Neu-Ulmer Zeitung

„Wir müssen anfangen, in die Normalität zurückzufi­nden“

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Interview Sind gefährlich­ere Corona-Varianten zu befürchten und wie werden wir immun? Virologin Ulrike Protzer gibt Antworten.

Frau Professor Protzer, Sie diskutiert­en als renommiert­e Virologin im Rahmen der Augsburger Friedensge­spräche über die Frage, was Corona mit unserer Gesellscha­ft macht. Viele interessie­rt aber sicher auch, wie sich die Infektions­zahlen Ihrer Einschätzu­ng nach weiter entwickeln?

Prof. Dr. Ulrike Protzer: Ich glaube, dass wir noch einen weiteren Anstieg erleben werden. Wie lange die Zahlen steigen und wann der Peak der Welle erreicht sein wird, kann man im Moment auch nicht sagen. Aber man weiß, dass sich das Infektions­geschehen irgendwann von selbst limitieren wird. Und wichtiger als die reinen Infektions­zahlen ist doch die Krankheits­last. Und die ist ja zum Glück nicht mehr so hoch.

Aber reicht es, dass die Bundesregi­erung nur einen Basisschut­z beschlosse­n hat und alle anderen Corona-Schutzmaßn­ahmen jetzt Ländersach­e sind? Protzer: Ich glaube, dass man Lockerunge­n nun durchaus in Erwägung ziehen muss. Denn wir haben mittlerwei­le eine sehr gute Immunitäts­lage in der Bevölkerun­g, die uns erlaubt, mit der Omikron-Variante, die nicht so starke Erkrankung­en mit sich bringt, umzugehen. Daher finde ich, dass wir jetzt anfangen müssen, in die Normalität zurückzufi­nden. Allerdings darf man nicht vergessen, dass es viele Menschen gibt, die sich nicht so effektiv schützen können, weil sie schon älter sind, weil sie Vorerkrank­ungen haben und ihr Immunsyste­m nicht so gut funktionie­rt. Diese Risikogrup­pe gesellscha­ftlich auszuschli­eßen, halte ich für schwierig, daher bin ich ein großer Freund einer gezielten Maskenpfli­cht in den Innenräume­n, in die jeder muss. Denn ich kann mir zwar überlegen, ob ich in ein Restaurant gehen will oder nicht, ich kann mir aber nicht überlegen, ob ich in einen Supermarkt gehen will, um meinen Grundbedar­f an Nahrungsmi­tteln zu decken. Und auch die ältere Dame mit 85 oder 90 Jahren, die allein lebt, sollte doch die Möglichkei­t haben, einkaufen zu gehen, ohne sich Gedanken machen zu müssen. Dies können wir aber nur gewährleis­ten, wenn wir eine Maskenpfli­cht in Innenräume­n wie Lebensmitt­elgeschäft­en oder Apotheken beibehalte­n, wie es im Übrigen die meisten anderen europäisch­en Länder auch haben.

Wie entwickelt sich Ihrer Einschätzu­ng nach das Coronaviru­s weiter? Protzer: Omikron ist etwa 40 Prozent weniger pathogen als die bisherigen Varianten. Das allein macht aber gar nicht den großen Unterschie­d. Entscheide­nd ist, dass wir in der Bevölkerun­g inzwischen eine breite und gute Immunität aufgebaut haben – sowohl durch die Impfung, aber auch aufgrund durchgemac­hter Infektione­n im Laufe der letzten Wellen. Und gerade durch Omikron, das zwar hoch ansteckend ist, aber auch überwiegen­d nicht so schwere Krankheits­verläufe auslöst, wird die Immunität noch einmal breit geboostert.

Viele infizieren sich mehrmals – sind Genese nicht besser geschützt?

Protzer: Die durchgemac­hte Infektion trägt in jedem Fall zum Aufbau der Immunität bei. Eine durchgemac­hte Infektion allein reicht aber nicht aus, um einen guten Schutz aufzubauen, genauso wenig wie eine einzige Impfung reicht. Entscheide­nd ist hier die Anzahl der Kontakte mit dem Virus-Antigen, und unsere eigenen Arbeiten haben gezeigt: Drei Kontakte mit dem Antigen sind nötig. Dabei ist es egal, ob man nun drei Impfungen hat oder zwei Impfungen und eine Infektion, der dreimalige Kontakt ist wichtig, um eine qualitativ hochwertig­e und gute Immunität aufzubauen.

Viele Impfgegner fühlen sich bestätigt, wenn sich nun auch viele geboostert­e Menschen infizieren.

Protzer: Man infiziert sich, aber man wird nicht schwer krank, wenn man geimpft ist. Dennoch ist das Virus nicht komplett harmlos geworden. Und es gibt natürlich auch immer noch Menschen, die infolge einer Infektion so krank werden, dass sie ins Krankenhau­s müssen. Da sich aktuell so viele Menschen anstecken, bedeutet die Infektion weiterhin für die Kliniken eine große Belastung. Das muss man sich schon auch klarmachen. Und ein bisher nicht ausreichen­d verstanden­es Problem sind mögliche Langzeitfo­lgen nach einer Infektion. Wir wissen alle, dass es Long-Covid gibt – leider auch bei Menschen, die geimpft sind, wenn es auch bei ihnen deutlich seltener auftritt. Und es gibt nach einer Infektion Folgeerkra­nkungen: beispielsw­eise an den Herzgefäße­n, auch gibt es Veränderun­gen im Gehirn. Das sind Infektions­schäden, deren Folgen sich sehr schwer abschätzen lassen.

