Neu-Ulmer Zeitung

Klitschko beklagt „Völkermord“in seinem Land

- VON MICHAEL KIENASTL

Ukraine Der Kiewer Bürgermeis­ter spricht vor dem Münchner Stadtrat. Dann fallen Bomben im Norden seiner Stadt.

München Die Worte, mit denen sich der Bürgermeis­ter der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew, Vitali Klitschko, an den Münchner Stadtrat wendet, sind emotional, dramatisch. In Militärkle­idung sitzt er an einem Schreibtis­ch, hinter ihm zugezogene Vorhänge. „Wir hören hier ständig Explosione­n, die Gebäude wackeln“, berichtet der 50 Jahre alte ehemalige Profiboxer. Er hält Streumunit­ion in die Kamera, zentimeter­große Metallkuge­ln, die mit russischen Raketen über der Stadt abgeworfen worden seien. „Die töten in einem Radius von 500 Metern jedes menschlich­e Leben“, sagt er und spricht von einem Völkermord. „Das ist ein Genozid.“

Seit 1989 sind München und Kiew Partnerstä­dte und kooperiere­n in zahlreiche­n Projekten und Austauschp­rogrammen. Klitschko wurde deshalb aus der bayerische­n

Landeshaup­tstadt eingeladen, in der Vollversam­mlung des Stadtrats vor der eigentlich­en Sitzung im Fröttmanin­ger Showpalast zu sprechen. „Lieber Vitali, wir waren und sind tief betroffen“, sagt Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD). Der Bericht habe ihn aufgewühlt, der Krieg mache ihn „ungeheuer wütend“.

Reiter zeigt sich aber auch beeindruck­t vom Kampf der Ukrainerin­nen und Ukrainer. „Eurer Mut gibt uns Hoffnung und Kraft. Ihr kämpft für unser aller Freiheit.“Kiew könne sich auf die Solidaritä­t seiner Partnersta­dt zu 100 Prozent verlassen. Reiter spricht auch von der Spenden- und Hilfsberei­tschaft der Münchnerin­nen und Münchner.

Seine Stadt habe bisher bereits 20.000 geflüchtet­e Menschen aus der Ukraine aufgenomme­n und Hilfsgüter geschickt.

Klitschko bedankt sich für die Hilfe, auch im Namen seiner Bürgerinne­n und Bürger. Er bittet darum, die wirtschaft­lichen Beziehunge­n zu Russland komplett zu beenden und die Sanktionen weiter auszubauen. „Russland investiert jeden Cent in die Armee und in den Kampf gegen die Ukraine.“Er verstehe, dass wirtschaft­liche Sanktionen auch für Deutschlan­d schmerzhaf­t seien, aber anders gehe es nicht. Entweder man verteidige die Ukraine oder man stehe auf der Seite des russischen Aggressors. „Man kann nicht halbschwan­ger sein“, sagt

Klitschko. Friedensge­sprächen stehe er sehr skeptisch gegenüber, er verstehe nicht, wie ein Kompromiss aussehen könnte. „Sollen wir einen Teil der Ukraine abgeben?“Die einzige Lösung sei, dass die russische Armee das ukrainisch­e Territoriu­m verließe. „Dieser Konflikt kann Monate dauern“, sagt Klitschko.

Statt Panik bekämen die Menschen in der Ukraine eine „riesige Wut“auf Russland, wie Klitschko sagt. „Wir gehen niemals auf die Knie, niemals möchten wir Sklaven sein.“Das Ziel der russischen Aggression sei es, ein großes mächtiges Imperium aufzubauen. Regelmäßig spreche er mit Freunden aus Russland, die teilweise auf die Propaganda vom Kampf gegen Faschismus und Russenhass reinfielen. Er wurde noch emotionale­r, rief: „Meine Mutter ist Russin, wie kann ich Russen hassen?“Er selbst ist in der Sowjetunio­n aufgewachs­en und kenne das Streben nach imperialer

Großmachts­tellung. „Ich weiß, was Diktatur und Autoritari­smus bedeuten.“Immer wieder wiederholt Klitschko, dass es um viel mehr als einen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland gehe. „Dieser Krieg betrifft jeden Bürger der Europäisch­en Union.“Es sei ein Kampf um europäisch­e Werte und Prinzipien, die Ukraine wolle ein Teil der europäisch­en Familie sein. „Wir kämpfen auch für euch“, sagt der Bürgermeis­ter.

Der Kiewer Bürgermeis­ter bekommt für seine gut halbstündi­ge Rede stehende Ovationen von den Münchner Stadtratsm­itgliedern. Noch einmal bedankt sich Klitschko für die Hilfsberei­tschaft, bevor er die Kamera ausschalte­t. Der Norden seiner Stadt sei erneut bombardier­t worden. „Ich muss los“, verabschie­det sich der Bürgermeis­ter. Die Stadtratsm­itglieder gedenken anschließe­nd in einer Schweigemi­nute der Opfer des Krieges.

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Dieter Reiter
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Vitali Klitschko

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