„Reichweiten bis 700 Kilometer“
Interview Audi-Technikvorstand Oliver Hoffmann erklärt, wie die Batterie im E-Auto von morgen aussieht und wann die autonomen Fahrzeuge unseren Alltag erobern werden. Zudem kündigt er eine Überraschung an.
Herr Hoffmann, Sie daddeln gerne auf der Playstation mit dem Nachwuchs. Welches Spiel entspannt einen AudiTechnikvorstand denn nach einem langen, harten Tag im Konzern?
Oliver Hoffmann: Tatsächlich ist das unter der Woche schwierig, weil meine Arbeitstage nicht mit den Ruhezeiten meiner Kinder kompatibel sind. Das geht also eher am Wochenende. Dann aber gibt die Playstation gerade tatsächlich ein Formel1-Spiel her. Da fahre ich gerne mit.
Und da geht es dann mit klassischen Verbrenner-Boliden rund oder schon auf E-Modellen?
Hoffmann: Das Spiel ist F1 2021, also noch mit Benzinmotoren. Insofern (lacht) können Sie da noch nichts draus ablesen, wie wir uns im Motorsport bei Audi weiterentwickeln.
Sie haben den Zehnzylinder-Hochleistungsmotor für den Audi R8 entwickelt. Wie Sie mal sagten, war das der „emotionalste Motor bei Audi überhaupt“. 2026 ist bei Audi nun für immer Schluss mit den Verbrennern. Fehlt einem wie Ihnen dann nicht irgendwann etwas? Benzin hat man doch lebenslang im Blut?
Hoffmann: Was ich lebenslang bleiben werde, ist Fan von emotionalen Fahrzeugen. Wir haben mit dem e-tron GT, speziell als RS-Variante, gezeigt, wie emotional auch Stromer sein können. Ich schätze die Vorzüge der E-Mobilität. Ich bin dankbar, dass ich den V10 entwickeln durfte. Das war als junger Ingenieur ein extrem spannendes Projekt. Aber genauso freue ich mich jetzt, Audi in die digitale und elektrische Zukunft führen zu dürfen. Alles zu seiner Zeit. Jetzt haben wir neue Herausforderungen vor uns. Wir sind erst am Anfang der Elektromobilität und ich erwarte noch wahnsinnige Entwicklungssprünge.
Welche großen Entwicklungssprünge in der E-Mobilität erwarten Sie denn? Was bereiten Sie vor?
Hoffmann: Wir werden vor allem die Energiedichte in der Batterie nochmals signifikant steigern. Im nächsten Jahr zeigen wir zudem unsere ersten Fahrzeuge auf Basis der PPE: unsere neue Elektro-Plattform, mit der wir eine Reichweite von bis zu 700 Kilometern realisieren. Ich denke, dass wir damit eine sehr attraktive Reichweite erzielen, die vor allem unseren Kund_innen, die viel auf der Langstrecke unterwegs sind, schätzen werden. Aber meine Einschätzung ist auch: Bei der Reichweite wird es irgendwann eine Sättigung geben. Denn einerseits wird das Ladenetz kontinuierlich ausgebaut und andererseits gehen zur gleichen Zeit die Ladezeiten deutlich zurück. So streben wir zum Beispiel mit unseren PPE-Modellen (Premium-Modelle, Anm. d. Red.) an, 300 Kilometer Reichweite in nur circa zehn Minuten nachzuladen. Somit sind große und schwere Batterien aus unserer Sicht nicht zwingend notwendig. Die Elektrifizierung ist für mich aber nur ein Aspekt. Für mich ist jetzt das Jahrzehnt, wo es um Digitalisierung und automatisiertes Fahren geht. Das ist das absolut Entscheidende.
Stichwort autonomes Fahren: Wie wird denn 2030 eine Fahrt von Ingolstadt nach München in solch einem Fahrzeug aussehen?
Hoffmann: Das ist am Ende Ihnen überlassen. Sie können natürlich selbst ins Steuer greifen und die fahrdynamische Qualität Ihres Audi genießen. Wenn Sie aber sagen, ich mache lieber einen Anruf bei meiner Familie oder schaue mir einen Film an, auch recht. Wahrscheinlich weiß das Fahrzeug schon, bevor sie losfahren, wohin sie wollen. Sie begeben sich dann in eine komfortable Sitzposition, in der Sie zum Beispiel entspannt einen Film schauen können – und fahren los. Für dieses Szenario benötigt das Fahrzeug eine gut ausgebaute Autobahn mit Zugang zu einer spezifischen Infrastruktur. Diese Vehicle-to-infrastructureVerbindung wird mit steigendem Automatisierungsgrad wichtiger.
Ist denn der Gesetzgeber dann so weit, dass autonomes Fahren so laufen kann, wie Audi sich das vorstellt?
Hoffmann: Wir entwickeln uns da gemeinsam mit der Gesetzgebung weltweit weiter. Die Genehmigungsanforderungen und gesetzlichen Rahmenbedingungen für automatisiertes Fahren sind auf den verschiedenen Kontinenten sehr unterschiedlich. Wir sehen insbesondere in Deutschland Fortschritte im Zulassungs- und Verhaltensrecht. Diese Entwicklungen begrüßen wir und wünschen uns einen weiteren europa- und weltweiten Ausbau der rechtlichen Rahmenbedingungen für das automatisierte Fahren. Wir planen 2025 mit dem ersten Fahrzeug aus dem Artemis-Projekt die Technologie für situationsabhängiges autonomes Fahren auf die Straße zu bringen. Klar ist aber auch, dass sich die Funktionalität schrittweise entwickeln wird.
