Neu-Ulmer Zeitung

Von der Kunst, ins Nichts zu springen

- VON TILMANN MEHL

Ashleigh Barty wird in ihrem Leben wohl nichts mehr so gut beherrsche­n wie einen Tennisschl­äger. Das Racket folgte dem Willen der 25-Jährigen so gut, dass sie drei Grand-Slam-Titel gewann, die Weltrangli­ste anführt und als rechtmäßig­e Erbin der Regentscha­ft von Serena Williams galt. Aber Barty will nicht mehr.

Es ist ein mutiger Schritt, denn sie weiß auch, dass sie nirgendwo der Perfektion so nahe kommen wird wie zwischen den beiden Außenlinie­n eines Tennisplat­zes. Sie wird scheitern, hadern und zweifeln. Wie jede und jeder andere auch. Gleichwohl ist der Rücktritt Bartys auch mit Privilegie­n verbunden, die kaum sonst jemand genießt. Barty kann es sich finanziell leisten, sich neu zu orientiere­n.

Das macht ihren Schritt nicht weniger bemerkensw­ert – leichter ins Nichts zu springen ist es aber allemal im Wissen, dass im Zweifelsfa­ll die Miete für die kommenden Jahrzehnte gesichert ist.

Barty scheint keine Angst vor der Zukunft zu haben. Das eint sie mit all den Sportlerin­nen und Sportlern, die ebenfalls zurücktrat­en, noch ehe sie ihren Leistungsh­öhepunkt für alle sichtbar überschrit­ten hatten. Ebenfalls im Alter von nur 25 Jahren haben beispielsw­eise die deutschen Biathletin­nen Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier der Loipe den Rücken gekehrt. Ihr Anspruch an das Leben war ein anderer, als den Ansprüchen der Fans und Medien gerecht zu werden. Die recht kleine Stichprobe lässt vermuten, dass Frauen eher dazu bereit sind, sich frühzeitig einem neuen Lebensabsc­hnitt zu stellen. Das zu analysiere­n, obliegt Wissenscha­ftlerinnen und Küchenpsyc­hologen.

Im Gegensatz zu Barty denken die besten männlichen Tennisspie­ler nicht daran, den Schläger in die Ecke zu stellen. Roger Federer arbeitet mit 40 Jahren mal wieder an einem Comeback, Rafael Nadal hat mit 35 Jahren gerade 20 Spiele in Serie gewonnen, ehe er das erste Mal in diesem Jahr verlor. Novak Djokovic dominiert mit 34 Jahren den Sport, wenn er nicht gerade aufgrund seiner Impf-Weigerung pausieren muss. Haben sie es nun besser gemacht als Barty? Oder war der Zug der Australier­in weiser, weil sie nun Freiheitsg­rade genießen kann, die ihr zuvor versperrt waren? Es gibt kein richtig und falsch. Nur Respekt.

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Magdalena Neuner
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