Mysteriöse Millionen
Prozess Nach dem Tod eines Abts tauchen plötzlich vier Millionen Euro auf und bringen Unruhe ins Kloster Neresheim. Neun Jahre später steht ein 89-jähriger Anwalt deswegen vor Gericht.
Krefeld/Neresheim Ein toter Abt, geheime Konten mit einem mysteriösen Millionenvermögen, jahrelange Geldwäsche-Ermittlungen: Im Kriminalfall um das „Sondervermögen Weinberg“des Benediktinerklosters im baden-württembergischen Neresheim beginnt an diesem Freitag der voraussichtlich letzte Akt. Hunderte Kilometer entfernt von dem barocken Prachtkloster nahe der bayerischen Grenze muss am Amtsgericht Krefeld (Nordrhein-Westfalen) ein betagter Anwalt auf der Anklagebank Platz nehmen – wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in sechsstelliger Höhe. Gegen den inzwischen 89 Jahre alten Mann hatte die Staatsanwaltschaft viele Jahre ermittelt. Lange stand das altehrwürdige Kloster seinetwegen sogar im Verdacht, eine geheime Geldwaschanlage zu sein.
Was nach reichlich Stoff für einen Krimi klingt, kam schon 2013 ins Rollen: Als im Kloster Neresheim der beliebte und geschätzte Abt Norbert plötzlich stirbt, stoßen die Mönche im Schlafzimmer ihres verblichenen Vorstehers auf Dokumente von bislang unbekannten Konten des Klosters mit einem Vermögen von mehr als vier Millionen Euro. Die Benediktiner sind erschrocken: Das Geld ist weder in der Buchführung des Klosters berücksichtigt, noch wusste die Klosterverwaltung davon. Dann erhebt plötzlich der nun angeklagte Anwalt aus Krefeld Anspruch auf einen Teil der Millionen – und gerät ins Visier der Ermittler.
Der Anwalt behauptet später, sein Steuervermeidungsmodell „Weinberg“sei legal und habe anonyme Geldgeber aus dem gesamten
Bundesgebiet. Er sei der Treuhänder einer wohltätigen, wenn auch nicht eingetragenen Stiftung „Weinberg“. Weil die Benediktiner nicht ausschließen können, dass es sich um schmutziges Geld handelt, das auf verschlungenem Weg bei ihnen geparkt wurde, rühren sie es jahrelang nicht an – bis ihnen der Bundesgerichtshof die Millionen nach langem Rechtsstreit 2019 schließlich zuspricht.
Weitere drei Jahre später muss nun der inzwischen 89-jährige Anwalt, der jahrelang vergeblich um die Millionen gekämpft hatte, vor Gericht. Er soll, da ist sich die Staatsanwaltschaft inzwischen sicher, mit Hilfe des „Weinbergs“Erbschaftssteuer und Kapitalertragssteuer in Höhe von insgesamt gut einer halben Million Euro hinterzogen haben.
Den hochgeachteten Abt könnte der Anwalt schon aus gemeinsamen Krefelder Schulzeiten gekannt haben. Der Klosterchef und Bundesverdienstkreuzträger soll seinem alten Freund zu dem steuerfreien Konto unter dem Mantel des gemeinnützigen Fördervereins des Klosters verholfen haben. Über das „Sondervermögen Weinberg“verfügen durften nur der Anwalt und der damalige Abt. Nach dessen Tod ließ der designierte Nachfolger auf dem Chefposten des Klosters das Konto aber einfrieren und die Kontovollmacht für den jetzigen Angeklagten löschen. Inzwischen gehen die Ermittler davon aus, dass es sich einzig um das Geld des Anwalts gehandelt hat, das dieser von seiner Frau geerbt haben dürfte. Aus ihrer Sicht war die Steuervermeidungskonstruktion unter dem Mantel des gemeinnützigen Klostervereins keineswegs legal. Die Stiftungsversion mit den anonymen Spendern hatten dem Anwalt die bisher mit dem Fall betrauten Gerichte nicht abgenommen. Aber warum muss der Anwalt sich wegen Steuerhinterziehung verantworten, wo ihm doch die Millionen gar nicht gehören, wie der Bundesgerichtshof entschieden hat?
Sein Mandant habe kein Interesse daran, mit der Presse zu sprechen, lässt sein Verteidiger kurz vor Prozessbeginn wissen. (dpa)