Neu-Ulmer Zeitung

Deutschlan­ds Image hat mehr als Kratzer

- VON KATRIN PRIBYL

Es mag für manche Beobachter nur eine Randnotiz gewesen sein, dass Olaf Scholz zu spät zum Nato-Gipfel erschien und deshalb auf dem Familienfo­to der 30 Bündnispar­tner fehlte. Die Episode aber fasst ein Problem der derzeitige­n Bundesregi­erung zusammen: Es handelt von Prioritäte­n und betrifft insbesonde­re die Außenwahrn­ehmung. Beim ersten Spitzentre­ffen des Tages ging es darum, als Westen demonstrat­iv zusammenzu­stehen. Man mag die Symbolpoli­tik als unwichtig kritisiere­n, während Menschen in der Ukraine sterben. Doch sie spielt neben Aufrüstung und Sanktionen gegen Russland dennoch eine bedeutende Rolle gegen Wladimir Putin, dessen Ziel es ist, die Verbündete­n auseinande­rzutreiben. Der Westen also wollte ein Zeichen der Stärke aussenden im Kampf um Frieden und Freiheit mitten in Europa – und der Kanzler kommt zu spät wegen Koalitions­streiterei­en um Tankpreise?

Die Botschaft ist miserabel, passt aber ins Bild vieler Kritiker: Wahlweise als heuchleris­ch, egoistisch oder arrogant wird Berlin von zahlreiche­n Menschen derzeit wahrgenomm­en angesichts der zögerliche­n Reaktion auf den Angriffskr­ieg Russlands. Keine Rede davon, dass die größte Volkswirts­chaft Europas eine Führungsro­lle in dieser

Krise übernimmt. Vielmehr schaut die Welt zu, wie Berlin seit Wochen nur reagiert statt zu agieren. Und am Ende angesichts des

Drucks der internatio­nalen Gemeinscha­ft meist doch keine andere

Wahl hat als sich zu fügen, wie geschehen im Falle von Waffenlief­erungen oder bei Nord Stream 2. Der Imageschad­en ist da längst angerichte­t. Hinter den Kulissen wüten Vertreter anderer europäisch­en Staaten zurecht. So viel zur Zeitenwend­e, die man in Deutschlan­d gerade bejubelt. Derzeit scheint es eher so, als ob sich die großen Worte der Solidaritä­t in Richtung Ukraine allzu schnell im Nebel der Realpoliti­k auflösen, wenn die Folgen zu teuer werden.

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