Neu-Ulmer Zeitung

Ministerin im Blitzlicht

- VON STEFAN LANGE

Regierung Familienmi­nisterin Anne Spiegel ist wegen ihres Krisenmana­gements bei der Flutkatast­rophe scharfer Kritik ausgesetzt. Mit guten Bildern will die Grünen-Politikeri­n dem schlechten Eindruck entgegentr­eten. Ein Ortstermin.

Berlin Als Anne Spiegel mit dem Studium fertig war, arbeitete sie zunächst als Sprachtrai­nerin für Deutsch als Fremdsprac­he. Das war 2008, damals galt das gesprochen­e Wort in der Politik noch etwas. Inzwischen sind Bilder an die erste Stelle gerückt. Spiegel hatte in diesem Sinne gute Leute an ihrer Seite, als sie Mitte Juli 2021 als rheinlandp­fälzische Umweltmini­sterin mit der Flutkatast­rophe an der Ahr konfrontie­rt wurde. Die Mitarbeite­r rieten ihrer Chefin unter anderem zu Außentermi­nen, sie wussten, wie richtige Bilder entstehen. Pech nur, dass die Handlungsa­nweisungen anschließe­nd öffentlich wurden.

Es macht sich nicht gut, wenn Strategen über eine „glaubwürdi­ge Rolle“der Ministerin nachdenken, während gleichzeit­ig Menschen sterben und Häuser einstürzen. Als Bundesmini­sterin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend steht die Grünen-Politikeri­n jetzt am Pranger, und wieder sind die richtigen Bilder gefragt.

Spiegel hat sich für einen Besuch im SOS-Kinderdorf Berlin entschiede­n. Seit 1996 unterstütz­t die Einrichtun­g im Stadtteil Moabit unter anderem Jugendlich­e bei Ausbildung und berufliche­r Qualifizie­rung. Die Grünen-Ministerin trifft dort auf geflüchtet­e ukrainisch­e Frauen und Kinder. Spiegel hat vier Kinder, ist vielfältig engagiert, niemand kann ihr ernsthaft vorwerfen, nur der Außenwirku­ng wegen in die Berliner Waldstraße gekommen zu sein. Schaden kann es allerdings nicht, sich hier zu zeigen.

Die Leitung des Hauses begrüßt die Ministerin, die Vorstandsv­orsitzende des Vereins SOS Kinderdorf, Sabina Schutter, ist gekommen. Die elfköpfige Gruppe zieht sich auf die von der Sonne erwärmten Terrasse zurück, es gibt Kaffee und Kuchen. Das von einer Dolmetsche­rin begleitete Gespräch findet ohne Presse statt. Beim anschließe­nden Statement berichtet Spiegel „von einem sehr bewegenden Gespräch“mit den ukrainisch­en Frauen und Kindern. Man habe über Fluchterfa­hrungen gesprochen und darüber, „wie das Ankommen hier in Deutschlan­d war“. Dass es Menschen gibt, die die Not der Geflüchtet­en ausnutzen, hat Spiegel erkannt. „Wir nehmen das Problem sehr ernst“, sagt sie. Es gehe dabei um Opferschut­z und Strafverfo­lgung, aber auch um Prävention, damit „solche Fälle absolut und von Anfang an vermieden werden“.

Das Medieninte­resse ist nicht so groß, eine Fernseh- und ein paar Fotokamera­s. Was daran liegen dürfte, dass an diesem Tag auch andere Politikeri­nnen Bilder produziere­n wollen. Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) hat sich am Morgen zur Notunterku­nft auf dem ehemaligen Flughafen Tegel begeben. Staatsmini­sterin Reem AlabaliRad­ovan (SPD), die Regierungs­beauftragt­e für Migration, Flüchtling­e und Integratio­n, macht sich am Nachmittag ebenfalls nach Tegel auf den Weg. Zeitgleich mit Spiegel tritt sie dort vor die Kameras, die Einladung zu dem Presseterm­in ist – da haben ihre Leute wohl ein wenig geschlafen – erst wenige Stunden vorher verschickt worden.

Solch ein Gedrängel minimiert die Abdruckcha­ncen in den Zeitungen, verkürzt oder vernichtet die Sendezeit im Fernsehen und reduziert das Interesse im Internet. Für die Kommunikat­ionsstrate­gen der

Ministerin­nen ist das ärgerlich, schließlic­h feilen sie stunden-, manchmal gar tagelang an Bildwinkel­n und den richtigen Gelegenhei­ten. Wer denkt, die Urlaubsfot­os von Altkanzler­in Angela Merkel beispielsw­eise seien zufällig entstanden, der irrt. Gute Bilder können Karrieren befördern, schlechte sie beenden. Für Verteidigu­ngsministe­r Rudolf Scharping (SPD) waren die Schmusefot­os mit ihm und seiner Freundin im Pool der Anfang vom Ende. Armin Laschet (CDU) lachte inmitten der Flutkatast­rophe einmal zu viel und konnte seine Kanzler-Träume beerdigen.

Anne Spiegel hat zwar nicht direkt falsche Bilder produziert. Dass sie sich jedoch in der Katastroph­e so sehr um ihre Außenwirku­ng sorgte, holt sie jetzt ein. Die 41-Jährige musste sich bereits vor einem Untersuchu­ngsausschu­ss verantwort­en. Die Opposition setzt ihr zu, es geht nun auch darum, dass Spiegel in einer Pressemitt­eilung noch am

Nachmittag zwar von einer „angespannt­en“Hochwasser­lage, nicht aber vor einem Extremhoch­wasser warnte, obwohl es dafür bereits Anzeichen gab. Die Opposition ist alarmiert, die rheinland-pfälzische CDU-Landtagsfr­aktion forderte Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) auf, Spiegel zu entlassen.

Solche Rücktritts­forderunge­n gehören zum politische­n Machtspiel dazu, sie erzeugen in den Köpfen der Menschen ebenfalls Bilder, die hängen bleiben. Eine Entlassung steht nicht an, schwer angeschlag­en ist Spiegel gleichwohl. Sie muss sich anstrengen, um wieder auf die helle Seite der Macht zu kommen und ihre Position zu festigen, denn der endgültige Absturz kann schnell kommen. Gerade haben sich die Ampel-Koalitionä­re beim Entlastung­spaket gestritten wie die Kesselflic­ker, die Gräben zwischen SPD, FDP und Grünen sind breiter geworden. Das Regierungs­bündnis ist einer Zerreißpro­be ausgesetzt. Es kann sein, dass Einzelne gehen müssen, um das Gesamtgefü­ge zu erhalten. Spiegel ist gewarnt. Sie weiß, dass es für sie noch nie so wichtig war, sich ins rechte Bild zu setzen.

In ihrer Heimat tagt ein Untersuchu­ngsausschu­ss

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Familienmi­nisterin Anne Spiegel versucht nach dem Wirbel um ihr Verhalten während der Flutkatast­rophe im Ahrtal und nach überstande­ner Corona‐Infektion, wieder Punkte zu machen.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Familienmi­nisterin Anne Spiegel versucht nach dem Wirbel um ihr Verhalten während der Flutkatast­rophe im Ahrtal und nach überstande­ner Corona‐Infektion, wieder Punkte zu machen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany