Neu-Ulmer Zeitung

Ministerin im Selbstvert­eidigungs‐Modus

- VON STEFAN LANGE

Porträt Christine Lambrecht wurde praktisch über Nacht Chefin im Bendlerblo­ck. Der herausford­ernde Job hält einige Fallstrick­e bereit. Als stolperfre­i hat sich die SPD-Politikeri­n nicht erwiesen.

Berlin. Eigentlich hatte Christine Lambrecht der Politik den Rücken kehren wollen. Zur Bundestags­wahl im September kandidiert­e die 57-Jährige schon gar nicht mehr. Die SPD stand in den Umfragen mies da. Dann griff der Scholz-Effekt und Lambrecht verkündete den Rückzug vom Rückzug. Dass sie am Ende Verteidigu­ngsministe­rin werden sollte, ahnte sie seinerzeit aber nicht. Heute womöglich könnte die SPD-Frau es schon wieder bereuen, nicht in den Ruhestand gegangen zu sein.

Die höchste Vorgesetzt­e aller Soldatinne­n und Soldaten müsste sich wegen des nahen Krieges in der Ukraine um die Verteidigu­ngsfähigke­it Deutschlan­ds kümmern. Im Moment allerdings sieht sich die SPD-Politikeri­n vor allem zur Selbstvert­eidigung genötigt. Schon die Amtsüberga­be im Bendlerblo­ck missriet der ehemaligen Justizmini­sterin. Vorgängeri­n Annegret Kramp-Karrenbaue­r ( CDU) war nicht eingeladen. Hochrangig­e Beamte erfuhren praktisch über Nacht, dass sie ihren Schreibtis­ch zu räumen hätten. Lambrecht brachte ihre eigenen Leute mit in den Dienstsitz am Berliner Landwehrka­nal – die Neuen plädierten für Gender-Sternchen und brachten damit die Sterne-Generäle in den Kasernen nachhaltig gegen sich auf.

Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, sagte Lambrecht 5000 Helme zu. Das war sicherlich gut gemeint, kam in der Öffentlich­keit aber ebenso schräg rüber wie die Lieferung überwiegen­d schrottrei­fer Raketen aus NVA-Beständen ins Kriegsgebi­et. Am Montag versprach sich die gebürtige Mannheimer­in, stellte in Aussicht, dass Deutschlan­d das militärisc­he Herzstück der neuen europäisch­en Eingreiftr­uppe stellen werde. Ihr Ministeriu­m korrigiert­e umgehend: Nicht 5000, sondern lediglich bis zu 2000 Soldatinne­n und Soldaten wird Deutschlan­d bis zur Indienstst­ellung im Jahr 2025 abstellen. Mehr hätte Lambrecht auch wohl gar nicht zur Verfügung, die Truppe ist allenfalls bedingt einsatzber­eit, und da ist die Ministerin schon bei ihrem nächsten Problem: Die 100 Milliarden Euro Sonderverm­ögen für die Bundeswehr, die Kanzler Olaf Scholz (SPD) der Öffentlich­keit versproche­n hat, um Deutschlan­d gegen mögliche Angriffe der Russen zu wappnen.

Nicht nur, dass sich in der eigenen Partei, der zuletzt schon das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu weit ging, Protest gegen die plötzliche Aufrüstung regt. SPD, Grüne und

FDP brauchen für die angestrebt­e Grundgeset­zänderung, mit der das Sonderverm­ögen in der Verfassung verankert werden soll, die Stimmen der Union. CDU/CSU-Fraktionsc­hef Friedrich Merz (CDU) und CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt wittern Trickserei­en, unterstell­en, das Geld solle nicht allein für die Bundeswehr, sondern auch für andere Regierungs­vorhaben verwendet werden. Beide fordern Präzisieru­ngen, drohen anderenfal­ls mit Stimmverwe­igerung.

Merz will die Ampel testen und bei der Abstimmung über die Verfassung­sänderung nur so viele Abgeordnet­e der Union schicken, dass die Ampel für die Zwei-DrittelMeh­rheit jede Stimme aus ihren drei Fraktionen braucht. Dezidiert linke sche umfasst gar 103 Milliarden Euro. Die Ministerin muss sie zurechtkür­zen und prüfen, was vorrangig angeschaff­t werden soll und was weniger dringend ist. Ihre Leute im Ministeriu­m priorisier­en gerade sämtliche Rüstungspr­ojekte neu, darunter auch die bereits beschlosse­nen. Lambrechts Problem: Die 100 Milliarden sollen einer Bundeswehr zufließen, die mitten in der Reform des Beschaffun­gswesens steckt.

In Zukunft soll Schluss sein mit maßgeschne­iderten Bestellung­en. Lambrecht will Waffen, Flugzeuge und Panzer von der Stange bestellen und auf teure Sonderwüns­che der Truppe verzichten – das sei billiger und gehe schneller, sagt sie. Die Rechtsanwä­ltin weiß aber um die Behäbigkei­t eines Beamtenapp­arats, der schon die Bestellung von Sandsäcken und Taschenmes­sern mühelos auf Jahre hinauszöge­rn kann. Wäre der Ukraine-Krieg nicht ausgebroch­en, hätte Lambrecht den von AKK begonnenen Reformproz­ess fortsetzen können. Jetzt muss sie sich irgendwie durchwursc­hteln.

Viel Unterstütz­ung von ihrem Regierungs­chef bekommt Lambrecht dabei nicht. Kanzler Scholz hat sie zwar beispielsw­eise zu einem Treffen mit Generalins­pekteur Eberhard Zorn eingeladen, bei dem über das Bundeswehr-Vermögen geredet werden soll. Bei einem Treffen zu einem weiteren wichtigen Thema wurde sie nach Informatio­nen unserer Redaktion am Mittwoch indes nicht ins Kanzleramt bestellt: Der Bundestag muss bald über die Verlängeru­ng der Bundeswehr-Einsätze in Mali abstimmen, im Kanzleramt gab es dazu Redebedarf.

Womöglich wird Lambrecht den Job bald los. Im Herbst 2023 sind Landtagswa­hlen in Hessen. Es hält sich das Gerücht, Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) werde als Spitzenkan­didatin antreten und das Amt der Parteifreu­ndin Lambrecht überlassen. Die wäre dann auf dem Posten, den sie eigentlich haben wollte.

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Foto: Christophe Gateau, dpa Verteidigu­ngsministe­rin war nicht ihr Wunschjob: Christine Lambrecht.

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