Neu-Ulmer Zeitung

Wir müssen wieder über die Klimakrise reden

- VON SARAH SCHIERACK

Leitartike­l Krieg und Pandemie rücken das Thema an den Rand. Das ist gefährlich. Denn im Kampf gegen den Klimawande­l ist schon zu viel Zeit verloren gegangen.

Im Sommer 2021 waren sich die meisten Politikeri­nnen und Politiker ungewöhnli­ch einig: Das Land braucht mehr Klimaschut­z, und das so schnell wie möglich. Kurz zuvor waren im Ahrtal Bäche und Flüsse über die Ufer getreten, hatten Menschen, Autos und ganze Häuser hinweggeri­ssen. Die Klimakrise war auf einmal sichtbar, mitten in Deutschlan­d. Annalena Baerbock, damals noch Kanzlerkan­didatin, forderte eine bessere Vorbereitu­ng auf Klimakatas­trophen, Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder gar einen „Klimaruck“, der nun durch das Land gehen müsse.

Zehn Monate später jedoch wirkt es, als sei der Klimawande­l nur noch eine Krise unter vielen, weit unten auf der Prioritäte­n-Liste von Regierung und Bevölkerun­g. CSU-Chef Söder hält keine RuckReden mehr, sondern spricht davon, Atomkraftw­erke vorerst wieder in Betrieb zu nehmen. Wirtschaft­sminister Robert Habeck bemüht sich um „eine langfristi­ge Energiepar­tnerschaft“mit Katar. Und die FDP, immerhin Teil einer Regierung mit ambitionie­rtem Klimaprogr­amm, schlägt vor, mit einem Tankrabatt das Autofahren zu subvention­ieren. Dass an diesem Freitag wieder Zehntausen­de auf der ganzen Welt für das Klima auf die Straße gehen, klingt da wie eine Randnotiz.

Natürlich muss sich die Regierung mit aller Kraft um die anderen großen Krisen kümmern. Der Staat muss mit seinem Entlastung­spaket die hohen Energiepre­ise ausgleiche­n, Geflüchtet­e über das Land verteilen und nebenbei über ein Ende dieses Krieges verhandeln. Doch er darf die Krisen dabei nicht gegeneinan­der ausspielen, wichtige Klimaziele nicht für kurzfristi­ge Erleichter­ungen opfern.

Der Klimawande­l verschwind­et nicht, indem man weniger über ihn redet, im Gegenteil. Er ist und bleibt eine der größten Krisen der Menschheit, auch wenn seine Auswirkung­en nicht so plötzlich und unmittelba­r zu sehen sind wie die eines Krieges oder die einer Pandemie. Wie sehr die Klimaverän­derungen auch unser Leben verändern werden, kann jede und jeder im Bericht des Weltklimar­ats nachlesen. Die Kernbotsch­aft: Die Erdoberflä­che erwärmt sich deutlich schneller als angenommen. Werden die Emissionen nicht stark verringert, könnte es schon 2030 im Schnitt 1,5 Grad wärmer auf der Welt sein als im vorindustr­iellen Zeitalter. Die Folgen wären Dürren, Überschwem­mungen oder Wirbelstür­me. Naturgewal­ten, die Häuser einstürzen und Menschen heimatlos werden lassen.

Gewisserma­ßen hatte Markus Söder also recht: Es muss in der Tat ein Klimaruck durch das Land gehen, durch die Regierung, aber auch durch die Bevölkerun­g.

Deutschlan­d muss – wie jetzt von der Regierung beschlosse­n – mehr Energie aus Wind, Sonne und Wasser gewinnen und sich unabhängig von russischem Gas machen. Ein längst überfällig­er Schritt, wie der Krieg in der Ukraine schmerzlic­h zeigt. Alte Häuser müssen noch schneller saniert und etwa alte Öfen ausgetausc­ht werden. Und auch jeder und jede Einzelne wird sich einschränk­en müssen: weniger mit dem Auto fahren, seltener fliegen, die Heizung öfter mal runterscha­lten.

Krisen sind niemals komfortabe­l. Wer eine Krise bekämpfen will, muss ein Stück Bequemlich­keit und ja, auch ein Stück Wohlstand opfern. Die Aufgabe des Staates ist es, dafür zu sorgen, dass diese Opfer nicht jene besonders hart treffen, die ohnehin wenig Geld haben.

Dass es möglich ist, auf eine Krise schnell und mit Nachdruck zu reagieren, haben Pandemie und Ukraine-Krieg gezeigt. Nun muss die Regierung in der Klimakrise mit der gleichen Dringlichk­eit handeln. Aufschiebe­n ist schon lange keine Option mehr.

Der Staat darf wichtige Klimaziele nicht opfern

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