„Schneidet in eurem Garten nicht alles ab“
Interview Seit der Pandemie begeistern sich viele Menschen mehr für die Natur vor ihrer Haustür. Das beobachtet auch der Chef des Landesbundes für Vogelschutz. Was er von der Politik fordert und wo jeder etwas Gutes tun kann.
Vom 6. bis 9. Januar ruft der Landesbund für Vogelschutz, kurz LBV, zusammen mit dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) wieder zur Wintervogelzählung auf. Herr Schäffer, Sie sind der Chef des LBV, hat die Pandemie wirklich unser Verhältnis zur Natur verändert?
Norbert Schäffer: Bei den Vogelzählungen – sowohl der im Mai, der Stunde der Gartenvögel, als auch der im Winter, der Stunde der Wintervögel, – hatten wir seit der Pandemie deutlich mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Zu erklären ist das zum einen damit, dass die Menschen seit Corona viel mehr zu Hause sind. Wir haben aber generell den Eindruck, auch wenn dies schwer zu belegen ist, dass die Menschen mehr Zeit in der näheren Umgebung verbringen und auch einen höheren Wert auf die Natur unmittelbar vor ihrer Haustüre legen. Das hat sicher mit den eingeschränkten Reiseaktivitäten zu tun.
Dass mehr Menschen in ihrer Region raus in die Natur gehen, registrieren auch Waldbesitzer und Landwirtinnen. Das hat aber auch Schattenseiten. Klagen über zertrampelte Wiesen, Müllberge et cetera häufen sich. Schäffer: Die Schattenseiten sehen auch wir. Doch muss man sagen, dass es nicht die Menge der Menschen ist, die jetzt oftmals zu Problemen führt. Es ist das Verhalten weniger, das auch uns oft überrascht.
Ist Ihre Zahl der Mitglieder aufgrund von Corona gewachsen?
Schäffer: Wir wachsen seit Jahren. Auch unser Budget steigt. Hier sehen wir aber keinen unmittelbaren Zusammenhang mit Corona, da wir diese Tendenz schon länger beobachten, und auch das Interesse für unsere Arbeit wächst seit Jahren.
Wie viele Mitglieder haben Sie? Schäffer: Rund 110.000.
Und wollen sich auch mehr Menschen ehrenamtlich für den Natur- und Tierschutz bei Ihnen engagieren? Schäffer: Ja, gerade im städtischen Raum sehen wir hier eine wachsende Bereitschaft. Wenn beispielsweise im Bereich der Lebensraumpflege zum Mähen einer Streuobstwiese aufgerufen wird oder zum Bäumepflanzen, sind sofort sehr viele Menschen dazu bereit. Was wir hier im ehrenamtlichen Bereich beobachten ist, dass sich Menschen lieber ad hoc für bestimmte Arbeiten engagieren, aber sich nicht dauerhaft in die Struktur des Vereins einbinden lassen wollen, das ist aber eine gesamtgesellschaftliche Tendenz. Einen richtigen Boom erfährt aktuell übrigens das Thema naturnahe Gärten, da spüren wir enormes Interesse.
Wobei man gerade in vielen Neubaugebieten nicht den Eindruck hat, dass sich dieses Thema durchsetzt.
Schäffer: Da haben Sie völlig recht. Wir sehen hier eine richtige Zweiteilung: Auf der einen Seite werden regelrechte Steinwüsten angelegt. Auf der anderen Seite ist unser Projekt „Vogelfreundlicher Garten“, das wir im vergangenen Jahr begonnen haben und bei dem sich Gartenbesitzer ein Zertifikat ausstellen lassen können, wenn sie wichtige Kriterien in ihrem Garten erfüllen, sehr, sehr beliebt. Und auffällig für uns ist auch der stark gewachsene Zugriff auf unsere Internetseite, wo wir ja auch viele Tipps geben. Das sind Zugriffszahlen, die wir bisher nicht kannten. Da hat uns gerade auch unser Bartgeier-Projekt geholfen.
Die Auswilderung von Wally und Bavaria in den Berchtesgadener Alpen. Schäffer: Ja, allein die Webcam haben über 600.000 Leute genutzt und sich die Vögel angesehen, sowohl bei der Auswilderung selbst, aber auch danach. Die beiden wurden richtige Stars. Über 13.500 Kommentare haben wir für die beiden registriert, da war die Begeisterung groß.
Und doch hat eine Studie im Sommer gezeigt, dass die Menschen in Bayern weniger als die Hälfte der gängigsten 15 Gartenvogelarten richtig benennen können. Sie selbst haben das Ergebnis als „erschreckend“bezeichnet. Schäffer: Ja, das ist so. Seit dem
Volksbegehren Artenvielfalt „Rettet die Bienen“ist zwar das Interesse an Naturschutzthemen so groß wie nie zuvor. Dieses Interesse schlägt sich aber nicht sofort im Naturschutz in der Fläche nieder und auch nicht im Wissen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort berichten immer wieder, dass der Wissensstand auf einem sehr, sehr niedrigen Niveau ist.
