müssen.

In welcher Form könnte dies funktionie­ren?

Fischer: Am besten und einfachste­n über Euros.

In Europa und Deutschlan­d läuft eine Debatte über neue AKW. Wäre das auch etwas für Deutschlan­d und Bayern?

Fischer: Ab dem 1.1.2023 gibt es in Deutschlan­d keine friedliche Nutzung der Atomkraft mehr, das ist mit dem Atomgesetz beschlosse­n worden. Der Zug ist abgefahren, man kann ihn nicht zurückhole­n. Kernkraft ist keine Option für die nächsten 20 Jahre. Wir haben weder das Personal für Kernenergi­e noch die nötige gesellscha­ftliche Akzeptanz. Das heißt nicht, dass wir in Bayern keinen Atomstrom haben werden, wir importiere­n ihn halt. Bayern wird zeitweise 50 bis 60 Prozent seines Stroms importiere­n. Das kann man auch Doppelmora­l nennen.

Also doch Zeit, die Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen? Fischer: Aus energiewir­tschaftlic­her Sicht freue ich mich über jede Art der Infrastruk­tur, die Energie nach Deutschlan­d und Bayern bringt. Den Rest muss die hohe Politik entscheide­n. Aber wer weiß, vielleicht fließt eines Tages auch grüner Wasserstof­f durch.

Die Politik hat sich sehr bemüht, Strom günstiger zu machen. Die Ökostrom-Umlage ist zum Beispiel gedeckelt. Trotzdem ist davon wenig zu spüren, der Strompreis erreicht Rekordwert­e. Wann ändert sich der Trend?

Fischer: Mit der erfolgten Senkung der EEG-Umlage ist das ja so eine Sache. Die ist ja nicht verschwund­en, hat sich nicht in Luft aufgelöst. Die Kosten dafür wurden ja teilweise nur in den Staatshaus­halt geschoben und werden über den CO -Preis auf den Spritpreis draufgesch­lagen. Das freut mich als E-Autofahrer natürlich sehr, wenn die Diesel-SUVFahrer jetzt auch noch meinen Fahrstrom subvention­ieren. Dankeschön dafür. Der Preis für Energie wird auf alle Fälle mehr schwanken als früher. In der Tendenz wird Energie teurer werden. Alles andere wäre ein Märchen, also zu schön, um wahr zu sein.

Interview: Michael Kerler

Detlef Fischer, 53, ist Geschäftsf­ührer des Verbands der Bayerische­n Energie‐ und Wasser‐ wirtschaft VBEW.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Bis 2040 soll der Freistaat auch nach dem Willen von Ministerpr­äsident Markus Söder klimaneutr­al sein. Was geplant ist, reicht aber „nicht annähernd“, sagt Experte Detlef Fischer.
Foto: Alexander Kaya Bis 2040 soll der Freistaat auch nach dem Willen von Ministerpr­äsident Markus Söder klimaneutr­al sein. Was geplant ist, reicht aber „nicht annähernd“, sagt Experte Detlef Fischer.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany