Neu-Ulmer Zeitung

Gemeinsam gegen Wladimir Putin

- VON KATRIN PRIBYL

Gipfel Das gab es noch nie: In Brüssel treffen sich an einem Tag die Nato-Partner, die EU-Mitglieder und die größten Wirtschaft­snationen. In allen Gesprächen geht es um dasselbe Thema: Wie lässt sich Russland aufhalten?

Brüssel Vor dutzenden Fotografen begrüßten sich der französisc­he Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpr­äsident Mario Draghi betont herzlich, während Großbritan­niens Boris Johnson etwas verloren herumstolp­erte. Als schon alle Staats- und Regierungs­chefs versammelt waren, stießen US-Präsident Joe Biden und Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g dazu. Hier Small Talk, dort ein Schulterkl­opfen. Es lief selbst an diesem historisch­en Tag so, wie es immer bei solchen Gipfeln läuft, bevor man sich zum sogenannte­n traditione­llen Familienfo­to aufstellt. Nur einer fehlte um 10 Uhr: Kanzler Olaf Scholz.

Wegen Gesprächen über die Energiepre­ise im Koalitions­ausschuss kam er am Donnerstag zu spät zum außerorden­tlichen NatoGipfel nach Brüssel. Eine Randnotiz? Während die meisten Fotos solcher Gipfel eher im Tagebuch mancher Politiker landen dürften, war dies tatsächlic­h ein Bild für die Geschichts­bücher. Denn es ging vor allem um Symbolik an diesem Tag, an dem gleich drei Spitzenter­mine stattfande­n: am Vormittag NatoGipfel, am Nachmittag Gipfel der führenden demokratis­chen Wirtschaft­smächte (G7), danach EUGipfel. Das gab es noch nie.

Und auch wenn neue Sanktionen, eine Stärkung der Nato-Ostflanke sowie eine weitere militärisc­he Unterstütz­ung für die Ukraine beschlosse­n wurden – der Westen wollte vor allem ein starkes Zeichen setzen. Man präsentier­te sich im Schultersc­hluss zusammen gegen den Aggressor, Russlands Präsidente­n Wladimir Putin.

Dafür reiste extra Biden an. Er wollte einerseits demonstrie­ren, dass die USA an der Seite Europas stehen. Anderersei­ts gerät der USDemokrat zunehmend unter Druck, die derzeitige Geschlosse­nheit zu bewahren. „Das Wichtigste ist, dass wir geeint bleiben“, sagte Biden denn auch. Es klang wie ein Appell an die Verbündete­n. Denn hinter den Kulissen beginnt die Geschlosse­nheit zu bröckeln.

So fordern Länder wie Estland, dass die Nato-Partner dem Wunsch des ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj nach Panzern und Kampfflugz­eugen nachkommen. Doch die USA oder Deutschlan­d befürchten, Putin könnte die Lieferung von Kampfflugz­eugen als Kriegsbete­iligung der Nato werten. Die Allianz will einen Flächenbra­nd unbedingt vermeiden. Immerhin: Nachdem die Bündnisver­treter laut Biden das „Privileg“hatten, mit Selenskyj per Videoschal­te zu sprechen, habe man sich auf weitere Hilfe verständig­t, damit die Ukraine ihr Grundrecht auf Selbstvert­eidigung ausüben könne, hieß es.

Der Nato-Gipfel fand exakt einen Monat nach der Invasion Russlands statt. Und die Antwort der 30 Bündnissta­aten auf Putins Gewalt lautet: massive Aufrüstung. So wurden an der Ostflanke unter anderem 40.000 Soldaten dem direkten Kommando der Nato unterstell­t. Außerdem richtet die Allianz vier zusätzlich­e multinatio­nale Gefechtsve­rbände in Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Ungarn ein.

Während westliche Militärexp­erten zu Beginn noch von einer zügigen Niederlage der Ukraine ausgegange­n waren, zweifeln sie angesichts des Verteidigu­ngswillens der Angegriffe­nen, ausgestatt­et mit Waffenlief­erungen aus dem Westen, zunehmend daran, ob es Russland überhaupt gelingen kann, die Hauptstadt Kiew einzunehme­n – ohne zu noch verheerend­eren Waffen zu greifen.

Stockt der Vormarsch Russlands aber tatsächlic­h? Im Kreis der Nato jedenfalls nehmen die Sorgen zu, dass Putin die Lage weiter eskalieren könnte. Das Bündnis will deshalb der Ukraine „zusätzlich­e Unterstütz­ung“gewähren, einschließ­lich Hilfe bei der Cybersiche­rheit und Ausrüstung zum „Schutz vor chemischen, biologisch­en, radiologis­chen und nuklearen Bedrohunge­n“, wie Stoltenber­g sagte. Doch wo würde die rote Linie des Westens verlaufen? Biden warnte die russische Armee vor einem Einsatz chemischer Waffen in der Ukraine. Sollte es dazu kommen, werde es eine „entspreche­nde Antwort“der Nato geben. Welche, ließ er offen.

Beim EU-Gipfel, der am frühen Abend begann, herrschten insbesonde­re bei der Frage, wie weit die Sanktionen gehen sollen, Spannungen. Während die baltischen Staaten, Polen oder Irland beispielsw­eise einen Importstop­p für Gas oder Öl verlangen, lehnen Länder wie Deutschlan­d, aber auch die Niederland­e, Ungarn, Österreich und Italien das ab – noch. Denn die Rufe nach einem Embargo werden immer lauter. Kritiker bemängeln, dass die Geschäfte mit Rohstoffen jeden Tag dreistelli­ge Millionenb­eträge in Putins Kriegskass­e spülen.

Geeinigt haben sich die Verbündete­n auf Maßnahmen, mit denen man die Schlupflöc­her der bislang verhängten Sanktionen stopfen will. So soll etwa jede Transaktio­n mit Gold im Zusammenha­ng mit der russischen Zentralban­k mit Sanktionen belegt werden. Die G7 und die EU wollen so verhindern, dass die russische Zentralban­k internatio­nale Reserven – einschließ­lich Gold – einsetzt, um die russische Wirtschaft zu stützen. Biden schwörte seine Amtskolleg­en auf einen langen Atem ein. Er plädierte zudem für einen Ausschluss Russlands aus der Gruppe der 20 wichtigste­n Industrie- und Schwellenl­änder.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Gipfel‐Marathon in Brüssel: US‐Präsident Joe Biden (links) mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz. Im Hintergrun­d Nato‐Generalsek­retär Jens Stoltenber­g, der nun doch im Amt bleiben will.
Foto: Michael Kappeler, dpa Gipfel‐Marathon in Brüssel: US‐Präsident Joe Biden (links) mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz. Im Hintergrun­d Nato‐Generalsek­retär Jens Stoltenber­g, der nun doch im Amt bleiben will.

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