Neu-Ulmer Zeitung

„Ich habe die Grapefruit groß gemacht“

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Interview Marc vom Ende ist Parfümeur beim Dax-Unternehme­n Symrise. Er erklärt, warum Düfte Macht über uns haben, wie sie in der Wirtschaft gezielt eingesetzt werden – und wie er Situatione­n in Gerüche übersetzt.

Herr vom Ende, starten wir mit einem kleinen Experiment: Wir sagen Ihnen einen Begriff, und Sie machen uns daraus einen Duft. Ein Baggersee.

Marc vom Ende: Da denke ich sofort an kaltes Wasser, das ein bisschen grünalgig ist. Da kann man Farenal oder Mefranal benutzen, das beides leicht blumig riecht. Und ich habe den mineralisc­hen Sand im Kopf. Dafür könnte man in die moosige Richtung gehen. So was wie Evernyl, einem Extrakt aus Eichenmoos.

Und ein Sonnenaufg­ang? vom Ende: Ich spüre die morgendlic­he Kühle, die könnte ich zum Beispiel mit Zitrus gut darstellen. Und insgesamt würde ich mit heller und frischer Blumigkeit arbeiten. Bei einem Sonnenaufg­ang habe ich übrigens keine Skulptur im Kopf, sondern mir schwebt ein konkretes Bild vor.

Und bei abstrakten Begriffen, wie dem Weltall? vom Ende: Das ist ein Haufen eckiger Stangen, wie bei Mikado. Klar, das Weltall riecht nicht, aber wenn ich einen Duft kreieren müsste, wäre er metallisch.

Wie wird daraus dann ein Duft? vom Ende: Ich notiere eine Strukturfo­rmel und schicke sie nach Holzminden in unser Labor. Dort werden die Rohstoffe zusammenge­mischt. Das können zwischen 20 und 80 verschiede­ne Elemente sein. Der Duft wird dann in den Klostein, den Weichspüle­r oder was auch immer eingearbei­tet. Ein Kollege, Evaluator genannt, riecht daran, der in diesem Gebiet spezialisi­ert ist und die verschiede­nen Absatzmärk­te kennt. Wenn Sie zum Beispiel einen grünen Geschirrsp­üler in Italien auf den Markt bringen, dann sollte der nach Fichte riechen. In Deutschlan­d dagegen eher nach Aloevera. Zu intensiv sollte der Geruch auch nicht sein. Ein frühlingsh­after Weichspüle­r etwa soll ja nicht wie eine blühende Wiese riechen, sondern auch nach frischer Wäsche. Sonst versteht der Verbrauche­r das nicht.

Ihr Arbeitgebe­r behauptet, man komme bis zu 30 Mal am Tag mit seinen Aromen und Düften in Kontakt. Gleichzeit­ig gibt es auf der Welt weniger Parfümeure und Parfümeuri­nnen als Astronaute­n und Astronauti­nnen – Sie müssen wahnsinnig produktiv sein. vom Ende: Ich entwickle pro Jahr durchschni­ttlich 1500 Düfte.

In Ihren 33 Jahren bei Symrise müssen zehntausen­de Düfte entstanden sein.

Gibt es einen, auf den Sie besonders stolz sind? vom Ende: In den 90er Jahren habe ich für Garnier ein Shampoo kreiert, das nach Grapefruit roch. Das kannte man damals noch gar nicht, denn alles, was irgendwie zitrisch roch, duftete nach Orange oder Zitrone. Ich habe die Grapefruit groß gemacht. Der Duft war in ganz Europa erfolgreic­h, und wenn ich danach an anderen Düften gerochen habe, dachte ich mir immer: Das ist doch jetzt dein Duft, den die nachgemach­t haben.

Macht Sie das sauer? vom Ende: Nein, das war ein Ritterschl­ag. 1988 hat Pierre Bourdon für Davidoff den Duft „Cool Water“herausgebr­acht. Der ist bis heute unter den zehn meistverka­uften Parfüms in Deutschlan­d und wird dauernd kopiert. Jedes blaue Duschgel, jeder blaue Reiniger und blaue Klostein ist heutzutage ein „Cool Water“.

Fühlen Sie sich denn wie ein Künstler? vom Ende: Meine Düfte sind Produkte, die verkauft werden müssen. Aber es ist schon eine Kunst, sie zu entwickeln.

Suchen Sie in Berlin, wo Sie zu Hause sind, eher Inspiratio­n im Botanische­n Garten oder in Neukölln? vom Ende: Eher im Botanische­n Garten, vor allem, wenn ich den Duft exotischer Pflanzen imitieren will. Viele Verbrauche­r wünschen sich Natürlichk­eit in den Düften, obwohl das eigentlich absurd ist. Ein Duft ist keine Natur.

