Neu-Ulmer Zeitung

Der Drachenlor­d in der Hass‐Spirale

- VON JONATHAN LINDENMAIE­R

Mobbing Seine Videos im Internet machten einen Franken bekannt – und zum Ziel einer erschrecke­nden Hetzjagd. Nun stand der Youtuber vor Gericht, weil er sich wehrte.

Nürnberg Altschauer­berg ist ein kleines Dorf in der mittelfrän­kischen Provinz. 40 Menschen wohnen dort – umkreist von Wäldern und Feldern. Im Jahr 2014 entwickelt­e sich die Gemeinde jedoch zur Pilgerstät­te für Internettr­olle, zum Mekka für Hass-Touristen. Sie kommen, um dem berühmtest­en Bewohner Altschaube­rgs einen Besuch abzustatte­n: Rainer W., auf der Videoplatt­form Youtube besser bekannt als „Drachenlor­d“. Der 32-Jährige ist Zielscheib­e einer Hetzjagd, die im Netz begann und eines Tages in der realen Welt weitergefü­hrt wurde. Bis nach Altschaube­rg.

Am gestrigen Mittwoch wurde der Fall des gemobbten Youtubers vor dem Nürnberger Landgerich­t verhandelt. Angeklagt aber waren nicht diejenigen, die W. beleidigen, beschimpfe­n, ihn verfolgen. Angeklagt war W. selbst. Denn er schlägt regelmäßig zurück. Nicht nur mit Worten. Einen seiner „Hater“, wie er sie nennt, der vor seinem Haus randaliert­e, attackiert­e er mit einer Taschenlam­pe. Es gehört zu den Absurdität­en dieser Geschichte, dass W. Täter und zugleich Opfer ist. Als sein Fall im vergangene­n Jahr erstmals vor Gericht landete, äußerte die Richterin Verständni­s für die Situation des „Drachenlor­ds“. „Ich tue das nicht gerne, aber es ist nun mal mein Job“, sagte sie und verurteilt­e den einschlägi­g vorbestraf­ten Mann wegen gefährlich­er Körperverl­etzung und Beleidigun­g zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung. In der Berufungsv­erhandlung wurde er nun zu einer Bewährungs­strafe von einem Jahr verurteilt.

Wie konnte dieser Fall so eskalieren? Der Kanal „Drachenlor­d“wirkt auf den ersten Blick unauffälli­g. W. filmt sich, wie er zu Heavy Metal tanzt, Videospiel­e spielt, spazieren geht. Doch für seine Feinde ist alles ein gefundenes Fressen. Sie machen sich lustig über ihn, beleidigen ihn wegen seines Übergewich­ts oder weil er eine Sonderschu­le besucht hat. Und weil er reagiert, wie er reagiert. W. beschimpft seine Hater, droht ihnen mit Gewalt.

Das Mobbing verstehen viele der Beteiligte­n als Spiel, sie nennen es das „Drachengam­e“– einer von vielen traurigen Höhepunkte­n: „Drachenlor­d“verliebt sich in Userin „Erdbeerche­n1510“. In einem Live-Stream vor 5000 Menschen macht er ihr einen Heiratsant­rag. Die Aktion war eine Falle. Hinter „Erdbeerche­n1510“steckt eine Mobberin. Sie lacht ihn aus. Er weint. Das Video wurde inzwischen mehr als 150.000 Mal angeklickt.

Im Jahr 2014 begeht W. einen folgenschw­eren Fehler: Er nennt seine Adresse. Verbunden mit der Aufforderu­ng, sich mit ihm zu prügeln. Daraufhin schlägt das Cybermobbi­ng in extremes Stalking um. Menschen pilgern zu seinem Haus, bewerfen ihn mit Eiern, randaliere­n, skandieren Beleidigun­gen und filmen sich dabei. Manche tragen Masken, die das Gesicht von W.s gestorbene­m Vater zeigen. Die Polizei muss täglich anrücken, bleibt aber machtlos. Im Jahr 2018 überrennen 800 Menschen gleichzeit­ig das Dorf.

Was treibt die Mobber an? Der Medienwiss­enschaftle­r Christian Gürtler sieht darin eine einfache Erklärung: Menschen treten gerne nach unten – vor allem dann, wenn sie bei ihrem Opfer eine Reaktion hervorrufe­n können. „Seine Popularitä­t rührt unter anderem daher, dass er auf viele der Provokatio­nen eingeht“, sagt Christian Gürtler und glaubt: Hätte W. die Angriffe ignoriert, wäre die Lage nicht so eskaliert.

Bisher konnten weder die Anfeindung­en noch die drohende Gefängniss­trafe W. davon abhalten, weitere Videos zu produziere­n. Gürtler sieht dahinter zwei Gründe. Der erste: Die Videos bringen Geld. „Drachenlor­d“verdient nach eigenen Angaben auf YouTube mehr als 2000 Euro im Monat. Vor allem mit jenen Videos, die seine Hater anstacheln. Der zweite Grund: „Er sieht sich selbst als Kämpfer gegen Online-Mobbing“, sagt Gürtler. Das könne man vielen seiner Aussagen entnehmen. „Die Ansprachen erinnern teilweise an Helden aus Fantasyrom­anen: Er lasse sich nicht besiegen, irgendwann werde er mehr Fans als Hater haben.“

So begibt sich W. selbst in eine Spirale von Anfeindung­en, die sich stetig weiterdreh­t – auch am Mittwoch vor Gericht. Zum Teil sind seine Hater schon in der Nacht angereist, um einen der wenigen Plätze im Saal zu ergattern. „Ich liebe und hasse den Drachenlor­d“, sagt ein Zuschauer, der extra aus Nordrhein-Westfalen gekommen ist. „Ich liebe es, zu beobachten, wie er immer wieder neue Dummheiten macht.“

Aus Altschauer­berg ist W. mittlerwei­le weggezogen. Sein Haus wurde vor wenigen Tagen abgerissen.

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Foto: Stringer, dpa Rainer W., alias „Drachenlor­d“, vor dem Landgerich­t.

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