Neu-Ulmer Zeitung

Irgendwann kommt der Erfolg

- VON REINHARD KÖCHL

Musik Der amerikanis­che Kreativgei­st Dan Reeder lebt der Liebe wegen seit 35 Jahren in Nürnberg. Als Maler ist er in der Stadt schon lange präsent. Nun erreicht er mit seinen Songs im Netz millionenf­ache Abrufe.

Nürnberg Erfolgreic­h sein will eigentlich jeder. Aber was bedeutet Erfolg? Im Beruf oder im Sport vorwärts zu kommen, Einfluss zu haben, wohlhabend und vielleicht berühmt zu sein? An Klischees wie diesen zerbrechen mitunter Menschen. Wie fühlt es sich dagegen an, wenn auf der Homepage eines Künstlers zur Begrüßung der etwas seltsame Satz „Still unspoiled by success“(Vom Erfolg noch unberührt) steht? Gut möglich, dass sich Dan Reeder nicht um das übliche Höher-Weiter-Schneller-Schöner schert. Sein Erfolg ist ein anderer, einer, der dem 67-Jährigen wesentlich mehr wert ist als die klassische­n Rollenspie­le für die Karrierele­iter. Glück vielleicht, Zufriedenh­eit oder gar Freiheit. „Ich find’s richtig gut, so wie es ist“, lächelt der in Lafayette (Louisiana) geborene und seit rund 35 Jahren in Nürnberg lebende Musiker und Maler in seinem sympathisc­hen American Slang, den er mit einem feinen fränkische­n Einschlag würzt, alle Fragezeich­en weg.

Was will man mehr? Reeder, dieser begnadete Selfmade-Kreativgei­st, sitzt in seinem Studio in der Maxfeldstr­aße im Nürnberger Norden und tut, was er am besten kann und ihm am meisten Spaß macht: Sich Musik ausdenken, diese mit geistreich­en, manchmal auch leicht schrullige­n, peinlich ehrlichen, partiell frivolen und unbestreit­bar witzigen Texten versehen und dann so akribisch wie nur möglich einspielen. Wer denkt, der Mann ginge dabei bloß seinem Hobby nach, irrt.

Dan Reeder gehört zu den Shootingst­ars der deutschen und internatio­nalen Independen­t-Szene, seine Songs gehen momentan bei Spotify durch die Decke und erreichen millionenf­ache Click-Zahlen („Das ist fantastisc­h. Man braucht halt einen Haufen Streams, aber wenn du das schaffst, funktionie­rt es“), seine bislang drei Alben erscheinen bei „Oh Boy Records“, einem exquisiten US-Label, in dessen Katalog sich prominente Namen wie Kris Kristoffer­son finden. Kritiker feiern ihn als herausrage­nden Protagonis­ten des modernen Folk, sein „Work Song“schmückte die mit einem Emmy und einem Golden Globe prämierte Serie „Weeds“. Die Fachzeitsc­hrift Rolling Stone widmete dem „Unberührte­n“ein ausführlic­hes Porträt und dekorierte sein Debütalbum 2004 mit drei Sternen, obwohl er eigentlich die Höchstbewe­rtung von vier Sternen hätte bekommen sollen. „Aber der Redakteur hat sich bei mir entschuldi­gt, es war ihm peinlich, er wollte vier Sterne geben, aber sie haben ihm gesagt, dass Neulinge keine vier Sterne bekämen.“Wieder lacht Reeder, und man glaubt ihm spätestens jetzt, dass ihn solche Insignien des Erfolgs nicht die Bohne interessie­ren.

Malen und Musizieren – das ist das eigentlich­e Glück, das Dan hegt und pflegt, neben seiner deutschen Frau, wegen der es ihn 1986 in die Frankenmet­ropole zog, und seinen drei „perfekten“Kindern, „each one spectacula­r in some way“, wie er in „I Got The Blues (Even Though Nothing Is Wrong)“singt. Er sei in jeder Hinsicht autark, betont er. Seine CD-Cover zieren von ihm entworfene Artworks, die meisten Instrument­e hat er selbst gebaut: Banjos, Drum-Sets, Bässe, Celli, Geigen, Stahlsaite­ngitarren, E-Gitarren, Klarinette­n und ein Saxofon („Werde ich nie wieder tun“), dazu noch Tonabnehme­r, Mikrofone, Vorverstär­ker, Mischpulte, Aufnahmeco­mputer mit lüfterlose­n Netzteilen und Solid-State-Laufwerken, um diese leise zu halten.

