Neu-Ulmer Zeitung

Keine Dreadlocks für weiße Frauen? Das ist Haarspalte­rei

- VON MICHAEL STIFTER

Debatte Bei den Haaren hört für Fridays for Future die Toleranz auf. Die Klimaaktiv­isten lassen eine Sängerin nicht auftreten – weil sie die falsche Frisur hat. Was für eine Anmaßung.

Es gehört zu den wunderlich­en Wahrheiten des Lebens, dass gerade jene, die sich für besonders tolerant und liberal halten, bisweilen mit erstaunlic­her Härte darüber bestimmen, was geht und was gar nicht geht. Dreadlocks zum Beispiel. Diese Verfilzung des Haupthaare­s gilt in weiten Teilen der Bevölkerun­g, nicht nur beim konservati­v verfilzten Publikum also, als Frisur gewordene Auflehnung gegen das akkurat gescheitel­te Establishm­ent.

Dreadlocks, oder auch Rastalocke­n, haben eine lange Geschichte – in verschiede­nen Kulturen auf verschiede­nen Kontinente­n. Für manche sind sie ein Sinnbild des Kampfes gegen Unterdrück­ung und Sklaverei, für andere eher ein Ausdruck von Stolz. Heute drücken sie im Empfinden vieler junger Menschen vor allem ein entspannte­s, ein liberales Lebensgefü­hl aus. In Bayern würde man sagen, leben und leben lassen. Doch für die Klima-Aktivisten von Fridays for Future hören bei den Haaren Toleranz und Liberalitä­t auf.

Sie haben die Folk-Musikerin Ronja Maltzahn von einer Demonstrat­ion in Hannover wieder ausgeladen. Und zwar weil sie Dreadlocks trägt. Das wäre kein Problem, käme die 28-Jährige aus einem Kulturkrei­s, in der diese Frisur Tradition hat. Allerdings ist sie weiß und kommt aus Bad Pyrmont. Und für jemanden aus der niedersäch­sischen Provinz gehen Dreadlocks nun mal gar nicht. Sagt Fridays for Future und stellt der Sängerin anheim, die Haare abzuschnei­den, sollte sie doch noch auftreten wollen. Andernfall­s muss sie eben zu Hause bleiben.

Dazu muss man wissen: Die Sache hat einen durchaus ernsthafte­n Hintergrun­d. Es geht darum, ob wir Symbole anderer Kulturen einfach so kopieren, uns zu eigen machen dürfen. Die entscheide­nde Frage lautet: Ist das respektlos oder sogar eine Verhöhnung – erst recht dann, wenn diese Symbole für einen verzweifel­ten Kampf gegen Unterdrück­ung stehen, den wir nie zu kämpfen hatten? Nur: Diese These ist schon an sich fragwürdig für eine Multi-Kulti-Bewegung, die propagiert, dass es keine Rolle spielen darf, woher man kommt, wie man aussieht, woran man glaubt, ob man reich ist oder arm, schwarz oder weiß. Im speziellen Fall von Ronja

Maltzahn wirkt die Unterstell­ung der „kulturelle­n Aneignung“noch absurder. Sie ist eine einzige Anmaßung. Die Musikerin, die mit der Absage im Übrigen sehr souverän umgeht, macht sich mit ihrer Frisur über niemanden lustig, sie beleidigt niemanden. Genauso wenig übrigens wie Kinder, die Cowboy und Indianer spielen. Im Gegenteil.

Sie wollte bei der Veranstalt­ung ein Zeichen für Frieden setzen – und gegen Diskrimini­erung. Nach eigener Aussage geht es der jungen Frau darum, „kulturelle­r Vielfalt eine Bühne zu geben, sie wertzuschä­tzen und zu zelebriere­n“. Darf sie aber nicht. Stattdesse­n wird sie auf Äußerlichk­eiten reduziert. Weil ihre Haare (!) als Diskrimini­erung empfunden werden könnten, wird sie selbst diskrimini­ert. Was für eine Haarspalte­rei.

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Foto: Zuzanna Badziong, dpa Ronja Maltzahn wollte ein Zeichen gegen Diskrimini­erung setzen – darf sie aber nicht.

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