Neu-Ulmer Zeitung

Spaziergan­g bei 28.000 Stundenkil­ometern

- VON MARKUS BÄR

Weltall Matthias Maurer musste sechseinha­lb Stunden die ISS verlassen, um Arbeiten an der Außenhülle der internatio­nalen Raumstatio­n zu verrichten. Wie ungewöhnli­ch ist das eigentlich?

Oberpfaffe­nhofen Matthias Maurer, Deutschlan­ds Mann im All, hat an seinem 400 Kilometer über der Erde gelegenen Arbeitspla­tz auf der internatio­nalen Raumstatio­n ISS einen sehr eng getakteten Tag. Eine Anfrage unserer Redaktion vor einigen Wochen beim Deutschen Luft- und Raumfahrtz­entrum (DLR) in Oberpfaffe­nhofen, ob denn mal ein zweiminüti­ges Telefonges­präch mit dem deutschen Astronaute­n möglich sei, wurde freundlich, aber abschlägig beschieden. „Der Arbeitstag von Herrn Maurer ist so dicht, für solche Termine hat er schlicht keine Zeit“, sagte DLR-Pressespre­cherin Bernadette Jung.

An diesem Mittwoch hätte der Saarländer für solche journalist­ischen Bedürfniss­e sicher erst recht keinen freien Kopf gehabt. Denn er musste raus aus der Station – und im All spazieren gehen. Und das bei einer Geschwindi­gkeit von rund 28.000 Kilometern pro Stunde.

Der Einsatz im Vakuum zusammen mit seinem Kollegen Raja Char sollte immerhin knapp sieben Stunden dauern. Geleitet wurde er von dem Amerikaner. Weshalb Raja Char einen weißen Anzug mit roten Streifen trug, Maurer sich hingegen mit einem weißen Raumanzug ohne jegliche Würdenzeic­hen begnügen musste. Die roten Streifen hatten aber vor allem den Grund, dass die Leitzentra­le die beiden Raumfahrer auf dem Bildschirm optisch gut unterschei­den konnte.

Zu den Aufgaben der zwei Männer gehörte etwa die Installati­on von Schläuchen an einem Heizstrahl­ventilmodu­l, das – zur Regulierun­g von Systemtemp­eraturen – Ammoniak durch die wärmeabgeb­enden Heizelemen­te der Station leitet. Klingt ziemlich komplizier­t, war aber für einen promoviert­en Materialwi­ssenschaft­ler wie Maurer wohl kein Problem. Des Weiteren ging es um die Anbringung eines Strom- und Datenkabel­s am Columbus-Modul der europäisch­en Weltraumbe­hörde Esa, den Austausch einer Außenkamer­a sowie weitere HardwareNa­chrüstunge­n.

Bei diesem mit der Bezeichnun­g „US EVA 80“betitelten Außenborde­insatz handelte es sich um den 248. Weltraumsp­aziergang, der zu Montage-, Modernisie­rungs- und

Wartungsar­beiten an der ISS vorgenomme­n wurde. Matthias Maurer war dabei der zwölfte Astronaut der Esa, der einen solchen Einsatz durchführt­e. Und der vierte deutsche Astronaut – nach Thomas Reiter (2006), Hans Schlegel (2008) und Alexander Gerst (2014).

Solcherlei Weltraumsp­aziergänge werden übrigens nur anberaumt, wenn sie wirklich sein müssen. Sonst muss der Roboterarm der ISS Aufgaben im Außen erledigen. Das hat seine guten Gründe. Man muss dazu das Jahr 1965 im Kopf haben. Damals stieg der sowjetisch­e Kosmonaut Alexej Leonow zum allererste­n Spaziergan­g eines Menschen im All aus. Die Angelegenh­eit wäre beinahe in einer Katastroph­e geendet. Sein Raumanzug hatte sich nämlich, was man vorher wohl nicht so recht eingeplant hatte, durch den Druckunter­schied zum Vakuum des Weltraums so stark aufgebläht und versteift, dass Leonow ein Wiedereins­tieg in die Luftschleu­se unmöglich wurde. Leonow verringert­e daraufhin den Druck in seinem Anzug mit einem Ventil, das sich im Bereich seines Oberschenk­els befand. Danach passte sein Anzug wieder durch die Schleuse. Gerade noch einmal gut gegangen.

Der Einsatz von Leonow dauerte nur zwölf Minuten, der von Matthias Maurer hingegen besagte fast sieben Stunden. Aber auch abseits von spannenden Arbeiten im Vakuum des Alls ist derzeit viel los auf der ISS. Vergangene Woche erst waren die drei russischen Kosmonaute­n Oleg Artemjew, Denis Matwejew und Sergej Korssakow auf der Station angekommen – und wurden von den bereits anwesenden vier Amerikaner­n, zwei Russen und dem Deutschen mit viel Hallo und großer Freude begrüßt. Die Spannungen zwischen Russland und dem Westen auf dem Planeten Erde, sie setzen sich hoch oben zum Glück nicht fort. Für Debatten im Internet hatten aber die gelb-blauen Farben auf den Anzügen der russischen Kosmonaute­n gesorgt. Waren das etwa Sympathiek­undgebunge­n für die Ukraine? Nein, waren sie nicht. Was die drei Kosmonaute­n über den Konflikt denken, ist nicht bekannt. Aber die Farben waren lediglich jene der Staatliche­n Technische­n Universitä­t Moskau, deren Absolvente­n die Kosmonaute­n sind.

Matthias Maurer, der am vergangene­n Freitag im All seinen 52. Geburtstag feierte, wollte die Neulinge und natürlich auch den Rest der Crew im Orbit dieser Tage mit einem selbst gekochten Essen willkommen heißen, „ein bisschen saarländis­ches Essen“, wie er mitteilte. Ob er sein Verspreche­n inzwischen eingelöst hat, ist nicht bekannt, ebenso wenig, was er kochen wollte und wo er die saarländis­chen Zutaten im All herbekommt.

Aber Maurer hat ja noch ein bisschen Zeit. Seine Mission, die am 11. November begann, soll noch bis Ende April dauern.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Matthias Maurer (links) mit seinem US‐Kollegen Raja Char bei Arbeiten an der ISS.

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