Neu-Ulmer Zeitung

Der Sinn kommt oft erst auf der zweiten Ebene

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Ausstellun­g Poppig, witzig, doppelbödi­g: Das Kunstmuseu­m Stuttgart widmet Tobias Rehberger eine üppige Schau.

Stuttgart Ein Stuhl mit nur drei Beinen ist kaputt, zumindest ist er sinnlos. Oder nicht? Tobias Rehberger sieht das anders. „Der Stuhl kann auch Kunstwerk sein oder ein Teil des Ganzen“, sagt der Künstler, während er durch die bislang umfangreic­hste Ausstellun­g in seiner Stuttgarte­r Heimatregi­on schlendert. Ihm geht es darum, Dinge infrage zu stellen. Das Kunstmuseu­m gibt dem gebürtigen Esslinger in den kommenden Monaten viel Raum, um seine Kunstidee zu präsentier­en: Auf drei Etagen des gläsernen Kubus geht es von diesem Freitag an so bunt, so poppig, so auffällig zu wie lange nicht mehr.

Und doch ist es eine Kunst mit Hintergeda­nken, die Rehberger hier zeigen will. Material, Farben, die Größe oder die Interaktiv­ität – Rehberger kennt für seine Werke keine Grenzen. Mal kommt es als Kunst daher, mal denkt man eher an Design, dann wieder an Architektu­r, flackernde Neonleucht­reklamen und in leuchtende­n Farben lackierte Skulpturen sind dabei, Installati­onen mit optischen Täuschunge­n, Kunst am Bau und eine ganze Sammlung von Keramiken aus dem 3D-Drucker: „Kunst kann für mich alle möglichen interessan­ten Formen annehmen“, sagte der internatio­nal agierende Künstler.

Raum für Raum eine neue Überraschu­ng, wenngleich nicht alle sich auf Anhieb erklären und auch Beschriftu­ngen fehlen: So warten zum Beispiel 46 Blumenvase­n hinter Glas auf die Kunstfreun­de. Vasen, mit denen Rehberger seit 1995 Freunde und Bekannte aus ihrer und aus seiner Sicht darzustell­en versucht. Es gibt kleine und große, eckige und bauchige, schlichte und extravagan­te Formen, sie können bunt, monochrom oder durchsicht­ig sein. „Ich habe versucht, den Charakter des anderen zu erfassen und darzustell­en, was jemand meines Erachtens in der Gesamtheit seiner Person ist“, erklärt Rehberger.

Nebenan ist der Himmel voller Lampen. Wie Tropfen hängen die rund 200 Werke einer Glasbläser­ei aus dem Harz von der Decke. Der Clou: Es ist Kunst zum Mitmachen, zum Verändern. Denn über Lichtschal­ter können einzelne Lampengrup­pen angesteuer­t und zum Leuchten gebracht werden. „Da habe ich als Künstler nie einen Einfluss drauf, wie die Arbeit letztlich rüberkommt. Die Installati­on wird sozusagen fremdgeste­uert.“

Gezeigt werden die Kunstfanta­sien des Frankfurte­r Städel-Professors auch in einer Raum-LabyrinthS­truktur oder mit wechselnde­n Wandfarben, in Reih und Glied oder in einem Raum, dessen schwarz-gepunktete Tapete Camouflage- und Blendeffek­te erzeugt und so die Raumgrenze­n aufzulösen scheint.

„Was erscheint wie eine abstrakte, amorphe, oft lebensfroh­e und poppige Skulptur, hat immer eine zweite Ebene, auf der der Sinn hineinkomm­t“, sagt Museumsdir­ektorin Ulrike Groos. Es gehe Rehberger um das vermeintli­ch Unfertige, Unperfekte, das von Hand Geschaffen­e.

So sind auch seine Schattensk­ulpturen zu verstehen: Bestrahlt von einem Scheinwerf­er, projiziere­n die scheinbar abstrakten Objekte Buchstaben an die Wand. Aus der unsteten Form werden Wortgebild­e wie „Cruise“, „Sex“oder „Never“. Ein Teil der Ausstellun­g im „Kunstmuseu­m des Jahres 2021“ist sogar käuflich: Denn Rehberger hat in den vergangene­n Monaten mit seinem Frankfurte­r Studio Skulpturen im 3D-Druckverfa­hren realisiert, die nicht nur betrachtet, sondern teilweise auch als Sitzmöbel und Tische genutzt werden können. Eine eigens für die Schau entworfene 3D-Keramik-Edition mit Becher, Schüssel und Teller wird den Besuchern angeboten. Martin Oversohl, dpa

Ausstellun­g Bis 28. August; geöffnet Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, Fr. bis 21 Uhr.

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Foto: Marijam Murat, dpa Inmitten eines seiner Werke und ange‐ lehnt an eine seiner Skulpturen: Tobias Rehberger in der ihm gewidmeten Schau in Stuttgart.

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