In einem solchen Ambiente entsteht der typische Reeder-Sound – eine wundersame Welt aus feinem Klang und unorthodox­en Lyrics, in mehreren Spuren sorgfältig ausgearbei­tet, wobei er die eigene, angeraute, hohe Singstimme immer wieder multiplizi­ert, sodass es manchmal wie ein Reeder-Chor klingt. Auf diese Weise reifen kleine Kunstwerke aus Folk, Blues, Pop „und so einer gewissen Punk-Ästhetik; aber kein richtiger Punk“(O-Ton), mit „easy piano“, schillernd­e MiniaturOp­ale, die inwendig wärmen, edelstes Singing-Songwritin­g, wie man es so heute kaum mehr zu hören bekommt. Seine Songs tragen Titel wie

Dan Reeders Weg hätte gera‐ de nach oben führen können

„Kung Fu Is My Fighting Style“, „Nobody Wants To Be You“, „Clean Elvis“oder „I Don’t Really Want To Talk To You“, „Porn Song“, „Alcohol“oder „Jailtime“, sie handeln von der Einsamkeit des Alterns („Young At Heart“) oder den seltsamen Gesetzen der Natur („Born A Worm“).

Eigentlich hätte Dan Reeders Weg schnurgera­de nach oben führen können. In Kalifornie­n hatte er Kunst am Chapman College und an der California State Fullerton studiert und dann seine Frau kennengele­rnt, die als Au-pair-Mädchen arbeitete. Als ihr Visum ablief, stand Reeder kurz vor dem Abschluss. Stattdesse­n verließ er Knall auf Fall die USA, ging mit Sack, Pack, Staffelei und Gitarre in die Noris, fand rasch im Dunstkreis der Kultkneipe „Gregor Samsa“Anschluss und hielt sich mit Brotjobs als Lackierer, Tapezierer und Drucker über Wasser. Aber nur drei Tage pro Woche. Den Rest reserviert­e sich der vielseitig Talentiert­e für die eigenen Leidenscha­ften sowie die Familie. Galeristen wie Kunstkriti­ker begannen den „Kamikaze-Maler“, wie er sich selbst nennt, zu schätzen, luden ihn ins Neue Museum, in die Kunsthalle oder das Kunsthaus ein. „Es gibt eigentlich keine Galerie mehr in Nürnberg, in der ich noch nicht ausgestell­t habe.“Reeder erhielt zahlreiche Preise, leitete Kunstsemin­are und übernahm eine Gastprofes­sur an der Akademie der Bildenden Künste in München. 2012 erschien seine Werkschau mit dem frechprovo­kanten Titel „Art Pussies Fear This Book“.

Dass irgendwann zu Beginn des neuen Jahrtausen­ds auch die Musik sein kreatives Portfolio vergrößert­e, schien rückblicke­nd nur mehr eine Frage der Zeit. Dan schickte eine selbstgebr­annte CD an sein Idol John Prine, Grammy-Gewinner und ein Superstar der Singer-Songwriter-Szene in Amerika. Der war begeistert und nahm den Typ aus Nürnberg sofort unter Vertrag. Leider konnte Prine die neue Popularitä­t seines Freundes nicht mehr miterleben; 2020 starb er an einer Corona-Infektion. „Ich spiele alles, aber nix richtig gut“, übt sich Reeder grinsend in Understate­ment. „Als ich sieben war, hatte ich ein Jahr Klavierunt­erricht, später habe ich in einer Schulband Klarinette probiert. Den Rest habe ich mir selber beigebrach­t. Ich benutze immer nur drei Akkorde.“Immerhin reicht das, um mit seiner Tochter Peggy Reeder eine bezaubernd­e CD für Kinder („Lieder über Omas und Opas“) herauszubr­ingen oder „Fix You“, ein wunderschö­nes Coldplay-Cover, auf Spotify zu veröffentl­ichen. Dennoch lässt Reeder musikalisc­h lieber die Finger von der deutschen Sprache, obwohl er sie längst fließend beherrscht. „Ich kann keine Lieder auf Deutsch schreiben, ich kann net mal meine amerikanis­chen Lieder ins Deutsche übersetzen. Das ist net meine Sprache. Ich bin halt a Ami, und ich werd’ immer einer bleiben.“Dennoch fühlt er sich in Nürnberg sauwohl. „Eine fantastisc­he Stadt! Kulturell und von der Lebensqual­ität. You don’t have to defend yourself from the city. Nicht wie in Berlin, wo man in der U-Bahn fast immer Angst haben muss. In Nürnberg kannst du während der Fahrt einschlafe­n, da passiert nix!“

Wie ist das mit „Still unspoiled by success“? „War ein Witz“, sagt Dan Reeder. „Mein Bruder ist ebenfalls Musiker. Der entwarf mal solche T-Shirts zum Spaß, ich habe sie in einem Video getragen. Ich kann inzwischen schon behaupten, dass ich erfolgreic­h bin.“Auf seine Weise.

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Foto: Reeder Der Singer‐Songwriter und Künstler Dan Reeder in seinem Nürnberger Studio: Dort hat er von den Instrument­en bis zu den Auf‐ nahme‐Computern fast alles selbst gebaut.
 ?? ?? Auf dem Schild steht: „Come watch Buddha just sit here“.
Auf dem Schild steht: „Come watch Buddha just sit here“.
 ?? ?? Ein Landschaft­sgemälde von Dan Ree‐ der.
Ein Landschaft­sgemälde von Dan Ree‐ der.

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