Ministerin im Blitzlicht
Regierung Familienministerin Anne Spiegel ist wegen ihres Krisenmanagements bei der Flutkatastrophe scharfer Kritik ausgesetzt. Mit guten Bildern will die Grünen-Politikerin dem schlechten Eindruck entgegentreten. Ein Ortstermin.
Berlin Als Anne Spiegel mit dem Studium fertig war, arbeitete sie zunächst als Sprachtrainerin für Deutsch als Fremdsprache. Das war 2008, damals galt das gesprochene Wort in der Politik noch etwas. Inzwischen sind Bilder an die erste Stelle gerückt. Spiegel hatte in diesem Sinne gute Leute an ihrer Seite, als sie Mitte Juli 2021 als rheinlandpfälzische Umweltministerin mit der Flutkatastrophe an der Ahr konfrontiert wurde. Die Mitarbeiter rieten ihrer Chefin unter anderem zu Außenterminen, sie wussten, wie richtige Bilder entstehen. Pech nur, dass die Handlungsanweisungen anschließend öffentlich wurden.
Es macht sich nicht gut, wenn Strategen über eine „glaubwürdige Rolle“der Ministerin nachdenken, während gleichzeitig Menschen sterben und Häuser einstürzen. Als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend steht die Grünen-Politikerin jetzt am Pranger, und wieder sind die richtigen Bilder gefragt.
Spiegel hat sich für einen Besuch im SOS-Kinderdorf Berlin entschieden. Seit 1996 unterstützt die Einrichtung im Stadtteil Moabit unter anderem Jugendliche bei Ausbildung und beruflicher Qualifizierung. Die Grünen-Ministerin trifft dort auf geflüchtete ukrainische Frauen und Kinder. Spiegel hat vier Kinder, ist vielfältig engagiert, niemand kann ihr ernsthaft vorwerfen, nur der Außenwirkung wegen in die Berliner Waldstraße gekommen zu sein. Schaden kann es allerdings nicht, sich hier zu zeigen.
Die Leitung des Hauses begrüßt die Ministerin, die Vorstandsvorsitzende des Vereins SOS Kinderdorf, Sabina Schutter, ist gekommen. Die elfköpfige Gruppe zieht sich auf die von der Sonne erwärmten Terrasse zurück, es gibt Kaffee und Kuchen. Das von einer Dolmetscherin begleitete Gespräch findet ohne Presse statt. Beim anschließenden Statement berichtet Spiegel „von einem sehr bewegenden Gespräch“mit den ukrainischen Frauen und Kindern. Man habe über Fluchterfahrungen gesprochen und darüber, „wie das Ankommen hier in Deutschland war“. Dass es Menschen gibt, die die Not der Geflüchteten ausnutzen, hat Spiegel erkannt. „Wir nehmen das Problem sehr ernst“, sagt sie. Es gehe dabei um Opferschutz und Strafverfolgung, aber auch um Prävention, damit „solche Fälle absolut und von Anfang an vermieden werden“.
Das Medieninteresse ist nicht so groß, eine Fernseh- und ein paar Fotokameras. Was daran liegen dürfte, dass an diesem Tag auch andere Politikerinnen Bilder produzieren wollen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich am Morgen zur Notunterkunft auf dem ehemaligen Flughafen Tegel begeben. Staatsministerin Reem AlabaliRadovan (SPD), die Regierungsbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, macht sich am Nachmittag ebenfalls nach Tegel auf den Weg. Zeitgleich mit Spiegel tritt sie dort vor die Kameras, die Einladung zu dem Pressetermin ist – da haben ihre Leute wohl ein wenig geschlafen – erst wenige Stunden vorher verschickt worden.
Solch ein Gedrängel minimiert die Abdruckchancen in den Zeitungen, verkürzt oder vernichtet die Sendezeit im Fernsehen und reduziert das Interesse im Internet. Für die Kommunikationsstrategen der
Ministerinnen ist das ärgerlich, schließlich feilen sie stunden-, manchmal gar tagelang an Bildwinkeln und den richtigen Gelegenheiten. Wer denkt, die Urlaubsfotos von Altkanzlerin Angela Merkel beispielsweise seien zufällig entstanden, der irrt. Gute Bilder können Karrieren befördern, schlechte sie beenden. Für Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) waren die Schmusefotos mit ihm und seiner Freundin im Pool der Anfang vom Ende. Armin Laschet (CDU) lachte inmitten der Flutkatastrophe einmal zu viel und konnte seine Kanzler-Träume beerdigen.
Anne Spiegel hat zwar nicht direkt falsche Bilder produziert. Dass sie sich jedoch in der Katastrophe so sehr um ihre Außenwirkung sorgte, holt sie jetzt ein. Die 41-Jährige musste sich bereits vor einem Untersuchungsausschuss verantworten. Die Opposition setzt ihr zu, es geht nun auch darum, dass Spiegel in einer Pressemitteilung noch am
Nachmittag zwar von einer „angespannten“Hochwasserlage, nicht aber vor einem Extremhochwasser warnte, obwohl es dafür bereits Anzeichen gab. Die Opposition ist alarmiert, die rheinland-pfälzische CDU-Landtagsfraktion forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, Spiegel zu entlassen.
Solche Rücktrittsforderungen gehören zum politischen Machtspiel dazu, sie erzeugen in den Köpfen der Menschen ebenfalls Bilder, die hängen bleiben. Eine Entlassung steht nicht an, schwer angeschlagen ist Spiegel gleichwohl. Sie muss sich anstrengen, um wieder auf die helle Seite der Macht zu kommen und ihre Position zu festigen, denn der endgültige Absturz kann schnell kommen. Gerade haben sich die Ampel-Koalitionäre beim Entlastungspaket gestritten wie die Kesselflicker, die Gräben zwischen SPD, FDP und Grünen sind breiter geworden. Das Regierungsbündnis ist einer Zerreißprobe ausgesetzt. Es kann sein, dass Einzelne gehen müssen, um das Gesamtgefüge zu erhalten. Spiegel ist gewarnt. Sie weiß, dass es für sie noch nie so wichtig war, sich ins rechte Bild zu setzen.
In ihrer Heimat tagt ein Untersuchungsausschuss