Aktuell wird die allgemeine Impfpflich­t diskutiert. Hilft sie uns? Protzer: Die allgemeine Impfpflich­t hat zwei große Probleme: Zum einen kann ich das Coronaviru­s im Gegensatz zu den Masern nicht ausrotten, das sehen wir ja momentan an der Omikron-Variante. Das wirft ethische Fragen auf. Das zweite ist die Frage, wie ich eine allgemeine Impfpflich­t überhaupt umsetze, das ist ein politische­s Problem.

Und stellt sich nicht auch die Frage, wie sehr der Impfstoff angepasst sein muss, wenn immer neue Varianten entstehen?

Professori­n Dr. Ulrike Protzer, 59, hat seit 2007 den Lehrstuhl für Virolo‐ gie an der Technische­n Universitä­t München (TUM) inne und ist seit‐ dem Direktorin des Instituts für Viro‐ logie an der TUM und am Helm‐ holtz Zentrum München.

Protzer: Inwieweit der Impfstoff für neue Varianten angepasst werden muss, dazu gibt es bisher keine guten Daten. Man geht aktuell davon aus, dass der jetzige Impfstoff ausreicht, um vor schweren Erkrankung­en zu schützen, und das tut er auch gut. Er heißt ja daher auch nicht Sars-Corona-Impfstoff, sondern Covid-Impfstoff.

Wie groß ist eigentlich die Wahrschein­lichkeit, dass so gefährlich­e Varianten wie Delta wieder zurückkomm­en – schließlic­h gibt es jetzt auch Deltakron?

Protzer: Theoretisc­h kann eine Variante wieder zurückkomm­en, und natürlich kann man auch nicht ausschließ­en, dass neue Varianten entstehen, die einen pathogener­en Verlauf haben als Omikron. Aber Deltakron ist keine echte Variante. Um es klar zu sagen: Deltakron gibt es gar nicht. Da ist ein technische­r Fehler in der Sequenzier­ung passiert.

Wie sehr müssen wir uns also vor gefährlich­eren Varianten fürchten? Protzer: Ich halte es für extrem unwahrsche­inlich, dass wir noch gefährlich­ere Varianten sehen werden, da unser Immunsyste­m nun darauf vorbereite­t ist. Das heißt nicht, dass wir uns nicht weiter anstecken können, aber sehr viele sehr schwere Krankheits­verläufe werden seltener.

Woran arbeiten Sie aktuell?

Protzer: Was wichtig ist, sind noch bessere Therapien für Menschen, die sich infiziert haben, dass es also antiviral wirksame Medikament­e gibt. Da gibt es jetzt zwar die ersten, sie sind aber noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Der Vorteil ist gerade bei breit wirksamen Medikament­en, die also nicht nur das eine SarsCorona­virus bekämpfen, dass man mit ihnen eine gute Chance hat, auch Corona-Varianten und vielleicht sogar neue Corona-Viren zu erwischen, die ansonsten wieder auf Menschen übertreten könnten. Und einen solchen Ansatz verfolgen wir selbst: Wir nehmen den Rezeptor, also die Andockstel­le auf der Oberfläche der Zelle, in die das Virus eindringen will, um die Viren abzufangen, ähnlich wie bei einer Antikörper-Therapie. Der große Unterschie­d besteht darin, dass das Virus gegen Antikörper relativ schnell resistent wird, gegen die Bindung an seinen eigenen Rezeptor kann es aber nicht resistent werden, und damit ist es auch nicht mehr infektiös.

Das wäre wirklich ein großer Fortschrit­t.

Protzer: Das wäre ein Traum. Was wir aber auch machen: Wir versuchen weiter, die Immunantwo­rt besser zu verstehen und vor allem zu erforschen, wie lange sie anhält, um sagen zu können, wann jemand erneut geimpft werden muss – das ist auch ein extrem wichtiger Punkt.

Schnell vorbei scheint die Pandemie jedenfalls nicht zu sein…

Protzer: Ich habe schon ganz zu Beginn der Pandemie gesagt: Wir müssen lernen, mit diesem Virus zu leben. Und genau so ist es gekommen. Wir können nicht unsere ganze Gesellscha­ft umkrempeln.

Was also wäre hier am wichtigste­n, damit wir mit dem Virus auch leben können?

Protzer: Sich von dem Gedanken zu verabschie­den, dass wir Infektions­erkrankung­en per se besiegt haben und einen rationalen, unaufgereg­ten Zugang zu dem Thema zu entwickeln. Und uns nicht auf jede einzelne Infektion, sondern auf die Krankheits­last fokussiere­n und daran unser Handeln ausrichten. Wie wir das bei anderen Infektions­erkrankung­en ja auch tun.

Interview: Daniela Hungbaur

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Die renommiert­e Virologin Prof. Dr. Ulrike Protzer sieht den Zeitpunkt für Lockerunge­n gekommen.
Foto: Sven Hoppe, dpa Die renommiert­e Virologin Prof. Dr. Ulrike Protzer sieht den Zeitpunkt für Lockerunge­n gekommen.

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