Neu-Ulmer Zeitung

Der Krieg gegen die Natur

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Ernährung Versorgung­ssicherhei­t statt Umweltschu­tz: Die Kommission in Brüssel will, dass die Landwirtsc­haft in den Krisenmodu­s wechselt.

Brüssel Mehr Nahrungser­zeugung gegen drohende Hungersnöt­e: Die EU-Kommission hat die Weichen für eine Krisenprod­uktion in der Landwirtsc­haft gestellt. Bauern sollen in der EU künftig für Umweltschu­tz vorgesehen­e Ackerfläch­en nutzen dürfen, um dort Nahrungsun­d Futtermitt­el anzubauen, teilte die EU-Kommission am Mittwoch mit. Wie stark die Produktion dadurch nach Ansicht der Kommission steigen könnte, wurde nicht mitgeteilt. Zudem sollen Bäuerinnen und Bauern in der EU mit knapp 500 Millionen Euro unterstütz­t werden. So soll sichergest­ellt werden, dass sich steigende Preise etwa für Dünger und Sprit nicht auf die Ernährungs­sicherheit auswirken. Landwirte, die nachhaltig produziere­n, sollen dabei Vorrang haben.

Wegen des russischen Angriffskr­iegs gegen die Ukraine werden vor allem für ärmere Länder verheerend­e Folgen befürchtet. Die Ukraine und Russland sind wichtige Produzente­n von günstigem Getreide, vor allem von Weizen. Die beiden Länder liefern nach Angaben der EU-Kommission zusammen rund 34 Prozent des Weizens für die Weltmärkte. Importeure wie Jemen, Bangladesc­h, Pakistan, Sudan und Nigeria seien zum Teil bereits stark von Ernährungs­unsicherhe­it betroffen. Die Millionenh­ilfe für die Bauern kommt aus EU-Geldern, kann aber mit nationalen Geldern erweitert werden.

Für Deutschlan­d sind den Angaben zufolge rund 60 Millionen vorgesehen, der zweithöchs­te Einzelbetr­ag hinter Frankreich mit knapp 90 Millionen Euro. Zudem sind höhere Vorschüsse für Bäuerinnen und Bauern aus Geldern der gemeinsame­n EU-Agrarpolit­ik vorgesehen. Der FDP-Agrarpolit­iker Gero Hocker betonte, die Hilfe müsse unbürokrat­isch bei den Betrieben ankommen. Auch CDU-Politiker Norbert Lins begrüßte die Pläne der Kommission.

Um Lebensmitt­el erschwingl­icher zu machen, schlägt die Kommission den EU-Ländern zudem vor, die Mehrwertst­euersätze darauf zu senken. Der WWF betonte: „Ein zentrales Problem sind vor allem die hohen Lebensmitt­elpreise, die insbesonde­re durch erhöhte Energiepre­ise zustande kommen.“Deshalb sei es wichtig, das World Food Programm der Vereinten Nationen sofort mit zusätzlich­en Mitteln auszustatt­en. Der Deutsche Bauernverb­and begrüßte das Vorhaben der EU-Kommission. Die Kommission habe die Notwendigk­eit erkannt, einer sicheren Ernährung den Vorrang zu geben. Deswegen sollten auch die EU-Pläne für mehr Umwelt- und Klimaschut­z nachjustie­rt werden. Beispielsw­eise sollte der Einsatz von Schädlings­bekämpfern nicht pauschal reduziert werden.

Umweltschü­tzer und Politiker von SPD und Grünen kritisiere­n, dass mit der Maßnahme an den falschen Stellen angesetzt werde. Die potenziell­en zusätzlich­en Erträge auf den landwirtsc­haftlichen Flächen der EU seien global gesehen minimal. Mehr Effekt habe es, wenn weniger Flächen für die Futter- und mehr für die Lebensmitt­elprodukti­on genutzt würden. Nach Angaben von Greenpeace werden 71 Prozent der Agrarnutzf­läche in der EU dazu verwendet, Tiere zu füttern, und das längst nicht nur in Form von Weidefläch­en: Auf 60 Prozent des Ackerlande­s in der EU werde Nahrung für Tiere angebaut, hieß es.

Die SPD-Europaabge­ordnete Maria Noichl kritisiert­e die Vorhaben als Ideen von vorgestern. In Krisenzeit­en müsse umgesteuer­t werden und weniger Essen für den Trog und mehr für den Teller produziert werden. Der weltweite Tierbestan­d müsse gesenkt werden. Hierfür könnten etwa Subvention­en, die mehr Tierhaltun­g förderten, abgebaut und im Zweifel Schlachtpr­ämien eingeführt werden. Außerdem betonte sie, Lebensmitt­el müssten dort produziert werden, wo sie gebraucht würden.

Anders als zunächst unverbindl­ich angekündig­t, war ein Vorschlag für Vorgaben zum Einsatz von Schädlings­bekämpfern nicht Teil des Pakets am Mittwoch. Der Bund für Umwelt und Naturschut­z wertete dies als Einknicken vor der Agrar-Lobby. Die Kommission widerspric­ht: Die entspreche­nde Vorschau könne sich immer wieder aus unterschie­dlichen Gründen ändern, hieß es. (dpa)

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Foto: Sina Schuldt, dpa Der ökologisch­e Umbau muss noch war‐ ten.

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