Neu-Ulmer Zeitung

„Wie soll Deutschlan­d erklären, dass nicht alles getan wird?“

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Interview Norbert Röttgen fordert einen Stopp der Energie-Importe aus Russland und geht davon aus, dass die Regierung bald umfallen wird.

Herr Röttgen, wie lange kann Deutschlan­d seine Haltung noch gegen den Druck anderer Länder durchhalte­n, weiter Gas, Öl und Kohle aus Russland zu beziehen?

Norbert Röttgen: Die deutsche Position, weiter Gas und Öl aus Russland zu kaufen, wird keinen Bestand haben. Das steht aus meiner Sicht fest. Die Dimension des Schreckens, der Vernichtun­g und Zerstörung wird immer größer werden. Es wird mehr und mehr Tote und Flüchtende geben. Wie soll Deutschlan­d dann noch erklären, dass nicht alles getan wird, um das zu beenden? Irgendwann wird die Bundesregi­erung umfallen. Und dann wird man zu Recht die Frage stellen, warum sie das nicht schon Wochen vorher getan hat, um den Krieg schneller zu beenden.

Sie kämpfen dafür, die Sanktionen zu verschärfe­n. Ist Putin überhaupt für sachliche Abwägungen von Nutzen und Risiko empfänglic­h?

Röttgen: Für ihn ist das nur noch mittelbar eine Kategorie. Aber wenn sich die wirtschaft­liche Lage in Russland unter dem Druck der Sanktionen weiter verschlech­tert, wenn die Bevölkerun­g spürt, dass sie für diesen Wahnsinn bezahlen muss, dann werden die Menschen in Russland irgendwann sagen: Es ist jetzt genug, Wladimir Putin. Das ist zumindest die Hoffnung, die wir haben.

Was halten Sie davon, dass wir nun eben mit anderen Autokratie­n wie Katar Energieges­chäfte machen, statt mit Russland?

Röttgen: Wir können uns nicht aussuchen, wo die Lagerstätt­en für Gas oder Öl sind, das wir nun mal brauchen, solange unsere Wirtschaft noch davon abhängig ist. Man darf nur nicht den Fehler machen, sich in die Abhängigke­it von einem einzigen Autokraten zu begeben. Das war der große strategisc­he Fehler, den Deutschlan­d bei Russland gemacht hat. Wir müssen nun auf mehrere Energielie­feranten setzen. Dann ist eine solche Politik übergangsw­eise auch richtig und vertretbar. Begleitet werden muss das natürlich von dem massiv beschleuni­gten Ausbau erneuerbar­er Energien und dem Ausstieg aus der fossilen Abhängigke­it.

Putin scheint sich immer stärker zu isolieren. Selbst enge Vertraute wie Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu sieht man nicht mehr an seiner Seite. Lebt der Kreml-Chef in einer eigenen Welt?

Röttgen: Das ist von außen schwer zu beurteilen. Aber ganz sicher hat sich Putin in der Pandemie noch weiter isoliert und ist so abgeschott­et wie noch nie.

Die Kämpfe konzentrie­ren sich aktuell wieder stärker auf den Südosten. Besinnt sich Putin auf das ursprüngli­che Ziel, eine Verbindung zur Krim und zum Schwarzen Meer zu erobern? Röttgen: Es ist aus meiner Sicht leider nicht realistisc­h, dass sich dieser Krieg nun tatsächlic­h auf den Süden und Osten des Landes beschränke­n wird. Die Kämpfe gehen ja auch in anderen Teilen der Ukraine weiter.

Kriege sind entweder sehr schnell vorbei oder sie können Jahre dauern. Was erwarten Sie in der Ukraine und für die weltpoliti­sche Lage?

Röttgen: Dieser Krieg wird sicher noch Monate dauern. Wie es militärisc­h ausgeht, ist noch offen, aber politisch hat Wladimir Putin schon jetzt umfassend verloren. Wer glaubt ihm noch mal ein einziges Wort? Wie soll mit Putin noch jemals eine verlässlic­he Vereinbaru­ng getroffen werden? Wer würde ihm noch abnehmen, dass er sein Ziel aufgibt, die Ukraine zu erobern und imperiale Macht anzustrebe­n? Den Frieden hat Putin bereits verloren.

Wie groß ist die Gefahr, dass Putin, wenn er sich in die Enge gedrängt fühlt, diesen Krieg weiter eskaliert und zu Massenvern­ichtungswa­ffen greift? Röttgen: Ich glaube, noch ist das Teil seiner Einschücht­erungstakt­ik. Was er tut, wenn er militärisc­h und wirtschaft­lich noch stärker unter Druck gerät, ist aber nicht mehr berechenba­r. Das muss man auch ehrlich sagen. Der Westen und die Nato müssen daraus schließen, dass wir uns auf alle Möglichkei­ten vorbereite­n.

Interview: Michael Stifter

● Norbert Röttgen ist Außenpoli‐ tik‐Experte der CDU und war frü‐ her Umweltmini­ster. Er versuchte vergeblich, Parteichef zu werden.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Norbert Röttgen kämpft für schärfere Sanktionen.

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