Warum ist es wichtig, dass ich den Vogel auch benennen kann, reicht es nicht, dass ich Vögel generell wichtig finde? Schäffer: Artenkenntnis ist wichtig für den Schutz. Mein Lieblingsbeispiel hier ist der Mauersegler. Nehmen wir an, sie überfliegen einen gut besuchten Biergarten im Mai. Viele registrieren die Vögel gar nicht. Das ist traurig. Viele andere sagen: Oh Vögel, nett. Wenn ich aber weiß, dass es sich um Mauersegler handelt, dann verbinde ich damit sofort beeindruckende Bilder, die mir eine ganz faszinierende Welt erschließen. Denn dann weiß ich, dass die Mauersegler die vergangenen Monate in Afrika verbrachten, dass sie den Äquator überflogen haben, dass sie seitdem immer in der Luft waren, in der Luft geschlafen, in der Luft gefressen haben – dann habe ich ein anderes Gespür für diese Tiere.
Mit dem Artenschutz eng verbunden ist der Kampf gegen den Flächenfraß, und der setzt sich massiv fort. Schäffer: Ja, Bayern bildet hier bekanntermaßen die traurige Spitze bundesweit. Dabei ist die Reduzierung auf fünf Hektar pro Tag nicht nur eine Forderung von uns Naturschutzverbänden, diese Vorgabe steht fest verankert im Koalitionsvertrag. Doch 2019 lag der Wert bei 10,8 und 2021 sogar bei 11,6. Das heißt, der Flächenverbrauch steigt sogar weiter an. Dabei ist das Problem von allen erkannt, keiner wird sagen, das Thema ist nicht wichtig.
Aber es ändert sich gar nichts. Schäffer: So ist es. Daher war uns auch die Klage gegen das Gewerbegebiet Teublitz in der Oberpfalz im Oktober so wichtig, die wir auch gewonnen haben. Denn dort wurde ganz gezielt in den Staatswald hineingegangen, da ich hier nur einen Flächeneigentümer habe, und wenn der das Bauprojekt abnickt, kann ich sofort loslegen. Doch es kann nicht sein, dass Staatswald mit dem geringsten Widerstand verbunden ist, um Gewerbeflächen außerhalb der Ortschaften anzulegen.
Wie wollen Sie weiter vorgehen? Schäffer: Unsere zentrale Resolution in der jüngsten Delegiertenversammlung des LBV war es, darauf zu pochen, dass tatsächlich das auch umgesetzt wird, was von der Regierung angekündigt und vereinbart wurde. Das betrifft die festgesetzte Reduzierung des Flächenfraßes ebenso wie die Wiedervernässung des Donaumooses oder auch den Beschluss, bis 2028 den Einsatz der Pestizide zu halbieren. Wir Naturschützer fordern nicht immer mehr, sondern die Realisierung der bereits versprochenen Ziele.
Wenn jemand fürs neue Jahr mehr für den Naturschutz tun will und sich einen Vorsatz vornehmen will, was wäre das Wichtigste?
Schäffer: Da gibt es natürlich vieles und das meiste ist bekannt. Beispielsweise ist das Verbraucherverhalten enorm wichtig. Was ich am Sonntagmittag esse, entscheidet darüber, ob es auf unseren Feldern noch Feldlerchen gibt.
Ich denke, das müssen Sie erklären. Schäffer: Wenn ich Nahrungsmittel aus der hoch-intensiven Landwirtschaft bevorzuge, dann weiß ich, dass der Lebensraum der Pflanzen und Tiere mit meinem Essverhalten schwindet. Oftmals wird es Verbrauchern aber auch schwer gemacht, zu beurteilen, wie naturverträglich Produkte sind. Darüber hinaus ist für mich ein wichtiger Punkt, an dem jeder etwas beitragen kann, der Umgang mit der Natur vor der eigenen Haustüre.
Und das heißt, was soll man tun? Schäffer: Wenn wir von der Landwirtschaft verlangen, dass sie auf Pestizide verzichtet, dann kann es nicht sein, dass immer noch viele Gartenbesitzer bewusst die reinste Steinwüste anlegen und mit ihren paar Quadratmetern Naturfläche schlimmer umgehen als jeder Intensiv-Landwirt. In seinem Garten kann jeder einen wichtigen Beitrag zum Naturschutz leisten – und viele machen das auch. Doch wenn man sieht, wie viele Gartenbesitzer oft mit einem enormen körperlichen Einsatz noch immer jeden Grashalm, jedes Moospflänzchen, jedes Wildkraut bekämpfen und die letzte Fuge auskratzen, dann sagen wir immer: Habt doch bitte mehr Mut zur Unordnung! Lasst den Mähroboter nicht rund um die Uhr laufen, schneidet in eurem Garten nicht alles ab. Denn mit der eigenen Gartengestaltung wird nicht nur direkt Natur geschaffen, es werden auch gesellschaftliche Standards gesetzt, da wächst mit der Zeit ein anderes ästhetisches Empfinden. Nicht mehr der karge, saubere Garten darf das Ziel sein, sondern der Garten, in dem das wächst, was Pflanzen und Tieren Lebensraum bietet.
Interview: Daniela Hungbaur
Norbert Schäffer, 57, ist Diplombiologe und seit 2014 Vorsitzender des LBV; er lebt mit seiner Familie in Mittelfranken.