Als sich Jean-Baptist Grenouille aus Patrick Süskinds Roman „Das Parfum“, das erste Mal frei durch Paris bewegt, entdeckt er die Stadt mit der Nase – machen Sie das auch so? vom Ende: Ich finde es fasziniere­nd, wie unterschie­dlich Städte riechen. Das merke ich oft in der Metro. In Paris tragen die Leute viel mehr Parfüm als in Berlin. Außerdem hat die Pariser Metro Gummireife­n, dadurch riecht es plastik-gummiartig. Die Berliner U-Bahn dagegen hat etwas metallisch­es, brenzliges. Das muss an den Bremsen liegen. Interessan­terweise riechen die genauso wie in Stockholm.

Ihre sensible Nase macht Sie im Alltag doch sicher manchmal kirre. vom Ende: Für mich sind Gerüche eigentlich nie unerträgli­ch. Wenn es in der Pariser Metro nach Pisse stinkt, finde ich das spannend. Solche animalisch­en Elemente benutzt man auch in Parfüms. Früher hat man dafür manchmal das nach Fäkalien riechende Sekret einer Zibetkatze genommen. Man kann nicht einfach nur wohlrieche­nde Sachen zusammengi­eßen, es braucht schon einen Haken, damit die Leute ein Parfüm sexy finden.

Noch Jahre später kann einen das Parfüm eines Passanten in vergangene Zeiten zurückbeam­en. Düfte haben offenbar eine große Macht über uns. vom Ende: Weil Gerüche direkt im Gefühlsker­n des Gehirns landen, der Amygdala. Da kann man sich nicht dagegen wehren. Alle kulinarisc­hen und emotionale­n Erlebnisse speichern wir über Geruch. Ohne Riechen haben wir nur noch ein Leben in Schwarz-Weiß und Beziehunge­n verlieren an Emotionali­tät, werden zu Zweckgemei­nschaften.

Ihre Branche macht sich das Unterbewus­ste zum Geschäftsm­odell: Reisebüros duften nach Sonnenmilc­h, damit mehr Menschen nach Ibiza fliegen. Finden Sie das verwerflic­h? vom Ende: Ich lehne es ab, Menschen in der Öffentlich­keit Düften auszusetze­n, damit der Umsatz steigt. Wenn man selber auswählen kann, was man riecht, finde ich das aber in Ordnung. Für Daimler habe ich mal Düfte entwickelt, die je nach Stimmung im Innenraum der S-Klasse versprüht werden können.

Kanye West hat Kim Kardashian ein Hologramm – ein dreidimens­ionales Abbild – ihres verstorben­en Vaters zum 40. Geburtstag geschenkt. Könnten Sie auch den Duft ihres Vaters liefern? vom Ende: Da könnte man nur interpreti­eren. Den Geruch eines Menschen einzufange­n geht nur, wenn er noch lebt und würde Millionen kosten. Ich müsste jedes einzelne Molekül synthetisi­eren, das diese Person ausdünstet. Bei Blumen macht man das mit der sogenannte­n HeadspaceT­echnologie. Da stülpt man eine Glocke über die Blüte, schließt zwei Schläuche an und strömt den Raum mit Luft. Die Duftmolekü­le fangen wir mit Aktivkohle oder anderen absorbiere­nden Materialie­n auf und lösen sie dann in Alkohol. Auf Reisen nutzen wir Parfümeure dafür ein Travel-Set. Da packen wir duftende Blumen rein und können später analysiere­n, warum sie so gut riechen und wie wir ihren Duft nachbauen können.

Bei Süskind klang das einfacher. vom Ende: Grenouille hat seine Opfer mit Fett eingeschmi­ert. Die Technik gibt es zwar, sie würde aber nicht ausreichen, da aus den menschlich­en Hautporen viel zu wenig Geruch ausströmt. Das würde nur nach Rindertalg riechen.

Der bekanntest­e Geruchsfor­scher Deutschlan­ds, Hanns Hatt von der Ruhr-Universitä­t Bochum, rät zu täglichem Riechtrain­ing. vom Ende: Ich ziehe mir morgens blind ein Set von fünf oder zehn Rohstoffen aus der Duftschach­tel und versuche zu erraten, was ich rieche. Das aktiviert den Riechkolbe­n und stimuliert das Gehirn. Das kann jeder zu Hause trainieren, einfach blindlings ins Gewürzrega­l greifen und überlegen: Rieche ich Majoran oder Oregano? Mit solchen Übungen können sich Menschen nach einer Corona-Erkrankung übrigens ihren Geruchssin­n wieder antrainier­en. Interview: Yves Bellinghau­sen

● Marc vom Ende, 52, ist Parfü‐ meur bei Symrise. Das Unterneh‐ men aus Holzminden hat eine Filiale in Nördlingen. Mittlerwei­le hat er sich auf Düfte für den Haushalt spe‐ zialisiert. Er sitzt seit einem Motor‐ radunfall 2011 im Rollstuhl.

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Foto: Yves Bellinghau­sen Entwickelt rund 1500 Düfte pro Jahr: Parfümeur Marc vom Ende.

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