Alle jagen Tesla. Wie nah sind Sie dran? Haben Sie schon Vorsprung durch Software?
Hoffmann: Ehrlich gesagt, jagen wir keinen einzelnen Konkurrenten, sondern die Technik an sich. Doch der Wettbewerb ist wichtig. Tesla hat seine Softwareentwicklung sehr konsequent betrieben – samt Updates over the air. In ganz vielen anderen Bereichen sehe ich uns aber nach wie vor eine Nase vorn. Und das werden wir ausbauen. Und im Bereich Software-Kompetenz haben wir mit der VW-Softwareschmiede Cariad einen wichtigen strategischen Schritt getan, um eine einheitliche Software und eine einheitliche Elektronikarchitektur für den Konzern zur Verfügung zu stellen. Wir werden damit deutlich aufholen. Und, davon bin ich fest überzeugt, auch überholen.
Audi verzichtet künftig auf Einstiegsmodelle wie den A1 und Q2. Stört Sie das als Technikvorstand, weil Ihnen Spielzeuge und Möglichkeiten genommen werden?
Hoffmann: Wir haben im Vorstandsteam unsere Strategie „Vorsprung 2030“verabschiedet. Die unterstütze ich. Wir werden ab 2026 neue Modelle weltweit nur noch rein elektrisch einführen und bereits 2027 in allen Kernsegmenten ein elektrisches Modell anbieten. Mit dem ersten Fahrzeug aus dem Artemis Projekt werden wir eine Neuinterpretation der elektrischen Oberklasse bringen. Den Einstieg in die elektrische Premium-Mobilität bei Audi sehen wir im A-Segment (kleine Pkw, Anm. d. Red.). Auch wenn wir keinen direkten Nachfolger für den A1 und den Q2 bringen werden.
Hängen geblieben ist aber, dass Audi immer größer werden. Muss das sein? Ein TT war doch auch schick. Ein e-tron dagegen ist riesig.
Hoffmann: Der SUV-Trend hält an, das ist das meist wachsende Segment. Insofern wird uns das SUV die nächsten Jahre begleiten. Und auch hier setzen wir auf Elektrifizierung. Gleichzeitig glauben wir, dass Premium-Mobilität auch im A-Segment funktioniert. Gut, dass Sie den TT angesprochen haben: Mit dem TT haben wir damals echt überrascht. Dieses Auto hatte niemand erwartet. Diesen Überraschungseffekt wollen wir auch in Zukunft haben. Wir werden Fahrzeugkonzepte bringen, die überraschen werden.
Es gibt einen neuen TT?
Hoffmann: Es gibt auf jeden Fall eine Überraschung.
Es ist Krieg in Europa, die Spritpreise steigen und steigen. Hilft das der E-Offensive eigentlich?
Hoffmann: Es ist schwierig, in Kriegszeiten über Fortschritt zu reden. Das große Leid der Menschen in der Ukraine bedrückt auch mich sehr. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich hoffe, dass die steigenden Energie- und Spritpreise ein zeitlich begrenztes Thema sein werden. Sicher können sie die Transformation in Richtung E-Mobilität nochmals beschleunigen. In der Summe hängt das aber stark davon ab, dass unsere Kund_innen eine verlässliche Ladeinfrastruktur haben. Ich mache mir bei den Energiekosten viel mehr Sorgen um die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen.
Was fordern Sie?
Hoffmann: Bei der Energiebeschaffung wünsche ich mir mehr Europa, eine europäische Lösung, einen forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien und der Ladeinfrastruktur. Ich fahre elektrisch – und wir sind hier in Deutschland ordentlich unterwegs. Aber in Europa ist noch ein Weg zu gehen.
Wie geht es mit dem Innovationscampus in Ingolstadt weiter? Cariad sitzt da zum Teil. Dort müsste sich doch die Technische Entwicklung immer heimischer fühlen?
Hoffmann: Werden wir sicherlich. Ich war heute vier Stunden bei Cariad und komme gerade von dort. Wir schauen, welche Teile der Technischen Entwicklung dort perspektivisch hingehen könnten. Aktuell entsteht am IN-Campus beispielsweise das Fahrzeug-Sicherheitszentrum. Es wird das größte Gebäude im Bauabschnitt 1 auf dem CampusGelände. Ich wünsche mir auch, dass sich dort noch mehr Tech-Firmen ansiedeln. Ich bin Verfechter davon, dort ein möglichst großes Entwicklungsnetzwerk zu verorten und das als Tech-Campus auszubauen. Interview: Stefan Küpper
und Michael Kerler
Gender‐Hinweis Audi gendert mit Unterstrich. Das spiegelt sich im Inter‐ view wider.
● Oliver Hoffmann ist seit 1. März 2021 Mitglied des Audi‐Vorstands für den Geschäftsbereich Technische Entwicklung. Er wurde am 25. Fe‐ bruar 1977 in Hannover geboren.