Klitschko beklagt „Völkermord“in seinem Land
Ukraine Der Kiewer Bürgermeister spricht vor dem Münchner Stadtrat. Dann fallen Bomben im Norden seiner Stadt.
München Die Worte, mit denen sich der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew, Vitali Klitschko, an den Münchner Stadtrat wendet, sind emotional, dramatisch. In Militärkleidung sitzt er an einem Schreibtisch, hinter ihm zugezogene Vorhänge. „Wir hören hier ständig Explosionen, die Gebäude wackeln“, berichtet der 50 Jahre alte ehemalige Profiboxer. Er hält Streumunition in die Kamera, zentimetergroße Metallkugeln, die mit russischen Raketen über der Stadt abgeworfen worden seien. „Die töten in einem Radius von 500 Metern jedes menschliche Leben“, sagt er und spricht von einem Völkermord. „Das ist ein Genozid.“
Seit 1989 sind München und Kiew Partnerstädte und kooperieren in zahlreichen Projekten und Austauschprogrammen. Klitschko wurde deshalb aus der bayerischen
Landeshauptstadt eingeladen, in der Vollversammlung des Stadtrats vor der eigentlichen Sitzung im Fröttmaninger Showpalast zu sprechen. „Lieber Vitali, wir waren und sind tief betroffen“, sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Der Bericht habe ihn aufgewühlt, der Krieg mache ihn „ungeheuer wütend“.
Reiter zeigt sich aber auch beeindruckt vom Kampf der Ukrainerinnen und Ukrainer. „Eurer Mut gibt uns Hoffnung und Kraft. Ihr kämpft für unser aller Freiheit.“Kiew könne sich auf die Solidarität seiner Partnerstadt zu 100 Prozent verlassen. Reiter spricht auch von der Spenden- und Hilfsbereitschaft der Münchnerinnen und Münchner.
Seine Stadt habe bisher bereits 20.000 geflüchtete Menschen aus der Ukraine aufgenommen und Hilfsgüter geschickt.
Klitschko bedankt sich für die Hilfe, auch im Namen seiner Bürgerinnen und Bürger. Er bittet darum, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland komplett zu beenden und die Sanktionen weiter auszubauen. „Russland investiert jeden Cent in die Armee und in den Kampf gegen die Ukraine.“Er verstehe, dass wirtschaftliche Sanktionen auch für Deutschland schmerzhaft seien, aber anders gehe es nicht. Entweder man verteidige die Ukraine oder man stehe auf der Seite des russischen Aggressors. „Man kann nicht halbschwanger sein“, sagt
Klitschko. Friedensgesprächen stehe er sehr skeptisch gegenüber, er verstehe nicht, wie ein Kompromiss aussehen könnte. „Sollen wir einen Teil der Ukraine abgeben?“Die einzige Lösung sei, dass die russische Armee das ukrainische Territorium verließe. „Dieser Konflikt kann Monate dauern“, sagt Klitschko.
Statt Panik bekämen die Menschen in der Ukraine eine „riesige Wut“auf Russland, wie Klitschko sagt. „Wir gehen niemals auf die Knie, niemals möchten wir Sklaven sein.“Das Ziel der russischen Aggression sei es, ein großes mächtiges Imperium aufzubauen. Regelmäßig spreche er mit Freunden aus Russland, die teilweise auf die Propaganda vom Kampf gegen Faschismus und Russenhass reinfielen. Er wurde noch emotionaler, rief: „Meine Mutter ist Russin, wie kann ich Russen hassen?“Er selbst ist in der Sowjetunion aufgewachsen und kenne das Streben nach imperialer
Großmachtstellung. „Ich weiß, was Diktatur und Autoritarismus bedeuten.“Immer wieder wiederholt Klitschko, dass es um viel mehr als einen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland gehe. „Dieser Krieg betrifft jeden Bürger der Europäischen Union.“Es sei ein Kampf um europäische Werte und Prinzipien, die Ukraine wolle ein Teil der europäischen Familie sein. „Wir kämpfen auch für euch“, sagt der Bürgermeister.
Der Kiewer Bürgermeister bekommt für seine gut halbstündige Rede stehende Ovationen von den Münchner Stadtratsmitgliedern. Noch einmal bedankt sich Klitschko für die Hilfsbereitschaft, bevor er die Kamera ausschaltet. Der Norden seiner Stadt sei erneut bombardiert worden. „Ich muss los“, verabschiedet sich der Bürgermeister. Die Stadtratsmitglieder gedenken anschließend in einer Schweigeminute der Opfer des Krieges.