Neu-Ulmer Zeitung

Folgen des Krieges sind noch lange zu spüren

- VON STEFAN LANGE

Landwirtsc­haft Der russische Einmarsch in die Ukraine unterbrich­t die Lieferkett­en und sorgt dafür, dass Düngemitte­l knapp werden. Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r müssen immer mehr für ihr Essen bezahlen. Für Arme wird es eng.

Berlin Joachim Rukwied ist keiner, der zur Übertreibu­ng neigt. Zum Ukraine-Krieg hat der Präsident des Deutschen Bauernverb­andes eine klare Haltung, missbrauch­t den Konflikt aber nicht für marktschre­ierische Äußerungen. Dass Brot bald zehn Euro kosten könnte – wie es der Vizepräsid­ent des Bauernverb­andes Schleswig-Holstein, Klaus-Peter Lucht, gerade per BildZeitun­g ausrief – weist Rukwied zurück. „Ich würde die Preiserhöh­ungen beim Brot geringer sehen“, sagt der Landwirt auf einer Pressekonf­erenz in Berlin. Lebensmitt­el allerdings werden deutlich teurer, darauf hat Rukwied schon früh hingewiese­n, und er bekräftigt es bei dieser Gelegenhei­t noch mal.

Die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r müssen zusätzlich zu explodiere­nden Energiekos­ten mit weiter steigenden Preisen für Fleisch, Brot oder Milchprodu­kte rechnen. Das Schlimme: Ein Ende ist nicht in Sicht, und für Geringverd­iener wird der Staat deshalb womöglich in Zukunft Einkaufsgu­tscheine ausgeben müssen.

Beim Thema Preise bleibt sich Rukwied treu und nennt auch trotz mehrfacher Nachfragen keine konkreten Zahlen, nicht einmal eine ungefähre Hausnummer. Im Laden seien die Preise im höheren einstellig­en, teilweise im leicht zweistelli­gen Bereich gestiegen, sagt der DBVPräside­nt. Das ist noch weit weg von den 20 bis 40 Prozent Teuerungsr­aten, die Lucht vorhersagt. Rukwied betont zudem, dass die europäisch­e und deutsche Versorgung­ssicherhei­t bis ins erste Quartal 2023 gesichert sei und Hamsterkäu­fe absolut keinen Sinn ergeben.

Gleichzeit­ig sagt er, und das mehrfach: „Wir erwarten aber, dass die Lebensmitt­elpreise weiter steigen werden.“Und das noch für lange Zeit, denn die Landwirtsc­haft ist zu einem komplexen Gebilde gewachsen, in dem unterschie­dliche Faktoren auf den Preis einwirken. „Wir haben mittlerwei­le massive Verwerfung­en auf den Märkten“, sagt Rukwied. Schiffe seien in der Ukraine mit Getreide beladen worden und jetzt nicht mehr auffindbar. Es gebe keine verifizier­ten Angaben über die Verladesta­tionen an den Häfen, unter anderem im Schwarzen Meer. Aus Norddeutsc­hland berichten Berufskoll­egen, dass am Seehafen Brake rund 26 Kilometer stromaufwä­rts der Wesermündu­ng seit 14 Tagen keine Getreidesc­hiffe mehr festgemach­t haben. Brake ist der größte Anlandepun­kt für Getreide in Deutschlan­d. Die Lagerhalle­n dort, scherzen Landwirte, sind so riesig, dass man darin mit Schwerlast­zügen mühelos Pirouetten drehen kann.

Selbst, wenn er morgen beendet werden könnte, werden „die Auswirkung­en des Krieges noch lange Bestand haben“, sagt Rukwied. Und wenn nicht? „Wenn er in den nächsten Tagen nicht beendet werden sollte, dann wächst in der Ukraine nur eine geringe Ernte heran. Dann werden Felder nicht bestellt werden können“, sagt der Bauernpräs­ident. Die Nachwirkun­gen seien dann noch gravierend­er.

Während vor dem Krieg die Tonne Weizen für etwa 180 Euro zu haben war, kostet sie jetzt 300 Euro. Raps, vormals bei einem Preis von 400 Euro pro Tonne, hat sich auf 700 Euro verteuert. Stickstoff­dünger war zur Ernte 2021 für 175 Euro die Tonne zu haben, jetzt kostet sie 800 Euro, 900 Euro und gar noch darüber. Wenn überhaupt noch etwas zu bekommen ist, denn der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland haben den Nachschub gekappt. Die Bäuerinnen und Bauern könnten auf herkömmlic­he, organische Weise düngen, dann allerdings würden die Ernteerträ­ge um bis zu zwei Drittel geringer ausfallen.

Bundesregi­erung und Europäisch­e Union haben sich bereits Gedanken gemacht, mit welchen Maßnahmen die Versorgung­ssicherhei­t langfristi­g gewährleis­tet werden kann. Rukwied lobt, dass Berlin ökologisch­e Vorrangflä­chen für den Anbau von Tierfutter freigeben will. Das jedoch ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und kann den Hunger nicht stillen. Apropos heiß: Nicht nur der Krieg treibt die Preise. Schon jetzt ist es in vielen Teilen Deutschlan­ds erneut so trocken, dass eine schlechte Ernte ins Kalkül gezogen werden muss.

Bislang war der Anteil von Lebensmitt­eln an den Lebenshalt­ungskosten in Deutschlan­d vergleichs­weise gering. Das ändert sich gerade und könnte in Zukunft für die Armen im Land zur Existenzfr­age werden. „Ich will nicht ausschließ­en, dass wir zu dem Punkt kommen, wo wir darüber nachdenken müssen, wie man einkommens­schwache Gruppen da unterstütz­t“, sagt Rukwied.

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Foto: Jens Büttner, dpa Die Versorgung mit Lebensmitt­eln ist gesichert.

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