Übergewichtig heißt nicht unsportlich
Gesundheit Spaß am Sport – für Einsteiger mit starkem Übergewicht oder gar chronischer Adipositas-Erkrankung ist das nicht so einfach. Wie es trotzdem klappt und warum es gut ist, das Abnehmen auch mal aus dem Fokus zu nehmen.
München In ruhigen Zügen gleitet Ursula K. durchs Wasser, der Atem fließt, alles ganz entspannt. Sie spürt die Anstrengung, aber sie spürt auch die Kraft in ihren Armen und Beinen. Heute wird sie es wieder etwas weiter schaffen, freut sich die 44-jährige Münchnerin. Sie genießt ihre Beweglichkeit und weiß: Nach dem Schwimmen wird sie sich richtig gut fühlen!
Ursula K. hat Adipositas und möchte nicht mit ganzem Namen in diesem Artikel auftauchen. Sie hat am Zentrum für Ernährungsmedizin und Prävention (ZEP) am Krankenhaus Barmherzige Brüder in München an einem Programm zur Gewichtsreduktion teilgenommen. Im Rahmen der Bewegungstherapie hat sie wieder Spaß am Sport gefunden. Barbara Brummer, Leiterin der Selbsthilfegruppe am ZEP und selbst von chronischer Adipositas betroffen, räumt zunächst mit einem Vorurteil auf: Übergewicht ist nicht mit Unsportlichkeit gleichzusetzen. Seit sie die Gruppe am ZEP betreut, habe sie viele übergewichtige Menschen getroffen, die fit sind und welche, die es nicht sind. „Aber die gibt es unter den Schlanken genauso“, so Brummer. Sie selbst habe schon immer gerne Sport gemacht und auch in der Zeit, in der sie stark übergewichtig war, die Freude daran nicht verloren.
„Jemand, der schon immer sportlich war, dann stark zunimmt und wieder mit dem Sport anfängt, hat durchaus einen Vorteil, weil er ein sogenanntes Sportgedächtnis hat“, sagt Dr. Hans-Jörg Hellmuth,
Facharzt für Allgemeinmedizin aus Würzburg mit Spezialisierung in Sport- und Ernährungsmedizin. Hat man jedoch lange keinen Sport mehr gemacht, fällt der Einstieg schwerer. Starkes Übergewicht führt dabei zu zusätzlichen Schwierigkeiten. Oft treten Gelenkschmerzen auf. Man hat Bedenken, im Fitnessstudio belächelt zu werden. Im Yogakurs gibt man sich Blöße, weil bei der Übung, die der Kursleiter vormacht, der Bauch im Weg ist. Oder der Leistungsdruck ist zu hoch. „Das Problem ist oftmals, dass zu viel erwartet wird, sowohl von außen als auch von der betroffenen Person selbst“, so Hellmuth.
Auch könne oft nicht eingeschätzt werden, welcher Sport in welchem Umfang geeignet ist. Einsteiger sollten sich an das Motto „Start low, go slow“, also „Starte tief, steigere dich langsam“, halten. Grundsätzlich sollten Personen mit starkem Übergewicht Sportarten wählen, die nicht zu einer Überlastung des Bewegungsapparats und des HerzKreislauf-Systems führen. Auf der Seite der Deutschen Herzstiftung werden etwa Schwimmen, Radfahren oder Nordic Walking aufgezählt. Hellmuth warnt jedoch vor zu pauschalen Empfehlungen. „Es muss demjenigen auch Spaß machen, das ist das Wichtigste.“
Eine Sportart könne aus medizinischer Sicht durchaus die geeignetste sein. Wenn sich die betroffene Person dabei aber unwohl fühle, sei es die falsche Sportart. Auch sollte das Gewicht nicht von vornherein darüber bestimmen, was jemand kann und darf. Laut Hellmuth sei es falsch, einer übergewichtigen Person pauschal das Joggen zu verbieten. Er rät Einsteigern vor Sportaufnahme jedoch dringend zu einer ärztlichen Untersuchung. Ist beispielsweise der Blutdruck zu hoch, kann nicht sofort mit jeder beliebigen Sportart begonnen werden. Viele Krankenkassen unterstützen auch eine sogenannte sportmedizinische Untersuchung. Man erhält dabei eine individuelle Beratung und wertvolle Tipps, wie man am besten einsteigt.
Ursula K. hat Ausdauerschwimmen für sich entdeckt. Mittlerweile ist sie aber auch Fan von Kraftsport und Kursen wie Pilates und Yoga: „Es ist eine wahnsinnig tolle Erfahrung, wie sich der eigene Körper durch den Muskelaufbau verändert und es bringt die Beweglichkeit zurück.“Wichtig sei aber, in einer geeigneten Gruppe zu trainieren, in der jeder mit den gleichen Problemen kämpft. So sieht es auch Hellmuth. Zusammen Sport zu machen sei meist besser als allein, aber es müsse die richtige Gruppe sein, sonst werde man überfordert oder überfordere die anderen.
„Ich glaube, für diejenigen, die Hilfe brauchen, um zum Sport zu finden, ist es schwierig, im Alltag ein Angebot unter Gleichgesinnten zu finden“, meint Barbara Brummer. Dennoch kann es sich lohnen, beim Sportverein oder im Fitnessstudio anzufragen, ob es spezielle Kurse gibt oder sich mit anderen zusammenzuschließen und dem Wunsch nach einem entsprechenden Angebot Ausdruck zu verleihen. Bei Yogakursen für stark übergewichtige Personen wird zum Beispiel darauf geachtet, bestimmte Stellungen so zu variieren, dass sie mit großer Körperfülle gut mitgemacht werden können.
Ursula K. möchte noch eine weitere Sache mit auf den Weg geben. Irgendwann müsse man von dem Gedanken wegkommen, den Sport nur zu machen, um abzunehmen. Zwar ist bei einer medizinisch notwendigen Gewichtsreduktion die Bewegung wichtiger Teil der Therapie, dennoch helfe es, Bewegung und Sport gedanklich vom Abnehmen zu entkoppeln. „Auch, wenn ich nicht mehr weiter abnehme, mache ich weiterhin meinen Sport. Ich will mir etwas Gutes tun und bewege mich, weil es mir Spaß macht!“
Dieser Beitrag ist in Kooperation mit dem Masterstudiengang Fachjour‐ nalismus der Hochschule Würzburg‐ Schweinfurt entstanden.